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Brandenburg: Völlig schwerelos
25 Jahre nach dem Fall der Mauer besuchten zwei Millionen Menschen aus aller Welt Berlin. Die Lichtgrenze war Fotomotiv und Erinnerungsort zugleich. Nostalgisch wurde es an der Tankstelle
Stand:
Wer am Wochenende entlang der „Lichtgrenze“ durch die Stadt flanierte, konnte sich zumindest akustisch wie bei den Vereinten Nationen fühlen: Ein Begeisterungsruf auf Griechisch hier, eine Unterhaltung auf Spanisch dort, kurz danach ein paar Wortfetzen Schwedisch, und zwischendurch immer wieder exotische Sprachen, die mancher nie zuvor gehört hatte.
Besucheransturm
Bis zu zwei Millionen Gäste von außerhalb feierten Schätzungen zufolge am Wochenende mit den Berlinern den 25. Jahrestag der Maueröffnung. Dabei wurde die östliche Innenstadt zum Festgelände – und das nahezu rund um die Uhr. Tag und Nacht traf man zwischen Bornholmer Straße, Brandenburger Tor und Oberbaumbrücke begeisterte Menschen, die sich vor der Balloninstallation fotografierten, Musikanten lauschten, historische Film-Schnipsel aus dem Herbst 1989 auf den Leinwänden verfolgten und mit den Leuchtballons spielten, die Souvenirhändler entlang der 15 Gedenk-Kilometer verkauften. Und immer wieder konnte man Eltern dabei zuhören, wie sie ihren Kindern von Zeiten erzählten, als die Mauer Familien in Ost und West trennte. Schwierige Erinnerungen vor einer schwerelosen Kulisse.
Brandenburger Tor
Die meisten Gäste laufen zuerst zum Brandenburger Tor. Hier ist man richtig, das Tor ist eine deutsche Welt- und eine Berliner Wertmarke, es war, wie alles in der Stadt, 28 Jahre lang eingesperrt. Ungezählte Gäste der Stadt und viele Berliner stehen fasziniert vor der Leinwand schräg gegenüber der US-Botschaft. In Endlosschleifen laufen die Filme zum Tage, eben noch fühlte Stefan Heym die Demokratie herannahen, da blättert Günter Schabowski in seinen Papieren: „Das gilt nach meiner Kenntnis sofort, unverzüglich“. Tausendmal gehört, immer wieder schön, auch noch nach 25 Jahren. Man muss sich eigentlich nur umschauen, was sich seither in dieser Gegend verändert hat. Die einstige Brache der Ministergärten ist zum Holocaust-Mahnmal geworden. Auf einem leeren Fleck, über den am 22. Dezember 1989 hinter Helmut Kohl und Hans Modrow die Massen gen Osten strömten, dahin, wo die Siegesgöttin ihre Pferde lenkt, spitzt jetzt die US-Botschaft ihre großen Ohren auf dem Dach, auch das „Adlon“ ist neu geworden, am Eingang steht ein Mauersegment mit dem Porträt von Michail Gorbatschow. Am Abend entfalten die Ballons ihren eigenwilligen Charme, wenn der Wind mit ihnen spielt: Tausende Fotografen haben entlang der Grenze gefahrlos ihre Stative aufgebaut, Berlin leuchtet auf seltsame Art. Fantasie ist gefragt, will man sich angesichts der zarten Ballons die schwere Mauermasse vorstellen. Hier läuft man durch den Zaun hindurch und hält sich am Stiel fest. Das soll Mauer sein? Heute fliegt sie in die Luft.
Die Lichtgrenze aus der Luft
Schon die Flugnummer hat historischen Wert. „AB 1989“. Air Berlin feierte das Jubiläum des Mauerfalls am Samstagabend mit einem Rundflug über die Lichtgrenze. 78 Passagiere durften mitfliegen. Die Propellermaschine von Bombardier, versprach eine etwas engere Fühlungnahme mit der Stadt, als es die großen Airbus-Jets zulassen. Aus rund 1000 Meter Höhe präsentiert sich Berlin wie ein funkelndes Paillettengewebe. Es gibt feine Lichtpunkte, grazile Lichtbänder, bunte Lichtknoten, das Olympiastadion wirkt wie eine fluoreszierende exotische Frucht, das Brandenburger Tor wie ein breiter Scheinwerfer, der Alexanderplatz kommt als illuminierte Bühne ins Blickfeld. Die Stadt als Kunstwerk. Und die Lichtgrenze? Die Fotografen werden langsam unruhig. Man sieht sie einfach nicht. Jede Straßenbeleuchtung scheint heller. Doch dann schiebt sich der Mauerpark unter die Flugzeugfenster. Ein bläulich schimmernder Lichtfaden quert die schwarze Fläche, biegt in die Bernauer Straße ein, wo ihm die Leuchtkonkurrenz wieder die Schau stiehlt. Gut ist die Ballonkette auch an den Ufern von Spandauer Schifffahrtskanal und Spree erkennbar. Im Gegensatz zum Original hat diese Lichtgrenze nichts Bedrohliches.
Tanken wie am 9. November 1989
Um 18.54 Uhr begann eine wilde Huperei, genau um 18.57 Uhr rollten die ersten Autos zu den Zapfsäulen. Bestes Timing, um 18.57 Uhr vor 25 Jahren hatte SED-Politbüromitglied Günter Schabowski verbal die Grenzen geöffnet. Deshalb gab es am Sonntag bei einer Tankstelle in Prenzlauer Berg ab 18.57 Uhr Kraftstoff zu Preisen wie 1989, also umgerechnet in Euro und Cent natürlich: ein Liter Diesel 47 Cent, ein Liter Super 57 Cent. Eine Kfz-Versicherung übernahm die Kosten, sie legte viel Wert auf Symbolik. Die Tankstelle sollte in der Nähe der Ex-Grenze liegen. Dass es diese Tankstelle 1989 noch gar nicht gegeben hatte, geschenkt. Sie wurde erst 1997 gebaut.
Den Autofahrern waren solche Feinheiten herzlich egal. Der erste Fahrer, der sich anstellte, war Miro Ismail aus Neukölln. Er rollte genau um 14 Uhr vor die Zapfsäulen. 14.10 Uhr kamen Josephine Russ und Marcus Gaudernack, zweiter Platz. Um 18 Uhr warteten rund 300 Autos. Die Stimmung war prächtig. Laute Musik, viel Gelächter, eine Atmosphäre wie auf einer Skihütte.
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