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Brandenburg: Mit ruhiger Hand

Rot-Rot II regiert Brandenburg seit einem Jahr, diesmal ohne Skandale. Lässt Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) die Zügel schleifen? Wie steht es um die SPD-Linke-Koalition vor dem verflixten siebten Jahr?

Stand:

In Brandenburg regiert die von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) geführte rot-rote Regierungskoalition nun genau ein Jahr. Am 5. November 2014 waren Woidke und sein Kabinett im Landtag vereidigt worden. Die Landtagswahl am 14. September hatte die SPD, wie immer seit 1990, gewonnen und sich erneut für eine Koalition mit den Linken entschieden, die seit 2009 mitregieren. Wie sieht die bisherige Bilanz von Woidke und Rot-Rot II aus? Welches Bild bietet die Regierung? Eine Analyse.

Wie war der Start der neuen Regierung?

Eine Jubiläumspressekonferenz hat sich Woidke – anders als sein Vorgänger Matthias Platzeck (SPD) 2010 nach dem ersten rot-roten Jahr in Brandenburg – schon mal verkniffen. Dabei hat Rot-Rot II unter Woidke und dem Vizeregierungschef, Finanzminister und Linke-Parteichef Christian Görke keinen Fehlstart wie Platzeck damals hingelegt, der im ersten Jahr mit den Stasi-Enthüllungen bei den Linken mit diversen Affären zu kämpfen hatte, gleich zwei Minister verlor. Es gab diesmal keine Ausreißer, weder nach oben noch nach unten. Es dominiert das Tagesgeschäft, Brandenburg wird regiert. Aktuell überlagert die Flüchtlingskrise ohnehin alles. Statt einer Pressekonferenz gab es nur eine Mitteilung, Tenor: Rot-Rot hält Kurs, die im Koalitionsvertrag vereinbarten Zukunftsprojekte wurden auf den Weg gebracht, man arbeitet vertrauensvoll zusammen.

Ist es eine Kesselflicker-Koalition?

Es gibt unübersehbar Konflikte zwischen den Koalitionären, etwa in der Schulpolitik, wo die Linken Gemeinschaftsschulen, genannt „Schulzentren“, wollen, die SPD eher bremst. Oder auch aktuell bei der Vorbereitung der umstrittenen Kreisgebietsreform, wo den Linken die Pläne von Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) zu weit gehen, sie die Modelle entschärfen wollen. Allerdings werden die rot-roten Streitigkeiten auffällig selten öffentlich ausgetragen – mit wenigen Ausnahmen. Innenminister Schröter bezeichnete Görke jetzt als „Leichtmatrosen, der bei schwieriger See den Kurs wechselt“. Anlass ist der Umgang mit der Kreisgebietsreform, dem größten Projekt von Rot-Rot in dieser Legislatur. Denn obwohl Görke über Wochen gemeinsam mit Schröter durchs Land tourte, um für die Reform zu werben, rücken Görke und die Linke jetzt in zentralen Punkten von Schröters Linie ab – etwa bei den Mindesteinwohnerzahlen für die geplanten künftigen Großkreise und Gemeindefusionen.

Dennoch läuft es zwischen SPD und Linke insgesamt relativ ruhig. Das war zwischen 1999 und 2009, als eine SPD-CDU-Koalition in Brandenburg regierte, oft völlig anders. Das persönliche Verhältnis der Spitzen – in Brandenburg ziemlich entscheidend – in der Koalition aus SPD und Linken ist bislang nicht gestört, nicht belastet. Das gilt auch für die aktuellen Konflikte um die Asylpolitik oder die Vorratsdatenspeicherung, wo Woidke sich am Freitag wegen des Vetos der Linken im Bundesrat erneut enthalten musste. Der Regierungschef selbst nimmt das locker, verweist bei vielen Gelegenheiten darauf, dass so etwas in Koalitionen deutschlandweit normal sei.

Regiert Woidke zu lax?

Der Eindruck, dass der Regierungschef die Zügel zu locker lässt, dass er abgetaucht ist, ist in den letzten Wochen und Monaten tatsächlich entstanden. Da ist etwas dran. So hat Woidke verhältnismäßig spät das Flüchtlingsproblem zur Chefsache gemacht. Und im Sommer sah es so aus, als wenn in seinem Kabinett jeder machen kann, was er will: Da hatte Justizminister Helmut Markov (Linke) das Volksbegehren gegen Massentierhaltung unterschrieben, das die rot-rote Koalition vorher im Landtag abgelehnt hatte. Und Innenminister Schröter verabschiedete sich in den Urlaub mit der Forderung via „Bild“-Zeitung, in Brandenburg an Asylbewerber kein Bargeld auszuzahlen, sondern Gutscheine zu vergeben. Öffentlich hielt sich Woidke bedeckt, intern pfiff er beide Minister zurück. Das hat auch mit seinem Führungs- und Regierungsstil zu tun, der an den früheren Ministerpräsidenten Manfred Stolpe erinnert. Auch der vermied es immer, sich zu früh festzulegen – was ihm dann, wenn es nötig war, zusätzliche Entscheidungsspielräume verschaffte. So ähnlich ist es jetzt bei der Kreisgebietsreform, wo sich Woidke bislang völlig zurückhält, obwohl es sein wichtigstes Projekt in dieser Legislaturperiode ist. Es bleibt ein Balanceakt. Als Parteichef kann er etwa zum Fall des Havelland-Landrates Burkhard Schröder (SPD), der die AfD besuchte und inzwischen auch noch für ihre Flüchtlingspolitik lobte, nicht mehr lange schweigen. Auf der anderen Seite gibt es auch Defizite im Regierungsmanagement: Die Staatskanzlei unter Amtschef Rudolf Zeeb lässt den Ministerien zu große Freiheit. Konflikte werden nicht selten noch im Kabinett ausgetragen. Normalerweise müssten die vorher entschärft werden. Zeeb, der die Staatskanzlei weniger politisch führt, gilt inzwischen für Koalitionäre als Problemfall, es fehle die Koordination, die Abstimmung, die politische Antenne.

Macht das Kabinett einen guten Job?

Im Rampenlicht steht ja vor allem einer: Innenminister Schröter, der so viel arbeiten muss wie alle anderen zusammen. Er hat die Unterbringung von 35 000 Flüchtlingen in der Erstaufnahme in diesem Jahr hinbekommen, er hat die Kreisgebietsreform vorzubereiten. Er hat das Erbe der völlig vermurksten Polizeireform zu bereinigen. Selbst Oppositionspolitiker zollen ihm Respekt, wie er das Ganze bislang hinbekommt. Die anderen Kabinettsmitglieder haben Glück, dass diese Regierung fast überall mehr Geld ausgeben kann. Das erste Jahr war von zusätzlichen Bewilligungen geprägt, 1000 neue Lehrer, 1500 neue Kitaerzieher, höheres Landespflegegeld.

Und die anderen Minister?

Christian Görke (Finanzen, Linke): Im Unterschied zu seinen Vorgängern hat er gute Bedingungen. Er muss kaum sparen, kann Geld ausgeben, das Land hat eine gefüllte Rücklage von knapp einer Milliarde Euro. Kein Wunder, dass es dem Finanzminister erkennbar gut geht. Allerdings machen auch ihm die steigenden Ausgaben für die wachsende Zahl der Flüchtlinge zu schaffen – deshalb pocht er stets auf mehr Geld vom Bund. Abstriche bei den zentralen Projekten Bildung, Soziales und Wissenschaft will er vermeiden, wie Woidke.

Diana Golze (Soziales, Linke): Sie macht eine gute Figur, hat sich schnell eingearbeitet, ist viel unterwegs. Und sie versucht, Stichwort Kinderarmut, Profil zu gewinnen.

Kathrin Schneider (Infrastruktur, parteilos): Ihre Auftritte wirken noch etwas spröde, aber sie ist fachlich versiert. Sie nimmt, ein erster Akzent, auch den vernachlässigten Speckgürtel ins Visier, was überfällig war. Dass sie die Richtersprüche übergeht, die den Landesentwicklungsplan für ungültig erklärten, könnte zum Problem für sie werden.

Albrecht Gerber (Wirtschaft, SPD): Er ist lange dabei, kann das Handwerk. Im Ministerium hat er nach den chaotischen Zuständen unter Vorgänger Ralf Christoffers Ordnung gemacht. Seine größte Baustelle: die Zukunft der Braunkohle und der Lausitz mit Tausenden Jobs.

Günter Baaske (Bildung, SPD): Zunächst hatte er einen guten Start, er korrigierte Fehler seiner Vorgängerin im Eiltempo und konzentriert – zuweilen etwas grob – alles darauf, den Unterrichtausfall zu verringern. Ihm unterlief aber ein erster Patzer, als er Lehrern unterstellte, blauzumachen.

Sabine Kunst (Wissenschaft, SPD): Die umstrittene Hochschulfusion in Cottbus hat sie durchgebracht, bei den Hochschulen läuft es einigermaßen. Als Denkmalschutzministerin ist sie eher ein Ausfall: Als Ministerin hat sie das letzte Wort, trifft aber fast immer Entscheidungen gegen den Denkmalschutz.

Helmuth Markov (Justiz, Linke): Er ist ein rotes Tuch für die Justiz, die er leistungsfähiger machen will. Die Verwaltungsgerichte etwa sind die ineffizientesten in Deutschland. Nirgendwo bearbeiten Richter so wenige Fälle wie hier. Den Sozialgerichten verschaffte er mehr Personal. Doch in der Koalition hat Markov den Ruf, die Justiz wie ein Finanzminister zu führen, sich zu wenig um Probleme in den Haftanstalten zu kümmern, zu wenig um linke Justizpolitik. Seine Steckenpferde sind eher Europa und Verbraucherschutz.

Jörg Vogelsänger (Agrar, SPD): Er gibt den Netten, macht aber knallharte Macht- und Klientelpolitik – gegen Natur- und Umweltschutz, für die Agrarindustrie. Beispiel ist eine Personalie: Er zog Matthias Freude, den angesehenen Präsidenten des Landesumweltamtes, von seinem Posten ab. Aktuell steht er wegen des Umgangs mit einer Förderaffäre seiner Vorgänger unter Druck.

Lässt Woidke den BER links liegen?

Nein, das täuscht. Zwar ist Woidke nicht im Aufsichtsrat der Flughafengesellschaft, was Berlin immer wieder kritisiert. Er hat aber Brandenburgs Vertretung im Aufsichtsrat neu strukturiert, und zwar entsprechend den Empfehlungen des Rechnungshofes – ohne Minister, dafür externe Fachleute. Brandenburg hat inzwischen im Landtag die Finanzierung von 880 Millionen Euro für Fertigstellung und Erweiterung des Flughafens – den Landesanteil am 2,2-Milliarden-Paket – auf den Weg gebracht. In Berlin und beim Bund gibt es die entsprechenden Beschlüsse noch nicht.

Wie steht Rot-Rot nach einem Jahr im Ansehen der Brandenburger da?

Trotz der Flüchtlingskrise, die auch in Brandenburg viele beunruhigt, ist die politische Lage bislang stabil. Nach einer Umfrage vom September sind 57 Prozent der Brandenburger zufrieden mit der rot-roten Landesregierung, 38 Prozent nicht. Aber selbst 39 Prozent der CDU-Anhänger und 54 Prozent der Grünen-Anhänger finden, dass die Regierung ihre Sache gut macht. Wenn Landtagswahlen wären, läge die SPD weiter klar vorn, mit 35 Prozent (Forsa), 32,5 Prozent (Forschungsgruppe Wahlen) und 31 Prozent (Infratest), Umfragen, die alle im September erhoben worden sind. Die Linke käme auf 20 bis 22 Prozent. Und Ministerpräsident Dietmar Woidke ist, wie jeder Regierungschef im Land seit 1990, mit Abstand beliebtester Landespolitiker. Wie das Land, so die Leute. Und die Regierung.

Und wie schlägt sich die Opposition?

Die Grünen punkten weiterhin mit ihrer detaillierten Sacharbeit über die Fraktionsgrenzen hinweg – mal mit Rot-Rot, mal mit der CDU. Die Union hat durch den Wechsel an der Spitze mit Ingo Senftleben deutlich aufgeholt, vermeidet Fundamentalopposition und schrille Töne wie vormals während Rot-Rot I. Die Freien Wähler arbeiten sich mit drei Abgeordneten in die Details ein – ihre Klage vor dem Verfassungsgericht für mehr Gruppenrechte könnte die „Großen“ noch blass aussehen lassen. Und die rechtspopulistische AfD? Ohne Worte.

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