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Thorsten Walter vom „Green Forest Fund“ pflanzt Bäume in Brandenburg.

© Robert Klages

Organisation kauft Waldgebiete: Wo in Brandenburg „moderne Urwälder“ entstehen

Der „Green Forest Fund“ kauft aus Spendengeldern Flächen und möchte Urwälder pflanzen – nun erstmals auch in Brandenburg. Doch die Gesetze und Nachbarn des Waldes machen dies nicht so leicht.

Inmitten der Brandenburger Wälder entstehen Urwälder. Die Flächen sollen Jahrhunderte lang nicht angefasst und vor Abholzung sowie menschlichem Eingriff geschützt werden. Die gemeinnützige Organisation „Green Forest Fund“ mit Sitz in Heidelberg kauft durch Spendengelder Äcker, Wiesen, Brachland und Waldgebiete in ganz Deutschland und möchte so die „Urwälder von morgen“ schaffen, wie Thorsten Walter dem Tagesspiegel bei einem Spaziergang durch die neuen Areale im Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe-Brandenburg erzählt.

Die Organisation besitzt bereits über 750.000 Quadratmeter Land und hat über 25.000 Bäume gepflanzt. Begonnen hat sie das Projekt in Baden-Württemberg. Nun wurden erstmals Gebiete in Brandenburg gekauft: 55 Hektar für rund 600.000 Euro.

25 000
Bäume hat der „Green Forest Fund“ bereits aus Spendengeldern gepflanzt.

Aber einfach ein Stück Wald kaufen und dann in Ruhe lassen, so einfach ist das nicht, wie Walter schnell feststellen musste – denn auch im Dickicht herrschen strenge deutsche Gesetze. Eine Aufforstung muss vom Landeswirtschaftsamt genehmigt werden, das auch über eine Umwandlung von einer Wirtschaftsfläche hin zu einem Wald entscheidet, in dem dann nicht mehr abgeholzt werden darf. Für Walter ein Systemfehler: „Das ist, als wenn Sie einen Metzger fragen, ob Sie vegan leben sollten.“

Die Flusslandschaft der Elbe ist eine der storchenreichsten Regionen in Deutschland mit mehr als 500 Paaren.
Die Flusslandschaft der Elbe ist eine der storchenreichsten Regionen in Deutschland mit mehr als 500 Paaren.

© Robert Klages

Außerdem gibt es die „Jagdpflicht“: Wer ein Stück Wald besitzt, ist per Gesetz Mitglied in einer Jagdgenossenschaft. Der „Green Forest Fund“ allerdings möchte seine Wälder gerne zu jagdfreien Zonen erklären. Doch nur natürliche Personen als Eigentümer von Flächen können ihr Eigentum von der Jagd befreien. Denn nur diese können ein schlechtes Gewissen haben, das für eine Jagdbefreiung laut Gesetz notwendig ist. Das ist bei juristischen Personen wie einer gemeinnützigen Organisation nicht möglich.

Drei Prozent der Flächen des Reservats sollen zu geschützten Zonen erklärt werden

Auch Torsten Hennig ist Jäger. Statt mit „Weidmannsheil“ grüßt er an diesem Donnerstagmorgen aber schlicht mit „Hallo“. Er ist beim Biosphärenreservat für die Umsetzung des Projekts „Natura 2000“ zuständig und arbeitet mit seinem Namensvetter Thorsten Walter zusammen, betreut die Flächen des „Green Forest Fund“ in Brandenburg.

Philosophieren über den Wald: Thorsten Walter vom „Green Forest Fund“ und Torsten Hennig vom Biosphärenreservat.
Philosophieren über den Wald: Thorsten Walter vom „Green Forest Fund“ und Torsten Hennig vom Biosphärenreservat.

© Robert Klages

Hennig erklärt, es müsse eine Pflicht zur Jagd geben, da die Tiere Einfluss auf den Menschen ausüben. Es geht um Wildschäden: Wenn ein Reh irgendwo junge Bäume anknabbert, können diese nicht wachsen. Hier kann es zu rechtlichen Streitigkeiten kommen, da Pächter von Flächen dafür verantwortlich gemacht werden können, wenn durch „ihr“ Wild andernorts Schaden entsteht.

Dieser Wald gehört dem „Green Forest Fund“ und soll nicht mehr „aufgeräumt“ werden.
Dieser Wald gehört dem „Green Forest Fund“ und soll nicht mehr „aufgeräumt“ werden.

© Robert Klages

Torsten Hennig wirft ein Auge auf den Wald und begrüßt das Projekt von Walter. Das 53.000 Hektar große Unesco-Reservat in Brandenburg ist eine Modellregion: 2,7 Prozent der Waldfläche sind zu geschützten „Kernzonen“ erklärt worden, in denen nicht mehr abgeholzt wird und totes Holz liegen bleibt. Das Biosphärenreservat kooperiert mit dem „Green Forest Fund“. Denn die Kernzonen sollen wachsen, um mindestens drei Prozent.

Ein Großteil der Waldflächen gehört Privatpersonen, darunter auch Jäger. Nach der Wende wurden große Gebiete für teilweise sehr wenig Geld abgegeben und die Eigentümer:innen verdienen am Holz und der Jagd, verkaufen das Holz ihres Waldes oder die erlegten Tiere, vermieten an Jagdgruppen.

Wald oder Forst, das ist die Frage

Die Wälder in Brandenburg sind geprägt durch Monokultur: „Was wir hier haben, ist kein Wald, sondern Forst, also planmäßig angelegte Wälder“, sagt Hennig vom Biosphärenreservat. „Das Holz wird genutzt wie ein Landwirt seine Feldfrüchte nutzt, nur in einem längeren Zeitraum.“ Der Forst produziert Holz, das dringend benötigt wird. Aber es brauche eben auch Biodiversität: Umgekippte Bäume und Mischwälder sind gut für das Ökosystem, da sich Tiere und Pflanzen so auf natürlichem Wege entwickeln können. Es entstehen Pilze, Pflanzen und Insekten, die sich im Forst nicht halten könnten.

Waldfreunde: Thorsten Walter und Torsten Hennig kümmern sich um den Erhalt der Wälder.
Waldfreunde: Thorsten Walter und Torsten Hennig kümmern sich um den Erhalt der Wälder.

© Robert Klages

Zunächst müssen die „Urwälder von morgen“ allerdings ebenfalls angepflanzt werden. Aus der brandenburgischen Monokultur mit dominanten Kiefern soll eine Mischkultur werden – in Annäherung daran, wie Wald vor rund 10.000 Jahren weite Teile Europas bedeckte. Dass man diesen Urzustand nicht wieder zurückholen kann, ist Walter und Hennig bewusst.

Wir garantieren, dass unsere Flächen nicht verkauft oder abgeholzt werden.

Thorsten Walter von der Organisation „Green Forest Fund“.

Ein „neuer Urwald“ benötigt ungefähr drei bis vier Baumgenerationen, mindestens 400 Jahre. „Wir bekommen den Auftrag von den Spender:innen, unberührte Natur zu schaffen und zu erhalten“, sagt Walter. In der Satzung der Organisation ist klar geregelt, dass die gekauften Flächen nicht einfach weiterverkauft oder ans Land abgegeben werden können. „Wir garantieren, dass unsere Flächen nicht verkauft oder abgeholzt werden.“

Das Vermögen der Organisation wird gemeinnützig verwaltet. Auch Walter kann den Verein und die Grundstücke nicht einfach selbst verkaufen oder abgeben. Und spätestens, wenn die Gebiete zu Kernzonen erklärt würden, wären sie vor Fremdnutzung vollständig geschützt.

Torsten Hennig vom Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe-Brandenburg.
Torsten Hennig vom Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe-Brandenburg.

© Robert Klages

Thorsten Hennig gibt zu bedenken, dass man wenig Zeit habe: Klimawandel, Waldbrände und Naturkatastrophen machen den Wäldern zu schaffen. Man habe zu spät erkannt, dass etwas unternommen werden muss. Aber er glaube an eine Bewegung in der Gesellschaft hin zu mehr Bewusstsein dafür, dass der Klimawandel gestoppt werden kann.

Die „Urwälder von morgen“ sollen das „Klima von morgen“ schaffen. Eine 100 Jahre alte Eiche filtert im Laufe ihres Lebens etwa 3 Tonnen CO2. Für 30 Euro Spende kann man beim „Green Forest Fund“ einen Baum „kaufen“. „Es werden hochwertige Setzlinge verschiedener Sorten für eine gesunde Mischkultur gewählt“, erklärt Walter. „Abgestimmt mit dem Naturschutz. Angepasst an die Umweltbedingungen und den Klimawandel.“ Der Verein pflanzt und pflegt die Bäume. Doch auch das ist aufwändig.

Auf der Fläche in Brandenburg müssen die Setzlinge, auf Empfehlung von Hennig, mit einem Zaun geschützt werden. Die jungen Bäume fallen sonst Wild zum Opfer. Der „moderne Urwald“ benötigt Starthilfe. Zusammen mit Hennig stellt Walter ein Schild auf, das die Nutzung dieser Waldfläche erklärt. Klar, die Nachbar:innen seien etwas skeptisch, sagt Walter.

Einfaches Jagen: Mais im Kegel lockt Wild an - Peng.
Einfaches Jagen: Mais im Kegel lockt Wild an - Peng.

© Robert Klages

Unmittelbar neben dem angehenden Urwald hat ein Jäger einen Futterkegel mit Mais aufgestellt – um Wild anzulocken und einfacher schießen zu können. Für Walter ein No-Go. Auch Hennig begrüßt diese Art des Jagens nicht, aber es müssten Tiere „entnommen“ werden, um den Wald und sein Wachstum zu schützen und den Wildschaden gering zu halten.

Walter und Hennig laufen weiter zu einem anderen Grundstück des Green Forest Funds, schön gelegen an einem See, frisch gekauft nach zähen Verhandlungen. Auf dem Weg sammelt Walter allerhand Müll aus dem Wald: Stühle, PVC, Holzlatten, eine Vase.

3
Tonnen CO2 speichert eine 100 Jahre alte Eiche im Laufe ihres Lebens.

Um von einem Waldstück zum anderen zu kommen, muss eine Straße überquert werden. Laster brettern vorbei, ein Jeep bremst lautstark und setzt zurück: Der Revierförster. Auch er grüßt nicht mit „Weidmannsheil“ und ist Befürworter des Projekts. Früher, erzählt er, sollte hier mal eine Art Aqua-Vergnügungspark entstehen, dann wäre der Wald weg gewesen.

Heute geht man nicht mehr ganz so unachtsam mit dem Wald um, trotzdem kommt es zu Abholzungen, die Waldflächen in Deutschland verringern sich zusehends: Waldbesitzer dürfen bis zu zwei Hektar abholzen, ohne eine Genehmigung einholen zu müssen. Laut Waldgesetz sind sie aber dazu verpflichtet, innerhalb von 36 Monaten mindestens 40 Prozent der Fläche wieder aufzuforsten.

Wie viel zwei Hektar sind, sieht man auf der gerade vom Forest Fund gekauften Fläche: Der Eigentümer hat kurz nach dem Verkauf nochmal die Kettensäge geschwungen. „Naturschänder“ steht in großen Buchstaben auf einem Baum, der aus unerklärlichen Gründen in der Mitte der Abholzung stehen gelassen wurde. Walter beteuert, dass niemand von seiner Organisation dafür verantwortlich ist.

Der Waldeigentümer hat abgeholzt - und Unmutsbekundungen geerntet.
Der Waldeigentümer hat abgeholzt - und Unmutsbekundungen geerntet.

© Robert Klages

Der Eigentümer hat große Waldgebiete nach der Wende von der Treuhand gekauft – macht nun Geld mit dem Verkauf von Holz und dem Verkauf der Flächen. Walters Organisation ist das egal: In rund 400 Jahren könnte hier ein „moderner Urwald“ das Klima schützen. Daher müsse man auch mit solchen Leuten verhandeln.

Wirkliche Urwälder gibt es in Europa nur noch äußerst selten. Einer der letzten Flachlandurwälder des Kontinents befindet sich in Belarus und Polen. Deutschlands Nachbarland hat ebenfalls „Kernzonen“ in Wäldern errichtet, die geschützt werden sollen. In Deutschland befindet sich auf der Insel Vilm, in der Ostsee bei Rügen, ein 500 Jahre alter Buchenwald. Das gesamte Eiland steht unter Naturschutz und darf nicht individuell betreten werden.

„Naturschänder“ haben Unbekannte auf einen Baum im Abholzgebiet geschrieben.
„Naturschänder“ haben Unbekannte auf einen Baum im Abholzgebiet geschrieben.

© Robert Klages

Wenn Thorsten Walter seine Baby-Urwälder in Brandenburg besucht, nächtigt er mit seiner Familie im „ahead“ Burghotel Lenzen: vollständig vegan und nachhaltig. Zusammen mit seiner Frau Susanna Sielicki-Walter hat er „Green Forest Fund“ mit derzeit drei Angestellten 2017 gegründet.

Abholzung für den privaten Gewinn: Bis zu vier Hektar dürfen geschlagen werden.
Abholzung für den privaten Gewinn: Bis zu vier Hektar dürfen geschlagen werden.

© Robert Klages

Früher hat Thorsten Walter in einer Bank gearbeitet. Er erzählt, nach einer Auszeit durch eine Lebensmittelvergiftung habe er bei Spaziergängen in Heidelberg mit seinem Hund Eddie den Wald neu schätzen gelernt und auch erstmals bewusst einen Baum umarmt. Mit der Zeit entwickelte sich eine besondere Beziehung zu einem großen Baum. Doch plötzlich sei dieser weg gewesen, nur noch ein Stumpf.

„Das war ein wichtiger Moment für mich.“ Er beschloss zu handeln. Ob in 400 Jahren in Brandenburg ein moderner Urwald steht, wird weder er noch jemand anderes von uns jemals erfahren. Aber es geht, so betont Walter, um Inspiration, um Aufklärung und ums Handeln. Und dafür sei es nie zu spät.

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