zum Hauptinhalt
Schutz? Die Frage ist, wen die massenhaft besonders auf den Industrieäckern versprühten so genannten Pflanzenschutzmittel schützen. Kleinstlebewesen offenbar nicht. Die Wirkung auf den Menschen ist strittig.

© dpa

Brandenburg: „Kaum noch Tagfalter“

Wegen des zunehmenden Einsatzes des Totalherbizids Glyphosat schlagen Naturschützer Alarm. Auch die Verbraucherschutzminister der Länder haben mittlerweile Zweifel und fordern neue Untersuchungen

Stand:

Potsam - Sattgrün ist der Behälter mit der Spritzpistole. Und die Aufschrift klingt vielsprechend: „RoundupSpeed, Unkrautvernichtung total“. Ein Breitbandherbizid also. Drei Liter sind drin, erhältlich im Baumarkt für 24,05 Euro. Lange Zeit galt Glyphosat, der Wirkstoff des Präparates, als harmloses Wundermittel in der Hand von Hobbygärtnern und Landwirten. Doch inzwischen mehren sich warnende Stimmen, dass dies ein gefährlicher Trugschluss sein könnte. Besonders in Brandenburg und anderen ostdeutschen Bundesländern ist Glyphosat höchst umstritten. Dort hat sich die industrialisierte Landwirtschaft durchgesetzt. Zwischen Uckermark und Lausitz wird das Herbizid auf riesigen Monokulturen mit Mais, Raps und Roggen in immer größeren Mengen versprüht.

Erst vor Kurzem ging nun auch Brandenburgs Umwelt- und Gesundheitsministerin Anita Tack (Linke) auf Nummer sicher. Das Risiko von Glyphosat für Mensch und Natur müsse „dringend neu bewertet werden“, verlangte sie. Vorsorglich sollten „alle Möglichkeiten genutzt werden“, um Einträge des Totalherbizides in die Umwelt zu vermindern. Wie stark inzwischen selbst höchste Regierungsstellen- und Institute verunsichert sind, zeigt auch Tacks Bemerkung: „Glyphosat hat im Garten nichts zu suchen.“ Den Anstoß dazu gaben die jüngsten Beschlüsse der Umweltministerkonferenz der Bundesländer (UMK). Die Ministerrunde hatte die Bundesregierung Mitte November zu einer „umfassenden Risikoneubewertung“ von glyphosathaltigen Mitteln aufgefordert.

In Brandenburg haben sich die Bedenken gegenüber der chemischen Rundumkeule aus mehreren Gründen verschärft. Zum einen wächst die Sorge wegen des Trends zur sogenannten „Sikkation“, einer rationalen Erntemethode mithilfe von Roundup-Herbiziden. Normalerweise wird Glyphosat nur vor der Aussaat ausgebracht, um die jungen Kulturpflanzen vor dem Gift zu schützen. Bei der Sikkation spritzt man nun aber Mais oder Getreide kurz vor der Ernte mit einer Giftdusche gezielt tot. Die Pflanzen sterben ab, trocknen noch auf dem Feld und sind in der Folge leichter zu ernten und zu verarbeiten. „Bei der Sikkation werden die Herbizide noch mal ordentlich reingeknallt“, sagt Werner Kratz, Privatdozent am Institut für Biologie der Freien Universität Berlin (FU) und Vizevorsitzender des Naturschutzbundes Brandenburg (NABU). Vermutlich bringe das umstrittene Verfahren den Stoff nun vermehrt in die Lebensmittelkette. Die jüngsten überraschenden Funde von Glyphosat im menschlichen Körper, beispielsweise im Urin, könnten damit zusammenhängen.

Wegen dieser Ergebnisse hat Österreich die Sikkation bereits untersagt. Auch der deutsche Bundesrat unterstützt ein solches Verbot. Zumal das Vertrauen in die Landwirte erschüttert ist, seit Studien zu dem Ergebnis kamen, dass sich jeder Zweite beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln offenbar nicht an die Sicherheitsvorgaben hält, also beispielsweise den nötigen Abstand zu Wasserflächen oder Wegrainen ignoriert. Ähnlich dilletantisch verhalten sich aus Sicht des Nabu und des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) auch viele Hobbygärtner im Umgang mit „Roundup“. Und die Trupps der Gartenämter, die mit Handdüse und Tank am Rücken die Wegränder abspritzen, förderten gleichfalls die Kontamination, heißt es beim Nabu.

Addiert man all diese Einträge, überrascht es aus Sicht von Naturschützern kaum mehr, dass 2012 und 2013 bei stichprobenartigen Untersuchungen von Brandenburger Tümpeln und anderen Kleinstgewässern teils erhebliche Rückstände von Herbiziden festgestellt wurden. Wie berichtet, lagen sie laut BUND in einigen Fällen über den zulässigen Grenzwerten fürs Grundwasser. Der BUND hatte die Untersuchungen in Auftrag gegeben.

Doch ab welcher Dosis und in welchem Ausmaß gefährdet das „Roundup“-Herbizid überhaupt die menschliche Gesundheit und die Natur? Auf der Website des Internethändlers Amazon, der auch Glyphosat-Präparate vertreibt, bringt diese Frage sogar die Freizeitgärtner gegeneinander auf. „Das Mittel hat super gewirkt“, freuen sich die einen bedenkenlos in ihren Bewertungskommentaren zu den Produkten. „Finger weg, Roundup wird verharmlost“, kontern andere.

Der BUND zitiert Studien, nach denen die Chemikalie selbst Missbildungen und Tumore beim Menschen verursachen kann. Und der Naturschutzbund Nabu führt die ökotoxische Wirkung an. Er verweist auf Studien, unter anderem vom Umweltbundesamt. Danach starben Mikroorganismen, Frösche und Kröten unter den üblichen Konzentrationen, mit denen das Herbizid versprüht wird. Und die Schmetterlingsexperten von der Entomologischen Gesellschaft Orion Berlin sind gleichfalls schlecht auf Glyphosat zu sprechen. „Wildkräuter, von denen sich Raupen ernähren, werden vernichtet“, sagt Orion-Mann Bernd Schulze. Ohnehin würden die Monokulturen zunehmend Biotope mit Nektar- und Futterpflanzen verdrängen. Tatsächlich schrumpfte der Anteil der Brachflächen auf dem brandenburgischen Land seit 2003 von 18 auf 4 Prozent. Schulze: „Im Berliner Umland gibt’s kaum mehr Tagfalter.“

Hinsichtlich der Gefahren für den Menschen sah das Bundesinstitut für Risikobewertung bislang keinen Anlass zur Sorge. Es wertete Hunderte Studien aus und kam zu dem Schluss, angesichts der Ergebnisse könne man die geltenden Grenzwerte für Glyphosat sogar erhöhen. Für Nabu-Wissenschaftler Werner Kratz hat diese Vorgehen jedoch einen „entscheidenen Schwachpunkt“. Die Zulassung der Präparate erfolge nur wirkstoffbezogen, sagt er. Glyphosat wird aber mit anderen Mitteln gemischt, beispielsweise um die Sprühfähigkeit zu verbessern. Und man weiß heute, dass einige dieser Stoffe die Giftigkeit des Herbizides steigern. Die toxische Langzeitwirkung der marktreifen Kombinationen testet bisher jedoch kaum jemand. Die Risikobewertung ist überdies vertrackt, weil unüberschaubar viele Glyphosat-Rezepturen auf dem Markt sind.

Unterdessen sind die Flächen, auf denen im Land Brandenburg Mais angebaut und besprüht wird, rasant gewachsen. Von 167 000 Hektar im Jahr 2011 auf bislang 194 000 Hektar. Vor allem wegen der steigenden Zahl der Biogasanlagen, die Mais als Rohstoff nutzen. Unter diesem Druck prescht die Agrarexpertin der linken Bundestagsfraktion Kirsten Tackmann sogar an ihrer Parteigenossin, der Potsdamer Umweltministerin Anita Tack, vorbei. Die Sikkation vor der Ernte und Glyphosat in Privatgärten müssten verboten werden, fordert sie. Die Ministerin will hingegen erst mal die „anstehende Neubewertung abwarten“. Und das Landesamt für Landwirtschaft setzt auf die Einsicht der Landwirte. Man will sie, so das Versprechen, besser schulen und mehr kontrollieren. Es gebe schon Fortschritte.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })