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Brandenburg: Gysi dankt ab
Der prominenteste Linke sollte neuer Brandenburger Justizminister werden. Nun springt wohl der frühere Landesparteichef Stefan Ludwig ein – und steht da wie die letzte Wahl
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Potsdam - Es ist eine Absage, die für den größeren Wirbel sorgt, als die Personalie selbst. Neuer Justizminister in Brandenburg wird nun der frühere Vize-Parteichef Stefan Ludwig, nachdem Amtsinhaber Helmuth Markov wegen einer Dienstwagen-Affäre am vergangenen Freitag zurückgetreten war. Doch bei der vorherigen Suche haben Brandenburgs Linke tatsächlich bei einem Schwergewicht der Bundespartei, beim wohl prominentesten Linken überhaupt, angeklopft – und sich einen Korb geholt: nämlich bei Gregor Gysi, 68 Jahre, dem langjährigen Chef der Bundestagsfraktion, der kurzzeitig auch mal Senator in Berlin war. Fraktionschef Ralf Christoffers sagte dazu knapp, man habe Stillschweigen verabredet. Die Bild-Zeitung zitierte Gysi mit dem Satz: „Ich bin in einem anderen Lebensabschnitt. Mit 68 tue ich mir das nicht mehr an.“
Der Vorgang wurde ausgerechnet am Dienstag publik, ehe am Abend von den Linken nach einer Sitzung des Landesvorstandes die Ludwig-Personalie verkündet werden sollte. Dass Gysi den Vorgang im Grunde selbst auch noch öffentlich bestätigte und den Start des neuen Justizministers damit verpatzte, sorgte hinter den Kulissen bei den Linken für Verstimmungen. Wie die PNN erfuhren, hatten die Linken dem als eitel geltenden Gysi sogar angeboten, neben dem Ministerposten auch Vize-Ministerpräsident in der von SPD- Regierungschef Dietmar Woidke geführten rot-roten Landesregierung zu werden. Parteichef Christian Görke, der Finanzminister und Woidkes Regierungs-Vize ist, hat intern seine Bereitschaft zum Verzicht auf den Posten erklärt. Aber selbst das stimmte Gysi nicht um.
Die Gespräche mit potenziellen Nachfolgern hatten zwar vor allem Görke und Landtags-Fraktionschef Ralf Christoffers geführt. Persönlich angeklopft bei Gysi hat aber ein Mann, der nach 1990 fast zwei Jahrzehnte der Strippenzieher, die graue Eminenz der Linken im Land war: Es war Heinz Vietze, vor 1989 letzter SED-Bezirkssekretär in Potsdam, dann viele Jahre parlamentarischer Geschäftsführer der Landtagsfraktion, der mit Gysi befreundet ist.
Das Kalkül war wohl zum einen, dass Gysi nach dem Rückzug in die zweite Reihe der Bundestagsfraktion derzeit eine Bühne sucht, sich gerade mit den eigenen Genossen um mehr Rederechte, mehr Auftritte im Bundestag streitet – besonders bei Europathemen. Die Europazuständigkeit gehört in Brandenburg zum Justizressort. Zum anderen wollten die Linken mit dem Promi-Zugpferd bis zur Landtagswahl 2019 auf das dramatische Umfragetief reagieren. Die Linken haben sich von der Niederlage bei der Landtagswahl 2014, wo sie nach fünf Jahren Rot-Rot auf 18,6 Prozent abgesackt waren, nicht erholt. Zuletzt waren sie mit 16 Prozent sogar hinter die AfD gefallen.
Zwar war das Verhältnis von Gysi zur Brandenburger Linken in der Vergangenheit nicht spannungsfrei. Er hatte 2009 gemeinsam mit Oskar Lafontaine versucht, Rot-Rot zu verhindern. Doch das hatten beide Seiten inzwischen bereinigt. Und nicht nur Gysi war im Hintergrund an der internen Klärung der Dienstwagen-Affäre beteiligt, die zum freiwilligen Rücktritt Markovs führte. Dem Vernehmen nach war auch Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) involviert.
Im Brandenburger Landtag löste die Gysi-Anfrage-Absage ein gemischtes Echo aus. SPD-Fraktionschef Mike Bischoff hielt es im ersten Moment, als er danach gefragt wurde, für einen Scherz. „Ich schmunzle darüber.“ Bei der Opposition verwies man darauf, dass es nicht die einzige Absage ist, die sich die Linken für den Justizministerposten holten. Zunächst hatte Kerstin Nitsche, die auf Ticket der Linken Vizepräsidentin des Landesverfassungsgerichts wurde, aus persönlichen Gründen abgesagt. Auch Justizstaatssekretär Ronald Pienkny sagte am Montag im Vorstand der Linke-Landtagsfraktion endgültig ab, er stehe nicht für das Ministeramt zur Verfügung. Grünen-Fraktionschef Axel Vogel sagte, das sei symptomatisch für die Personalprobleme der Linken.
Am Ende blieb nur der Landtagsabgeordnete Ludwig übrig, der seit der Wende eine Karriere als Parlamentarier machte, bis 2009 Bürgermeister von Königs Wusterhausen und zwei Jahre bis 2014 Landesparteichef war. Doch der 49-Jährige mit Diplom als Wirtschaftsjurist aus DDR-Zeiten galt nur als Notlösung, als sichere Bank, falls gar nichts mehr geht. Zwar brachte er sich am Wochenende selbst ins Gespräch und hat schon eine genaue politische Agenda für das Justizministerium – mehr Personal gegen die Aktenberge an den Gerichten, Stärkung der Bürgerrechte, keine Schließung von Gerichtsstandorten. Aber das wollte in der Parteiführung übers Wochenende noch niemand von ihm hören. Er wurde auch über Tage nicht gefragt, ob er Minister werden will. Erst am Dienstag hieß es dann nach einem Gespräch des Landesvorstands mit Ludwig, er gehöre nun auch offiziell zu den Kandidaten für die Markov-Nachfolge. Lange hieß es, er werde im Landtag als Fachmann für die vom Koalitionspartner SPD in dieser Legislatur vorangetriebene Kreisgebietsreform gebraucht. Schon nach der Landtagswahl 2014 hatte er Interesse an dem Ministerposten angemeldet – vergeblich. Nun wird er doch Minister: Doch mit der Gysi-Anfrage seiner Partei ist sein Start vermiest – er wirkt wie die zweite, sogar letzte Wahl.
SPD-Fraktionschef Mike Bischoff deutete an, dass er sich eine schnellere Klärung der Personalie bei den Linken gewünscht hätte. „Die SPD macht so etwas in aller Regel zügig. Ich hätte mir gewünscht, dass es zu einer schnelleren Entscheidung gekommen wäre.“ In der SPD hätte man in einer ähnlichen Lage wahrscheinlich eine schnellere, klare und sofortige Lösung präsentiert. Freilich, bei der letzten Kabinettspersonalie der SPD war das Gegenteil der Fall. Nach dem angekündigten Rückzug hatte sich Ministerpräsident Woidke monatelang Zeit mit der Nachfolge gelassen, ehe dann Ex-Bildungsministerin Martina Münch präsentiert wurde.
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