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In Betrieb bis 2033? Das Kraftwerk Jänschwalde, das älteste und dreckigste der Lausitz, soll länger am Netz bleiben als bisher geplant.

© Patrick Pleul / dpa

Brandenburg: Kohleausstieg: Wortbruch und Realpolitik

Im Bund will die Linke die schmutzigsten Kohlekraftwerke bis 2020 abschalten. Als rot-roter Koalitionär in Brandenburg dagegen verteidigt die Landtagsfraktion das „Aufweichen des Klimaziels“.

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Potsdam - Für Dietmar Bartsch, Fraktionschef der Linken im Bundestag und Spitzenkandidat der Genossen für die Bundestagswahl, ist die Sache klar. Im Facebook-Interview mit der Umweltschutzorganisation WWF Deutschland erklärte er am Sonntag, wie es für die Linke nach der Wahl weitergehen soll mit dem klimaschädlichen Braunkohlestrom. Bartsch will ein „nationales Kohleausstiegsprogramm“ nach dem Vorbild des Atomausstiegs und die „Abschaltung der schmutzigsten Kohlekraftwerke“ bis zum Jahr 2020. Davon wäre auch Brandenburg betroffen. Im Jahr 2035 soll dann komplett Schluss sein mit dem Strom aus Kohle.

Bartschs Genossen in Brandenburg sehen das ganz anders. Sie tragen in der rot-roten Koalition den Mitte Juli von Wirtschaftsminister Albrecht Gerber (SPD) verkündeten Abschied von den bisherigen Klimaschutzzielen mit. In der Partei, die vor zehn Jahren noch die Volksinitiative „Keine neuen Tagebaue – für eine zukunftsfähige Energiepolitik“ unterstützt hat, gibt es dazu aber offenbar Klärungsbedarf. Eine Woche nach Gerbers Vorstoß, am 22. Juli, verschickte die Landeszentrale der Linke einen „Vermerk zur Evaluierung und Weiterentwicklung der Energiestrategie“. Erstellt wurde der Vermerk - den die Süddeutsche Zeitung publik gemacht hat - von der Führung der Linke-Landtagsfraktion. 

Der einzige Unterschied zur SPD ist der Zeitrahmen den die Fraktionsspitze der Linken für den Kohleausstieg in Brandenburg vorsieht

Wenige Tage zuvor, am 16. Juli, an einem Sonntag, hatte der Parlamentarische Geschäftsführer der Linke-Landtagsfraktion, Thomas Domres, Gerbers Vorstoß noch schlicht als „Überlegungen eines SPD-Ressorts“ bezeichnet, die längst nicht verbindlich seien. „Ob es die gemeinsame Sichtweise in der Koalition und in der Regierung sein wird, ist offen“, so Domres, der auch Umweltexperte seiner Fraktion ist. Er verwies auf den rot-roten Koalitionsvertrag: Demnach „soll der Ausstoß von Kohlendioxid bis 2030 gegenüber dem Referenzjahr 1990 um 72 Prozent gesenkt werden“.

Es brauchte nicht einmal eine Woche für den Vermerk, der ganz anders klingt und eher eine Verteidigungsschrift ist. Unterzeichnet wurde er von Domres, dem wirtschaftspolitischen Sprecher Matthias Loehr und dem Fraktionschef Ralf Christoffers. Der war selbst bis 2014 Wirtschaftsminister und gilt als Realpolitiker durch und durch – nicht immer zur Freude seiner Genossen –, auch um des rot-roten Regierungsprojektes willen.

In dem Vermerk, der den PNN vorliegt, argumentiert die Fraktionsspitze wenig anders als Wirtschaftsminister Gerber. Der hat die bisherige Energiestrategie evaluieren lassen und will im neuen, vom Kabinett zu beschließenden Strategiepapier deutlich von den bisherigen Klimaschutzzielen abrücken. Der einzige Unterschied zur SPD ist der Zeitrahmen für den Kohleausstieg: „Wir gehen davon aus, dass dies in Brandenburg circa 2040 der Fall sein wird“, heißt es in dem Vermerk. Und die Fraktionsspitze spricht darin sogar selbst von einem „Aufweichen des Klimaziels“.

Seit dem Jahr 2000 hat sich wenig am CO2-Ausstoß in Brandenburg geändert

Bislang sah die Energiestrategie des Landes, aber auch der rot-rote Koalitionsvertrag vor, den Ausstoß von Kohlendioxid bis 2030 im Vergleich zum Referenzjahr 1990 um 72 Prozent auf 25 Millionen Tonnen zu senken. Geschehen ist seit der Jahrtausendwende kaum etwas, Brandenburgs jährlicher CO2-Ausstoß ist mit rund 60 Millionen Tonnen nahezu gleichbleibend hoch. Rund 35 Millionen Tonnen CO2 entfallen allein auf die Braunkohle.

In dem Entwurf für die neue Energiestrategie ist nur noch ein Minus von 55 bis 62 Prozent auf dann rund 41 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr vorgesehen. Begründet wird das etwa mit höheren CO2-Ausstoß im Verkehr und am künftigen BER-Flughafen in Schönefeld. Die aber machen den geringsten Teil aus. Tatsächlich geht es vor allem um die Braunkohle und die Pläne des Bergbaubetreibers Leag. Die Leag hatte im Frühjahr ihr Revierkonzept vorgelegt. Demnach soll im Kraftwerk Jänschwalde – das älteste und dreckigste Kraftwerk in der Lausitz, eines der klimaschädlichsten in Europa – bis zum Jahr 2033 weiter Braunkohle verfeuert werden.

Einen vernünftigen Grund, das Klimaschutzziel für Brandenburg „gibt es bislang nicht"

Für René Schuster, Kohleexperte des Umweltverbandes Grüne Liga, ist Rot-Rot nur noch eine „Koalition der Wortbrüchigen“, die „sich vom Kohlekonzern ihr Klimaziel diktieren lässt“. Schuster ist kein Ökoaktivist mit Schaum vor dem Mund. Er rechnet alles durch, prüft gewissenhaft, bevor er sich äußert. Auch die neuen Klimaschutzzahlen von Rot-Rot hat er untersucht, die Argumente abgeklopft, auch jene im Vermerk der Linksfraktionsspitze. Einen vernünftigen Grund, das bisherige Klimaschutzziel aufzuweichen, „gibt es nicht“, erklärt Schuster in einem Gegenpapier der Grünen Liga, das am heutigen Dienstag veröffentlicht werden soll. „Was gemacht werden soll, dient allein dem Kraftwerk Jänschwalde.“ Auch wenn die Linke-Fraktionsspitze von „veränderten Rahmenbedingungen“ spreche. Schuster entgegnet: „Das Einzige, das sich verändert hat, ist das Revierkonzept von Leag.“

Landesregierung und Linksfraktion dagegen argumentieren mit der CO2-Speichertechnik CCS, die noch in der 2012 beschlossenen Energiestrategie stand. Darin sei davon ausgegangen worden, dass in Jänschwalde bis 2030 ein CCS-Ersatzkraftwerk gebaut wird, um die Klimaziele zu erreichen. Schuster widerspricht. Der alter Kohlekonzern Vattenfall habe bereits 2011 Abschied von CCS genommen, die Landesregierung habe die CCS-Technologie jedoch weiterhin in der Strategie erwähnt: Ein „gegebenenfalls erforderliches“ Nachfolgekraftwerk soll nur mit CCS errichtet werden. Im Koalitionsvertrag ist davon gar keine Rede mehr: „Die Koalition hält daran fest, dass ein Kraftwerksneubau nur stattfinden kann, wenn damit die Erreichung der Klimaschutzziele der Energiestrategie 2030 nicht gefährdet wird.“

Brandenburg gefährdet deutsche Zielvorgaben für den Klimaschutz

Nun soll das alte, dreckige Kraftwerk einfach stehen bleiben, die Klimaziele fallen. Dass Brandenburg damit auch die Zielvorgaben für ganz Deutschland gefährdet, steht sogar im Evaluationsbericht des Instituts Prognos für das Wirtschaftsministerium. Prognos zeigt zudem auf, dass es in Brandenburg auch mit der ursprünglich geplanten Abschaltung von Jänschwalde bis 2030 ginge. Christoffers dagegen hält es eher für eine der Kernfragen, ob Brandenburg Energieexporteur bleiben wolle – auch für die Versorgungssicherheit in Deutschland. Schuster argumentiert dagegen mit Zahlen: Brandenburg bliebe auch ohne das Kraftwerk Jänschwalde Stromexporteur.

Schuster, selbst Genosse der Linken, hat sich an dem Vermerk abgearbeitet. Das Verhalten seiner Partei nennt er absurd – wenn sie die Klimaschutzziele erst in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt hat, diese aber nun wieder abgeschafft würden. Das sei ein Wortbruch der Linken gegenüber einem Teil der eigenen Wähler.

Und so bekommt die Linke kurz vor der Bundestagswahl wieder ein Problem – mit der eigenen Glaubwürdigkeit zwischen politischen Zielen und Realpolitik mit der SPD, die selbst den Kohleausstieg schon im Gange sieht. Die einzige Brandenburger Bundestagsabgeordnete der Grünen, Annalena Baerbock, kann da leicht hineingrätschen. Sie appellierte am Montag an die Bundesspitze der Linken, „ihre klimapolitische Kompetenz nicht wegen der Regierungsbeteiligung in Brandenburg an den Nagel zu hängen“. Wenn der Linken im Bund ihre Glaubwürdigkeit beim Klimaschutz tatsächlich wichtig sei, „dann muss sie hier intervenieren“. Ansonsten könne man die Linken künftig als ernstzunehmende Streiter für den Klimaschutz abschreiben, so Baerbock.

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