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Klaus Wowereit wurde 1953 in Berlin-Tempelhof geboren, studierte Jura, trat mit 19 Jahren der SPD bei. Er war von 2001 bis 2014 Regierender Bürgermeister. Im Dezember 2014 legte er sein Amt nieder und zog sich aus der Politik zurück.

© Thilo Rückeis (1), dpa(1)

Brandenburg: „Klaus, hast du den Absprung verpasst?“

Der eine hat aufgehört, der andere macht weiter: Klaus Wowereit und Marius Müller-Westernhagen übers Loslassen und Neuanfangen

Stand:

Herr Westernhagen, Herr Wowereit, wir möchten mit Ihnen über das Loslassen und über Neuanfänge reden. Sie, Herr Wowereit, sind mit 61 von allen Ämtern zurückgetreten. Sie, Herr Westernhagen, veröffentlichen gerade mit 67 Ihre 23. Platte.

MARIUS MÜLLER-WESTERNHAGEN: Ich weiß, ich bin ein alter Sack. (lacht)

Ist Loslassen eigentlich eher eine Entscheidung für oder gegen etwas?

KLAUS WOWEREIT: Eindeutig für etwas. Nehmen Sie mich: Ich wollte meine persönliche Freiheit wiederhaben. Und das ist doch auch ein normaler Prozess, naturgegeben. Wie viele Deutsche in meinem Alter freuen sich auf ihren Vorruhestand!

Jetzt sind zwei Jahre rum. Und?

WOWEREIT: Natürlich erlebst du einen Bedeutungsverlust, ist doch logisch. Das muss das Selbstbewusstsein aushalten. Vorher bist du bei einer Veranstaltung mit Entourage und Dienstwagen, deine Bodyguards haben dir die Tür geöffnet – jetzt kommst du zu Fuß. Aber das muss man sich als Politiker immer klarmachen: Amt verleiht dir Macht und Status nur auf Zeit.

Sie beide sind befreundet und waren viele Jahre Lieblingsfiguren der Öffentlichkeit: Wowi und Marius. Ihre Bekanntheit hat sich längst von dem gelöst, was Sie konkret tun. Kann man da überhaupt aufhören?

WESTERNHAGEN: Das ist mir gar nicht bewusst, dieser Grad.

Kommen Sie, Sie gehören zum Inventar dieser Republik.

WOWEREIT: Furchtbar, ein furchtbares Wort: Inventar ...

WESTERNHAGEN: Außerdem werde ich ja nie in Rente gehen, vergessen Sie das nicht! Ein Künstler hört nicht auf.

Sie haben aufgehört, Herr Wowereit. Vermissen Sie manchmal die Politik?

WOWEREIT: Nö. Wobei das nicht heißt, dass ich nicht auch mal Momente habe, wo ich denke: Da müsstest du auch noch mal mitmischen. Ich bin ja ein politischer Mensch und habe nach wie vor meine Meinung, auch die Akteure sind mir alle noch sehr, sehr vertraut. Aber eigentlich bin ich ganz zufrieden, dass ich mich heute raushalten kann.

WESTERNHAGEN: Ich glaube nicht, dass du jemand bist, der nichts machen kann.

WOWEREIT: Nein, ich mache ja auch was, nur nichts Spektakuläres. Ich lade zum Beispiel Menschen, die ich interessant finde, zu mir nach Hause ein und bekoche sie. Früher habe ich immer gedacht, ich flieg dann nach Australien, nach Neuseeland. Heute vermisse ich nichts: Ich habe jeden Tag Urlaub.

Wenn man ein Amt so lange innehatte wie Sie: Begreift man erst hinterher, was das mit einem gemacht hat?

WOWEREIT: Klar. Als ich Regierender Bürgermeister wurde, war ich auf einmal meinen Namen los. Anfangs habe ich mich immer umgeguckt, wenn die gesagt haben: „Der Regierende Bürgermeister kommt!“ Nicht „Herr Wowereit kommt“, sondern „Der Regierende Bürgermeister kommt“ – da dachte ich immer, der Diepgen steht hinter mir. Dadurch verlierst du zum Teil deine Persönlichkeit. Auch wenn es nicht mit so einem krassen Starkult verbunden ist wie bei Marius.

WESTERNHAGEN: Das ist vielleicht das Gefährlichste an einer so langen Karriere: dass du es nicht mehr schaffst, bei dir zu bleiben, dass du Realität mit Projektion verwechselst. Ich habe das bei meinem Vater erlebt: Der war Schauspieler, er hat gelebt für seine Rollen. Zu Hause hat er es oft nicht geschafft, sie abzustreifen.

Sie, Herr Wowereit, haben während Ihrer Amtszeit irgendwann sogar aufgehört, öffentlich zu tanzen, obwohl Sie das vorher gern taten. Tanzen Sie jetzt wieder?

WOWEREIT: Ich tanze wieder, fahre mit der U-Bahn. Und wenn ich auf Veranstaltungen gehe, ist für mich kein Platz mehr in der ersten Reihe reserviert. Und wissen Sie was: Das erlebe ich als Befreiung.

WESTERNHAGEN: Ja, mir war die Öffentlichkeit immer unangenehm. Ich habe nur gelernt, sie zu akzeptieren als notwendiges Übel. Lieber wäre ich Autor gewesen: Du schreibst hervorragende Bücher, und auf der Straße erkennt dich keine Sau – das wäre mir hundertmal lieber!

Interessant, dass Sie beide sagen, dass Sie den Ruhm eigentlich gar nicht wollten.

WESTERNHAGEN: Das war nie mein Motiv. In der Zeit, als ich mit der Musik angefangen habe, war’s vollkommen illusorisch, zu denken, dass ich da jemals das große Geld verdienen könnte. Natürlich bin ich dankbar für den Erfolg, aber Erfolg hat sehr viel mit dem Zeitgeist zu tun. Es geht darum, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.

In den Neunzigern haben Sie Stadien gefüllt, Sie waren der erste deutsche Mega-Star. Das muss man doch wollen!

WESTERNHAGEN: Wissen Sie, ich bin eigentlich ein schüchterner Mensch. Wenn ich mit Gerhard Schröder in Hannover in ein Lokal gehe, schüttelt der erst mal alle Hände. Ich verdrücke mich an den Rand. Das Schlimmste, was man mir antun kann, ist, mich auf dem 80. Geburtstag irgendeines Verwandten zu fragen, ob ich nicht ein Liedchen spielen könne.

Was Sie beide von außen betrachtet eint, ist eine gewisse Leichtigkeit, eine Coolness. Sie hatten beide immer etwas Spielerisches.

WESTERNHAGEN: Arrogant, hieß es auch oft. Die Wahrheit ist: Ich bin ein sehr ernsthafter Mensch, vor allem wenn’s um meine Arbeit geht. Aber ich habe mich nie wichtig genommen, weil ich nie der Meinung war, dass es etwas gibt, worauf ich mir was einbilden kann.

Wir wollten Sie gar nicht angreifen.

WOWEREIT: Also wenn ich ein Lebensmotto hätte, dann wäre es sicher: heiter und gelassen sein.

WESTERNHAGEN: ... ein Partyboy!

WOWEREIT: Tatsächlich war ich akribisch, preußisch von vorn bis hinten. Was ich nur nie wollte: morgens mit hängendem Gesicht ins Büro kommen, die Leute runterziehen. Das ist mir zuwider.

Ist es eine der wichtigsten Eigenschaften in Ihrem Beruf: einstecken können?

WOWEREIT: Ja. Sonst gehst du körperlich und psychisch zugrunde. Da bin ich auch stolz drauf: Meine dreizehneinhalb Jahre habe ich, was die Psyche als auch die Physis anbelangt, einigermaßen gut überstanden, Gott sei Dank!

In den 80er-Jahren habe ich mal Jugendfernsehen gemacht – Live aus dem Alabama hieß das – und einmal war Udo Lindenberg in der Stadt und wollte zu uns in die Halle kommen. Aber die Ordner haben ihn nicht reingelassen, weil er damals so abgewrackt war. Ich musste rausgehen und dann sagen: „Wissen Sie eigentlich, wer das ist?“

WESTERNHAGEN: Wenn man mich nicht erkennt, finde ich das überhaupt nicht demütigend. Ich bin mal zu meinem Konzert im Münchner Olympiastadion gefahren, am Eingang hast du die Leute schon schreien gehört, aber der Pförtner sagte: „Nein, Sie kommen hier nicht rein.“ Ich antwortete nur: „Tut mir leid, ich muss hier singen.“

WOWEREIT: Das ist ja putzig. Ich musste im Adlon mal meinen Nachnamen buchstabieren. Eine junge Mitarbeiterin im Restaurant hat ihren Job sehr ernst genommen, während die Kollegen schon nervös wurden. So etwas würde ich nie übel nehmen.

WESTERNHAGEN: Ich habe mal eine ehrliche Frage, Klaus: Meinst du nicht, dass du es dir auf dem Posten des Berliner Bürgermeisters zu bequem eingerichtet hast, statt den Absprung zu schaffen?

WOWEREIT: Ich hab ja den Absprung geschafft!

WESTERNHAGEN: Nee, nee, nach oben, meine ich. Ich war ja immer der Meinung, dass du ein Menschenfänger bist, und dachte immer: Der Junge kann der erste schwule Bundeskanzler werden! Ich habe das wirklich geglaubt, weil du charismatisch bist, und ich hab’s auch gehofft.

WOWEREIT: Ich hab mich ja bewusst für was anderes entschieden. Ich bin ja auch gegangen, weil ich denke, das muss auf Zeit sein. Also nicht im juristischen Sinne mit begrenzter Amtszeit, aber man muss für sich selbst ein Ende finden.

Waren Sie am Ende im Amt müde?

WOWEREIT: Mit der Amtsdauer ist das ja so eine Sache: Einerseits erleichtert Erfahrung dir die Arbeit, sie verbessert dein Einschätzungsvermögen. Andererseits kann Routine auch töten. Sie hält dich ab von neuen Ideen. Am Anfang bist du für Dinge vor die Wand gelaufen – und überraschenderweise hat sie sich dann tatsächlich bewegt. Gegen Ende deiner Amtszeit hast du oft sämtliche Schwierigkeiten im Hinterkopf und lässt es lieber gleich bleiben.

Was auffällt: Sie schweigen zur Berliner Politik, dabei könnten Sie mit drei Sätzen jeden Senat demolieren.

WOWEREIT: Klar, ich könnte auch Kronzeuge werden für viele amtierende Politiker.

Das Interview veröffentlichen wir in Auszügen mit freundlicher Genehmigung der Wochenzeitung „Die Zeit“. Das gesamte Gespräch finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Mitarbeit: Karoline Kuhla

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