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Tatort Kinderklinik. Der sexuelle Missbrauch eines 16-jährigen Mädchens durch einen Krankenpfleger bringt die Charité erneut in Erklärungsnot. Die Klinikleitung versäumte es tagelang, Strafanzeige zu erstatten.

© Michael Gottschalk/dapd

Brandenburg: Krankenpfleger soll Mädchen missbraucht haben

16-jährige Patientin lag auf Virchow-Kinderstation. Weder Charité noch die Eltern zeigten den Fall an

Stand:

Berlin - Die Charité kommt nicht aus den Negativ-Schlagzeilen. Nach dem Skandal um den Keimbefall an Frühgeborenen ist an diesem Mittwoch bekannt geworden, dass ein Pfleger auf dem Virchow-Campus der Universitätsklinik in der vergangenen Woche eine 16-jährige Patientin sexuell missbraucht haben soll. Einer Krankenhaussprecherin zufolge wurde er wegen des Vorwurfs des sexuellen Missbrauchs sofort vom Dienst suspendiert. Allerdings ist der Fall klinikintern wohl schon seit Donnerstag bekannt. Der in Verdacht geratene Krankenpfleger ist jedoch nicht unmittelbar bei der Polizei angezeigt worden. An diesem Mittwoch dann hat sich jetzt auch der Vorstandschef der Klinik, Karl Max Einhäupl, zu dem Fall geäußert: „Die Charité hat zur rückhaltlosen Aufklärung der Vorwürfe in den vergangenen Tagen alle Unterlagen zusammengetragen und sie heute der Staatsanwaltschaft übergeben und volle Kooperation zugesagt“. Nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe habe man mit einer sofortigen Suspendierung des Mannes reagiert. Eventuelle weitere personelle Konsequenzen würden umgehend geprüft.

Das Krankenhaus erklärte zugleich, dass es Strafanzeige gegen den Pfleger stellen werde. Ungeklärt ist, warum die Klinikleitung den Mann nicht sofort bei der Polizei angezeigt hat. Begründet wurde dies mit internen Ermittlungen und Befragungen von Mitarbeitern. Auch von den Eltern des Mädchens lag bei der Polizei keine Strafanzeige vor.

Nun, nach Bekanntwerden des Falls, ermittelt die Polizei schon von Amts wegen, wie bei schweren Delikten vorgeschrieben. Inzwischen ist auch die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. „Wir müssen jetzt mit Hochdruck die Patientenakten durcharbeiten“, sagte Justizsprecher Martin Steltner. Bei den Ermittlern heißt es, die Polizei habe von dem Fall erst durch einen Bericht der „Bild“-Zeitung erfahren. Das Mädchen soll den Missbrauch bemerkt haben, als es aufwachte. Es vertraute sich daraufhin seinen Eltern an, die umgehend die Klinik informierten, wie es hieß.

Offenbar hat es die Charité-Leitung wiederholt versäumt, die Öffentlichkeit zu informieren. Das war auch nach dem Keimausbruch auf den Frühchenstationen im Virchow-Campus vor einigen Wochen der Fall. Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) hatte die Informationspolitik der Charité damals kritisiert. Politisch ist allerdings Wissenschaftssenatorin Sandra Scheeres (SPD) für die landeseigene Klinik zuständig. Scheeres ist auch Aufsichtsratsvorsitzende der Charité. Ein Sprecher der Senatorin kündigte an, dass Scheeres sich zum Missbrauchsfall äußern werde. Dies war aber bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe nicht geschehen. Eine umfassende Stellungnahme der Klinikumsleitung stand ebenfalls noch aus. Ob die Kinderschutzkoordinatorin der Charité von dem Fall unterrichtet worden war, ist unklar. Ebenso, ob der Mann schon vorher aufgefallen war. Bei Krankenhäusern ist es jedoch allgemein üblich, dass Pfleger und Ärzte bei ihrer Einstellung ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen müssen.

Vor fast genau zwei Jahren hatte ein ähnlicher Fall bundesweit Aufsehen erregt. Ein damals 27 Jahre alter Pfleger bei Helios in Berlin-Buch hatte den Missbrauch an drei Jungen gestanden, während sie stationär behandelt worden waren. Die Jungen waren sechs, acht und neun Jahre alt und hatten sich teils erst Monate später ihren Eltern offenbart. Der Mann wurde im Mai zu drei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt; nach seiner Verhaftung verübte er einen Suizidversuch und ist seitdem gelähmt. Während des Verfahrens gegen den Pfleger wurden zudem schwere Versäumnisse der Strafverfolgungsbehörden bekannt. Beamte in Oberhavel bei Brandenburg hatten eine Anzeige im September nicht ordentlich bearbeitet und so die Ermittlungen verzögert. Außerdem war die Akte wochenlang zwischen den Polizeibehörden und den Staatsanwaltschaften in Berlin und Brandenburg unterwegs. So lagen drei Monate Zeit zwischen Anzeige und Verhaftung des Täters. Wären die Ermittlungen schneller gelaufen, hätte zumindest der letzte Übergriff verhindert werden können. Die Polizei leitete daraufhin disziplinarische Schritte gegen Beamte ein.

Auf dem Gebiet der Prävention gegen Kindesmissbrauch ist die Charité seit einigen Jahren mit einem renommierten Projekt zur Therapie pädophiler Männer aktiv.

Informationen im Internet:

kein-taeter-werden.de

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