Brandenburg: „Ich bin nicht der Typ, der alles hinschmeißt“
Ministerpräsident Matthias Platzeck über Kommunisten, ein mögliches Nachtflugverbot in Schönefeld und persönliche Lehren aus dem Rücktritt von Rainer Speer und seine Bewertung der Krampnitz-Affäre
Stand:
Probieren Sie gerade „Wege zum Kommunismus“ aus?
Man muss nicht alles verstehen auf dieser Welt. Die Kommunismus-Diskussion ist überflüssiger als ein Kropf. Die DDR ist tot, und der Kommunismus ist mausetot. Ich habe soviel Unsensibilität, Unkenntnis, Verleugnung oder auch Verweigerung bei Gesine Lötzsch nicht für möglich gehalten: Dass sie nicht wahrgenommen hat, dass der Kommunismus heute kein Wohlgefühl auslöst, keine Vorstellungen von einer gerechteren Gesellschaft, sondern sofort Bilder präsent sind, die geprägt von gescheiterten Systemen, perspektivlosen Volkswirtschaften, von Straflagern, von Toten, von Unterdrückung, von Staatssicherheiten und Gulags. Das ist ein Bärendienst für ihre eigene Truppe.
Ist eine solche Linke, in denen die Vorsitzende Kommunismusphantasien vertritt, überhaupt ein verlässlicher Partner?
Die Linken, mit denen wir hier zusammenarbeiten, sind verlässlich. Sie stehen auf dem Boden des Grundgesetzes, schweben nicht in Wolkenkuckucksheim. Der Vorsitzende der Brandenburger Linken hat sich noch am selben Tag klar und deutlich distanziert. Bei der überwiegenden Mehrheit der Linken im Lande nehme ich dieselbe Einstellung war. Was sich auf Bundesebene abspielt, wirkt leicht obskur.
Kam Ihr umstrittener Versöhnungsaufruf mit früheren SED-Eliten zu früh?
Das eine hat mit dem anderen herzlich wenig zu tun. Man kann in gesellschaftlichen Gruppen nie garantieren, dass einige sich auf Irrwegen bewegen.
Fällt die Linke als Partner auf Bundesebene jetzt definitiv aus?
Das ist derzeit nicht diskutabel und denkbar. Man kann nicht mit einer Partei koalieren, ohne zu wissen, welches Gesellschaftsbild sie hat und wo sie hin will. Allerdings sage ich auch: Abwarten, gelassen bleiben. Diese Partei muss sich finden, vielleicht hat sie ihren Zenit auch überschritten.
Ist es ein Rückschlag für weitere rot-rote Landesbündnisse etwa in Sachsen-Anhalt?
Das wird auf die Wirkung ankommen. Für die meisten Menschen ist Kommunismus etwas schlicht abseitiges, selbst für Sympathisanten der Linken.
Auch die SPD bewegt sich mit dem neuen Fortschritts-Programm ja offensichtlich nach links. Laufen Sie Gefahr, die Mitte ein Stück Preis zu geben?
Wer sich für Fortschritt einsetzt, hat nicht im Sinn, wichtige Bevölkerungsgruppen auszugrenzen oder aufzugeben. Der Fortschritt, den wir meinen, muss die Lebensqualität vieler Menschen verbessern. Das ist zeitgemäß, erfordert auch ein Stück Mut, da ist nichts Verstaubtes.
Man könnte es auch Links-Ruck nennen!
Nein, das ist kein Linksruck. Wir möchten, dass es in der Gesellschaft wieder gerechter zugeht. Es genau der Gegenentwurf zum früheren neoliberalen Zeitgeist, zum Ansatz, dass wachsende Ungleichheit Motor einer Gesellschaft sei. Das hat sich als Irrweg erwiesen.
Stichworte des Programms sind Gratis-Kitas für alle – und nicht Schüler-Bafög für sozial Schwache. Kommt da nicht wieder der versorgende statt der von Ihnen propagierte vorsorgende Sozialstaat?
Vehementer Widerspruch! Beides ist vorsorgender Sozialstaat. Es geht um Bildung, um Aufstiegsgerechtigkeit, um Chancengleichheit. Was in jüngere Jahrgänge investiert wird, ist keine Nachsorge.
Sie setzen auf Schüler-Bafög, die Bundespartei auf Gratis-Kitas für alle!
Die Richtung stimmt hier wie dort. Wir können in Brandenburg nicht alles gleichzeitig. Wir setzen das Geld lieber für eine bessere Betreuung in den Kitas und für das Schüler-Bafög ein. Wenn wir uns Gratis-Kitas leisten könnten, würden wir es sofort tun.
Soll man den Erlös aus der Anhebung des Spitzensteuersatzes komplett in die Bildung investieren, wie es die Linken in Ihrer Partei fordern?
Die Seele der Politik besteht für mich aus vernünftigen Kompromissen. Ich glaube, dass viele Menschen, die sehr gut verdienen, auch bereit sind, ein Stück mehr beizutragen zur Stabilität der Gesellschaft. Wir sind gut beraten, in Bildung zu investieren. Ich glaube aber auch, dass unser Land dringend Entlastung braucht für Menschen, die arbeiten, die in unteren Gehalts- und Lohngruppen sind, und die von Lohnsteigerungen auch etwas real spüren müssen. Man kann beides verbinden.
Was spricht gegen eine einmalige Sonderabgabe für Superreiche, wie es die Grünen fordern?
Ich bin für verlässliche Systeme, auch bei den Steuern. Die Bürger müssen wissen, was auf sie zukommt. Deshalb halte ich nichts von Hauruck-Aktionen.
Woran liegt es, dass SPD-Parteichef Sigmar Gabriel in den Umfragen nach wie vor schlecht da steht?
Vor einem Jahr standen wir nach dem Bundestagswahlergebnis mit dem Rücken zur Wand. Wir hatten Vertrauen verloren. Das kann man nicht in ein paar Monaten reparieren. Sigmar Gabriel hat in dieser Zeit eine segensreiche Rolle für die SPD gespielt. Er hat die Partei aufgerichtet und stabilisiert. Die Ausstrahlung in die Gesellschaft braucht mehr Zeit. Und man sieht auch, dass entgegen aller Skepsis die Doppelspitze Steinmeier/Gabriel funktioniert.
Sollte die SPD Steinmeier noch einmal als Kanzlerkandidaten in den Ring schicken?
Die Frage treibt uns im Moment nicht um. Es ist immer gut, wenn es mehrere Möglichkeiten gibt.
Die Proteste gegen die Flugrouten im Süden Berlins bleiben heftig. Was sagen Sie den Menschen?
Ich stelle mich den Bürgern, den Bürgerinitiativen. Der BBI ist der wichtigste Wirtschaftsmotor für die Hauptstadtregion, und das schon jetzt. Wahr ist auch: Man kann ihn ohne Belastungen für Menschen in der Umgebung nicht betreiben. Wir müssen diese Belastungen durch intelligente Lösungen bei den Routen minimieren. Ich bin überzeugt, dass uns das so gelingt, dass viele heutige Ängste relativiert werden und es für die meisten erträglich wird.
Ihre Brandenburger SPD hat eine Ausweitung des Nachtflugverbots zumindest für die Nordbahn ins Spiel gebracht.
Das wird jetzt geprüft. Ein Flugverbot auf der Nordbahn von 22 bis 6 Uhr halte ich für sinnvoll und denkbar. Es käme für eine große Anzahl von Menschen einem Quasi-Nachtflugverbot nahe.
Stark betroffene Gemeinden im Süden würden noch stärker belastet.
Auch für diese gibt es erträglichere Varianten.
Wird Brandenburg als BBI-Gesellschafter auf das Wiener Modell einer Flughafenabgabe für Anrainer-Kommunen drängen?
Es ist dort ein eingeführtes Modell. Es ist ein Aufschlag. Wenn es eine andere Möglichkeit oder andere Vorschläge gibt, werden wir uns das auch angucken. In Wahrheit geht es um die Frage, wie sich der Flughafen in das Umfeld einbringt. Erfolgreiche Flughäfen engagieren sich in ihrer Region. Die Debatte ist eröffnet.
Ist auch ein Verzicht auf Parallelstarts vorstellbar?
Auch hier hilft nicht Schwarz-Weiß-Malerei. Für die gesamte Betriebszeit werden sie sowieso nicht nötig sein. Denkbar wäre eine Reduzierung auf die Stoßzeiten, am Morgen und Nachmittag. Die Abstimmungen laufen. Das braucht Zeit.
Neben dem BBI gibt es auch bei geplanten Kohlendioxid-Endlagern für die CCS-Technologie massive Proteste, für die Brandenburg ziemlich ringt. Sie stellen sich bereits auf einen Kohleausstieg ein, wie sie jüngst erstmals äußerten?
Ich bin kein Hellseher. Wir leben in einer Demokratie. Wenn ein Verfahren am Ende keine Mehrheit hat, die Bundesregierung sich in die Büsche schlägt, dann muss man sicher andere Wege gehen. Aber ich dränge darauf, dass die Debatte nicht verkürzt auf die Braunkohle geführt wird. Ich entdecke Fahrlässigkeit, auch in Kreisen der Bundesregierung. Es geht um die Zukunft des Industrielandes Brandenburg, aber auch Deutschland insgesamt. Die Braunkohleindustrie braucht die CCS- Technologie ebenso wie das Stahlwerk Eisenhüttenstadt oder die Grundstoffindustrie. Wenn man sich von dieser Technologie verabschiedet, ist es auch ein Teilabschied von einem Großteil der industriellen Basis. Dann werden wir in zehn, fünfzehn Jahren keine großen Stahlwerke und Zement- und Chemiefabriken mehr haben. Die können global nicht wettbewerbsfähig bleiben, wenn sie für Kohlendioxidemissionen teure Zertifikate zahlen.
Wäre Brandenburg in der Energieversorgung darauf vorbereitet?
Wir sind das beste Bundesland bei erneuerbaren Energien. Trotzdem: Wir sind noch längere Zeit auf einen vernünftigen Energiemix angewiesen. Wir haben in Deutschland einen immer breiteren Konsens, der besagt: Atomkraft Nein Danke, möglichst keine Kohle wegen CO2, Windkraft reicht nun wirklich, Biogas nicht bei mir im Dorf, und neue, dringend benötigte Stromleitungen schon gar nicht. Dieser Konsens wird das Industrieland Deutschland nicht über dieses Jahrhundert tragen. Wenn wir unseren Wohlstand halten wollen, müssen wir manches aushalten. Das gilt bei Energie, beim Flughafen, bei Autobahnen.
Auch das Staatswesen muss sich verändern. Warum gehen sie die überfällige Reform der aufgeblähten Kommunal- und Kreisstrukturen im Land so zurückhaltend an?
Zunächst einmal: Brandenburg, vor 20 Jahren Agrarregion, ist heute ein Aufsteigerland, wirtschaftlich dynamisch. Ein solides Fundament steht. Jetzt brauchen wir eine breite Debatte für ein Leitbild, wie Brandenburg in zwanzig Jahren aussehen soll. Dieses Leitbild Brandenburg 2030 wollen wir entwickeln. Daraus kann man dann nötige Entscheidungen ableiten, etwa zu Kreisstrukturen.
Was halten Sie vom Vorschlag einer generellen Abschaffung der Kreise?
Es ist eine zulässige Frage. Ich finde gut, dass diskutiert wird. Ich bin Realist und glaube, dass wir Kreise behalten werden. Ich will nichts vorprägen, schon gar nicht Zeitpläne. Aber ich sage auch: Ich halte einen Landreis mit 60000 Einwohnern langfristig nicht für lebensfähig. Ich bin mir sicher, 2030 wird es keine vierzehn Landkreise und vier kreisfreie Städte mehr geben.
Wie haben Sie den Rücktritt Ihres Vertrauten Rainer Speer wegen der Unterhalts-Affäre verarbeitet, welches Resümee ziehen Sie für sich?
Er ist als Minister zurückgetreten, als Abgeordneter, er hat den staatlichen Unterhaltsvorschuss zurückgezahlt. Für mich ist dieses Kapitel erledigt. Er hat einen Fehler gemacht und sich deshalb aus der Politik verabschiedet. Heute weiß ich: In den letzten Monaten hätte manches besser laufen können.
Es hat Sie persönlich durchgeschüttelt?
Natürlich. Ich kenne Rainer Speer seit Jahrzehnten, er hat sich, bei allem, was er falsch gemacht hat, für dieses Land engagiert. Das zählt bei mir weiter. Aber wir leben im politischen Raum, da gibt es Erwartungen, Rahmenbedingungen. Und die gelten für alle.
Die Opposition schäumt wegen der Ruhestandsbezüge für Speer. Gab es keine andere Lösung?
Die Vorwürfe eines goldenem Handschlag oder einer Privilegierung sind absurd. Die Landesregierung hat sich ausschließlich nach geltendem Recht verhalten, übrigens genauso wie der Vergangenheit bei in den Ruhestand versetzten Staatssekretären, auch der CDU.
Sie wirkten lange befangen. Ist es ein Fehler, im politischen Raum Freundschaften zu pflegen?
Das sehe ich nicht so. Aber man muss in der Lage sein zu abstrahieren. Freundschaften sind kein Fehler. Aber man muss das tun, wofür man gewählt ist. Freundschaft darf nicht der bestimmende Faktor sein.
Haben Sie in der angespannten Zeit mit dem Gedanken gespielt, alles hinzuwerfen?
Ich bin nicht der Typ, der einfach hinschmeißt. Ich habe ja gelesen, ich sei sensibel und Ähnliches: Fakt ist, ich bin wohl der einzige in Ostdeutschland, der seit 1990 in einer Landesregierung ist. Ich bin ein Pflichtmensch. Ich hatte schon andere Krisen zu bewältigen. Ein bisschen trainiert ist man da schon.
Die dubiosen Verkäufe der Krampnitz-Kaserne und der BBG sind nicht aufgeklärt. Sie haben sich früh festgelegt, keinen Schaden für das Land zu erkennen. Eine Fehleinschätzung?
Auf der Basis der damaligen Daten war für mich kein Schaden abzuleiten. Ich habe mich vom Präsidenten des Landesrechnungshofes bestätigt gefühlt
Widerspruch! Er hat lediglich die Höhe nicht beziffern können
. der Untersuchungsausschuss wird das in aller Tiefe klären. Danach wissen wir mehr.
Sie haben eine Kandidatur für 2014 angekündigt. Es wäre die vierte Legislatur - da sollte man langsam die Nachfolge regeln. Wäre es denkbar, dass Frank Walter Steinmeier sie einmal beerbt?
Wir sitzen manchmal bei einem Glas Wein zusammen: Wenn solche Meldungen aufwallen, sind wir beide amüsiert. Er zuvorderst. Er selbst hat erklärt, dass er an vieles denkt, daran aber mit Sicherheit nicht. Und ich habe zwei Bedingungen für eine erneute Kandidatur genannt. Ich muss das Gefühl haben, dass ich für mein Heimatland weiter etwas beitragen kann. Und meine Partei muss dasselbe Gefühl haben. Dann bin ich zur Kandidatur gern bereit.
Werden Sie jetzt ihren Nachbarn Klaus Wowereit unterstützen, für eine Fortführung von Rot-Rot?
Ich unterstütze Klaus Wowereit, damit die SPD wieder stärkste Partei in Berlin wird und er Regierender bleibt. Wenn ich dazu etwas beitragen kann, tue ich es gern.
Das Interview führten Gerd Nowakowski und Thorsten Metzner
- Brandenburg
- Bundesregierung
- DDR
- Frank-Walter Steinmeier
- Lehrer
- Sachsen-Anhalt
- Schule
- Sigmar Gabriel
- SPD
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: