zum Hauptinhalt
Immer mehr Menschen flüchten derzeit – vor allem vor dem Krieg in Syrien. Wie viele von ihnen Brandenburg aufnehmen will, darüber streiten die Parteien noch – trotz Merkels klaren Worten.

©  dpa

Flüchtlinge in Brandenburg und Berlin: Schafft Brandenburg das?

Gegen die Farbenlehre: Brandenburgs Ministerpräsident Woidke fordert vom Bund härteres Vorgehen gegen steigende Flüchtlingszahlen. Die Linke hält es inzwischen mit Kanzlerin Merkel, die wird auch von der CDU verteidigt. Und die AfD testet Nazi-Vokabular.

Stand:

Potsdam - In Brandenburgs rot-roter Regierungskoalition brodelt es. Nicht nur weil sich Brandenburg in der kommenden Woche auf Druck der Linken im Bundesrat zur Verschärfung der Asylgesetze enthalten wird – obwohl Regierungschef Dietmar Woidke (SPD) noch als Chef der Ministerpräsidentenkonferenz genau diesen Schritt durchgesetzt hat. Dabei geht es um die Frage, ob die Westbalkanstaaten als sichere Herkunftsländer deklariert werden sollen. CDU-Fraktions- und Landeschef Ingo Senftleben erklärte deshalb, Woidke sei nicht handlungsfähig, weil er von den Linken ausgebremst werde. Nun sorgen auch die jüngsten Äußerungen von Woidke beim kleineren Koalitionspartner für neuen Unmut. Inzwischen hält es die Linke in der Flüchtlingsfrage fast schon eher mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die sich konsequent gegen eine Einschränkung des Asylrechts und eine Abschottung Deutschlands an den Grenzen ausspricht. In der Flüchtlingsfrage verschwimmen die Frontlinien in der Landespolitik inzwischen. Ein Überblick.

Was Ministerpräsident Woidke will

Woidke hatte in einem Gastbeitrag für die „Wirtschaftswoche“ eine Begrenzung der Zuwanderung und eine zügige Abschiebung abgelehnter Asylbewerber gefordert. Es könnten nicht alle Kriegsflüchtlinge aus Syrien, Afghanistan oder Eritrea allein in Deutschland Platz finden. „Eine europäische Lösung muss her, das ist der Auftrag, den die Kanzlerin zu erfüllen hat“, schrieb Woidke. „Es darf keine weiteren Zeichen in die Welt geben, dass Deutschland alle aufnehmen will und kann.“ Bei der Belastbarkeit der Länder und Kommunen gebe es faktische Grenzen, „und denen nähern wir uns rasant“. Und auch Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) sprach von einem Krisenmodus. Die Lage sei dramatisch und das sei nicht untertrieben, hieß es. Die Landräte klagen, dass die Behörden in den Landkreisen nur noch auf Sicht fahren.

Die Linke hadert mit Woidke

Die Linke reagierte entsetzt: Landesparteivize Sebastian Walter kommentierte: „Ich kann es nicht mehr hören. Ein Ministerpräsident muss sich jetzt um die anstehenden Aufgaben in diesem Land kümmern und keine Krise herbeireden.“ Die Forderung nach einer schnellere Abschiebung würde nicht ein einziges Problem lösen.

In der Linken wird darauf verwiesen, dass die Zahl der Flüchtlinge vom Balkan, die nicht mit einer Asyl-Anerkennung rechnen können, in den vergangenen Wochen rapide gesunken sei. Vielmehr kämen die meisten Flüchtlinge aus den Kriegs- und Krisengebieten in Syrien, Irak und Afghanistan.

Andrea Johlige, flüchtlingspolitische Sprecherin der Linke-Landtagsfraktion, sagte: „Wir sind ein reiches Land – und da halte ich es mit Frau Merkel. Wir können das schaffen. Das ist aber eine Frage des politischen Willens.“ Es wäre wirklich hilfreich, wenn „wir uns einfach mal alle um unsere Aufgaben kümmern“ und die Diskussionen um angebliche Belastbarkeit endlich einstellen würden. „Es hilft uns nicht, darüber zu lamentieren, dass wir etwas nicht schaffen. Wir sollten einfach unseren Job machen.“ Ob Brandenburg an der Belastungsgrenze sei, sei eine Frage des Maßstabes. Aus der Angst heraus, dass sich das Leben in Brandenburg ändere, seien es vielleicht zu viele Flüchtlinge. „Das ist aber eine Logik, die mit humanistischer Sicht nicht viel zu tun hat“, sagte sie. Nun solidarisch zu sein, bis tatsächlich viele Flüchtlinge kommen, funktioniere nicht. Sicherlich sei die Situation schwierig, es gebe viel zu tun. Integration sei mehr, als den Menschen ein Dach über den Kopf zu geben. „Das dauert und es knirscht an ein paar Stellen“, sagte Johlige. Zudem forderte die Linke-Politikerin ein grundsätzliches Umdenken in Brandenburg. „Politik und Verwaltung im Land und den Kreisen waren jahrelang darauf ausgerichtet, wegen der sinkenden Einwohnerzahlen zu schrumpfen.“ Bei 30 000 erwarteten Flüchtlingen, die Hilfe bräuchten und motiviert seien, sich hier ein neues Leben aufzubauen, sei nun ein Umschalten nötig – weg von den Zahlen hin zu einer Diskussion über die Chance für Brandenburg. „Wir müssen die Strukturen so gestalten, dass es funktioniert.“

Die SPD-Fraktion zeigt sich gelassen

SPD-Landtagsfraktionschef Klaus Ness sagte in dieser Woche, er habe den Eindruck, die Linke würde bei Asylfragen ein bisschen an ihrer Wählerschaft vorbei agieren. Zugleich gab sich Ness weitaus gelassener als Woidke. Es sei damit zu rechnen, dass ein Viertel der 30 000 erwarteten Flüchtlinge keinen Aufenthaltsstatus bekomme. „Wir müssen davon ausgehen, dass die Hälfte bei uns bleibt“, sagte Ness. Nach der aktuellen Nothilfe folge die nötige Integration. Ness bezeichnete es als leistbar, dass bei 800 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Brandenburg zusätzlich rund 10 000 Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt integriert werden können. „Es ist nicht so, dass wir eine Invasion erleben und überrannt werden“, sagte Ness. „Unser Ziel muss es sein, dass die Menschen, die dauerhaft hierbleiben, schnell zu guten Bürgern dieses Landes werden.“ Das müsse die Landesregierung organisieren und die SPD im Landtag werde „Druck machen, dass da erkennbar was passiert“.

CDU-Spitze verteidigt Merkel

Brandenburgs CDU-Landeschef Ingo Senftleben hat die Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gegen Kritik aus den eigenen Reihen verteidigt. Er vertraue Merkel in der jetzigen Phase, sagte Senftleben den PNN. „Ich habe mit ihr in den vergangenen Wochen viele Gespräche führen dürfen. Deswegen weiß ich auch, was ihre Vorstellungen und Motive sind und kann ihr erst recht vertrauen.“ Er wolle niemanden davon abhalten, sich einzubringen. „Aber vielleicht sei es manchmal besser, die Aufgabe anzupacken, als sich bei anderen darüber zu beschweren, dass man zu wenig Gehör findet“, fügte er hinzu. Wie berichtet hatten sich bundesweit 34 CDU-Funktionäre in einem Schreiben von der Flüchtlingspolitik Merkels distanziert und Maßnahmen gegen den Flüchtlingsandrang gefordert. Auch Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) erhöhte zuletzt massiv den Druck und drohte mit Notmaßnahmen sowie einer Verfassungsklage.

Merkel habe „mit einer entwaffnenden Ehrlichkeit über die Sorgen der Deutschen gesprochen und gezeigt, mit welcher Entschlossenheit sie an der Bewältigung der Flüchtlingskrise arbeitet“, sagte Senftleben. Damit setze Merkel „auch in der Flüchtlingspolitik den erfolgreichen Weg der Mitte fort und hat dabei unser volles Vertrauen“. Er verstehe, dass es Sorgen und Nöte in der aktuellen Situation gebe, sagte Senftleben. Um die Situation zu entschärfen, müsse „jetzt endlich Ruhe“ in den Krisengebieten entstehen. Auch müsse es eine gerechte europäische Asylpolitik geben und das Asylgesetz wie geplant verschärft werden. Dies seien aber keine schnellen Lösungen. „Wir haben aber auch die verdammte Pflicht, zu integrieren. Nämlich die Leute, die hierherkommen und hierbleiben werden“, sagte der CDU-Politiker.

Die AfD isoliert sich weiter

In Brandenburg dringt die rechtspopulistische AfD mit ihrer Stimmungsmache gegen Flüchtlinge nicht durch. Bei einer Protestaktion der AfD vor dem Landtag lag die Teilnehmerzahl unter hundert Teilnehmern. AfD-Landes- und Fraktionschef Alexander Gauland, der auch Bundesvize ist, versuchte es deshalb am Mittwoch im thüringischen Erfurt, wo 8000 Menschen dem Protestaufruf der dortigen AfD folgten. Gauland sprach von einem Protest gegen eine Politik, „die Volk und Staat gefährdet“, er richtet sich gegen die eigene Auflösung „in einem Strom fremder Menschen“. Er forderte: „Asylrecht abschaffen, Grenzen zu.“ Die Menschen applaudierten Gauland und skandierten: „Merkel muss weg“, „Volksverräter“. „Ami go home“ oder den bei Neonazis beliebten Spruch: „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen.“ Mit dem Druck der Straße, also Demonstration, „müssen wir dafür sorgen, dass Abschiebungen durchgeführt werden“. Gauland sagte zu Merkels inzwischen historischer Erklärung („Wir schaffen das“): „Nein, wir wollen das gar nicht schaffen.“

Merkel solle sich ein anderes Volk suchen. „Es wird Zeit, dass wir das Schicksal des deutschen Volkes aus den Händen dieser Bundeskanzlerin nehmen, damit wir ein deutsches Volk bleiben“, sagte Gauland und nahm damit Bezug auf den Begriff „Schicksalsgemeinschaft“ der Nazis im Dritten Reich. In dieses Bild passt auch, was Gauland am Freitag sagte. Mit Blick auf Merkels Entscheidung von Anfang September, Tausende von Flüchtlingen, die in Ungarn festsaßen, nach Deutschland reisen zu lassen, erklärte er: „Frau Merkel hat sich als Schleuser betätigt.“ Die Bundes-AfD will deshalb Strafanzeige gegen Merkel stellen. Am härtesten reagierte in Brandenburg die Landes-CDU. Generalsekretär Steeven Bretz sagte: „Bei Gauland brennen offensichtlich die letzten Sicherungen durch. Er entwickelt sich immer mehr zum Hassprediger.“ (mit Stefan Engelbrecht)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })