zum Hauptinhalt
Meinungsfreiheit. Eine junge Frau zeigt am Pariser Platz ihre Sicht.

© Reuters

Brandenburg: Paris im Herzen

Tausende gedachten in der Bundeshauptstadt am Sonntag der Opfer der Terroranschläge in Frankreich

Berlin - Tausende strömen am frühen Nachmittag auf den Pariser Platz, um ihr Mitgefühl mit den Opfern der Terrortaten in Frankreich zum Ausdruck zu bringen. Um kurz nach 15 Uhr ist der Platz am Brandenburger Tor voller Menschen. Um 16.20 Uhr zählt die Polizei bereits 18 000 Teilnehmer. Viele haben T-Shirts über ihre Jacken gezogen, auf denen steht „Je suis Charlie“ und „Freiheit ist grenzenlos“. Auch auf die Fassade der Botschaft ist der Slogan „Je suis Charlie“ projiziert – Solidaritätsbekundung mit den Opfern des Massakers in der Redaktion der Zeitschrift „Charlie Hebdo“.

An der Botschaft legen Menschen Kränze und Blumen ab. Mit zunehmender Besucherzahl steigt aber auch die Nervosität. Während man zu Anfang noch unkontrolliert bis fast an das Gebäude herankommt, lässt die Polizei später Menschen nur noch in kleinen Gruppen durch – auf Wunsch der Botschaft, wie ein Polizist sagt. Schnell bilden sich Schlangen vor den Zugängen. Als es dämmrig wird, zünden viele Menschen Windlichter an. Gut 20 Menschen halten Kartons in die Höhe mit Buchstaben, die aus fluoreszierenden Stäben gebastelt sind – „Berlin ist Charlie – Tolerance“ steht darauf. Nach und nach wechseln sich Freiwillige ab, die das Schild weiter hochhalten. Andere haben Kerzen und weiße Rosen in den Händen.

Die französische Filmcutterin Khadiya Bouassida, die seit 2010 mit ihrer Familie in Berlin lebt, ist mit ihren Kindern Nil (9) und Elias (7) gekommen. „Bisher haben wir die Kinder von diesem Thema ferngehalten und mit ihnen nicht über die Terrorgefahr“ gesprochen, sagt die Frau, deren Eltern aus Tunesien stammen. „Jetzt aber ist das alles so nahegekommen, da haben wir mit den Kindern darüber geredet und ihnen erklärt, dass auch in Berlin so etwas passieren kann.“ Und dass man daher für die Freiheit der Presse und gegen brutale Gewalt demonstrieren müsse.

Cédric Mollaret ist mit seinem Sohn Maximilian (8) gekommen. Der Managementberater lebt seit 2008 in Berlin und sagt: „Wir lassen uns nicht zum Schweigen bringen, auch unsere Kinder sollen verstehen, wofür wir kämpfen, damit diese Menschen nicht umsonst gestorben sind.“ Auch Friedrich Schneider und Melanie Jürgens sind dabei, Medizinstudenten aus Friedrichshain. Ihre Motivation fassen sie so zusammen: „Klare Kante gegen Extremisten, egal welche Konfession oder Politik, aber Offenheit und Hilfsbereitschaft für alle andere Menschen, für Muslime ebenso wie Christen und Anhänger aller anderen Religionen.“

Die ersten Solidaritätsbekundungen hatte es bereits am Sonntagmorgen gegeben: Bei der Gedenkveranstaltung zu Ehren der am 15. Januar 1919 ermordeten Sozialistenführer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, zu der am Vormittag laut Polizei 10 000 Menschen kommen, sind die Ereignisse von Paris ebenfalls ein Thema. „Nous sommes Charlie!“ steht auf einem Transparent, das eine Gruppe von Teilnehmern der Luxemburg-Liebknecht-Demonstration vor sich her trägt, als der Gedenkzug vom Frankfurter Tor kommend gegen Mittag an der Gedenkstätte der Sozialisten auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde in Lichtenberg eintrifft. „Es geht um die Bedrohung der Freiheit, das betrifft uns alle“, sagt die 20-jährige Clara von der Initiative Allmende, die sich für alternative Migrationspolitik engagiert. Auch die 90-jährige Erika Baum, die mit Parteifreunden das rote Banner der kommunistischen DKP in den kalten Wind hält, ist in Gedanken in Paris, wie sie sagt. „Ich stehe auf Seiten von ,Charlie Hebdo’ – allerdings nicht so wie Frau Merkel.“ Für Erika Baum repräsentiert die französische Satirezeitschrift eine kritische linke Gegenöffentlichkeit.

„Das Entsetzen schwingt hier bei vielen mit“, sagt auch Katina Schubert, Landesgeschäftsführerin der Linkspartei. Viele Teilnehmer des Sozialisten-Gedenkens kommen am Nachmittag auch auf den Pariser Platz. Darunter auch Hans Coppi, Landesvorsitzender der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. „Es bewegt uns sehr, dass Juden wieder das Ziel von Anschlägen sind“, sagt er.

Am heutigen Montag geht es weiter am Pariser Platz und auch in Marzahn. In Mitte wollen die Islamgegner von Bärgida in einem zweiten Anlauf versuchen, eine Demonstration zu starten. Vor einer Woche hatten 5000 Gegendemonstranten dies am Roten Rathaus verhindert.

Für heute hat sich ein selten breites Bündnis gegen Bärgida gebildet. Alle im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien veröffentlichten am Wochenende einen gemeinsamen Aufruf, sich an den Protesten gegen Bärgida zu beteiligen. Die Initiative Bärgida erwartet ab 18.30 Uhr 600 Teilnehmer auf dem Pariser Platz, an Gegenprotesten dürften sich wieder Tausende beteiligen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })