Homepage: „Die Einheitswährung war ein politischer Fehler“
Der Wirtschaftsexperte Detlev Hummel über die Zukunft des Euro, mangelnde Haushaltsdisziplin und nötigen Zweckoptimismus
Stand:
Herr Hummel, wie lange werden wir in Deutschland noch mit dem Euro bezahlen?
Ich glaube, wir werden den Euro noch lange Zeit haben. Die Frage ist nur, in welchen Ländern der Euro zirkulieren wird. Es gibt derzeit sehr unterschiedliche wirtschaftliche Geschwindigkeiten und Entwicklungen der Mitglieder im Euro-System. Es könnte daher sein, dass der Kreis der Mitgliedsländer kleiner wird.
Die Forderungen reichen momentan von einer Fiskalpolitik aus einer Hand bis hin zur Rückkehr zu nationalen Währungen.
Nach über zehn Jahren Eurozone ist die Diskussion um die Rückkehr zu nationalen Währungen die schlechteste Variante. Sicherlich sehen wir den Euro sehr kritisch, denn die Gemeinschaftswährung war eine politische Entscheidung ohne adäquate ökonomische Basis. Die Erwartungen an einzelne Länder waren zu groß und haben sich dann nur teilweise erfüllt. Nach dieser Erfahrung ist es nun aber außerordentlich schwierig und nur im Extremfall sinnvoll, dass größere Länder aus der Eurozone aussteigen. Der Euro hat sich in der Zwischenzeit als Weltmarktwährung etabliert und als außerordentlich stabil erwiesen. Daher wäre es aus der heutigen Sicht nicht sinnvoll, zur nationalen Währung zurückzukehren.
Aber?
Ich konstatiere als Wissenschaftler, dass es ein politischer Fehler war, die Idee Europa und den europäischen Binnenmarkt auf Gedeih und Verderb mit einer Einheitswährung zu verbinden. Denn es hat ja auch mit gelegentlichen Abwertungen schwächerer Währungen funktioniert. Aber vor dieser Entscheidung stehen wir heute in den Kernländern Europas nicht mehr.
Wie konnte es überhaupt so weit kommen?
Die Ursachen sind nicht einfach nur in einer unzureichende Bankenregulierung zu suchen. Die Hauptursache liegt in der schlechten Haushaltsdisziplin und der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit bestimmter europäischer Staaten. Teile der Gemeinschaft haben die Herausforderungen der Globalisierung nicht verstanden. Es handelt sich um Strukturprobleme einzelner Staaten, die eine Wettbewerbsfähigkeit mit dem globalen Markt, etwa China, verhindern. Wenn man sich vorrangig auf traditionelle Branchen wie Textilindustrie und Landwirtschaft verlässt und keine weltmarktfähigen Güter und Leistungen anbietet, dann kann man nicht auf gleichem Niveau Wohlstand sichern. Manche haben sich dies aber mithilfe des Euro geleistet. Das geht auf Dauer nicht, das zeigt allein die hohe Staatsverschuldung. Mit anderen Ursachen – wie der teils fragwürdigen Zentralbankpolitik abseits ihrer eigentlichen Aufgaben oder die noch gering qualifizierte Risikopolitik einiger Großbanken – haben wir uns zu beschäftigen.
Der Banksektor hat aber auch einen Anteil an der Krise.
Hier muss man differenzieren. In Deutschland haben wir ein Dreisäulenmodell mit privaten Banken, genossenschaftlichen Geldhäusern und Sparkassen. Den Hauptanteil an der Krise haben private Banken zu verantworten. Leider sind auch einige Landesbanken dabei, die sich ohne ausreichende Kenntnisse im Investmentbanking stark engagiert haben. Sie hatten faule Wertpapiere auf dem globalen Finanzmarkt aufgekauft. Überholte Geschäftsmodelle ohne Bezug zur realen Wirtschaft wie auch unsolide Finanzprodukte angelsächsischer Investmentbanken sowie die Mitwirkung der Ratingagenturen haben dazu geführt, dass man hierzulande recht naiv die Risiken aus Übersee – etwa zweit- und drittklassige Immobilienkredite aus den USA – einkaufte, um traumhafte Renditen zu erzielen. Da waren leider auch Institute des öffentlichen Sektors mit ganz anderen Aufgaben dabei.
Wie geht dieser Bereich nun mit der Krise um?
Vor allem die Sparkassengruppe ist eine sehr stabile Säule in unserem Bankensystem. Übrigens einzigartig in Europa und oft von Brüssel kritisiert. Die Kreditgenossenschaften haben erst gar keine Risiken eingekauft, da sie nur ihren bodenständigen Mitgliedern verpflichtet sind. Insofern erweist sich das deutsche Bankensystem als sehr robust. Obwohl das System im europäischen Vergleich sehr speziell ist, hat es die Krise sehr gut gemeistert. Das hat zur Stabilität des Euro beigetragen. An diesen Erfahrungen waren die chinesischen und russischen Gäste unseres Workshops, allesamt hochkarätige Finanzexperten, sehr interessiert.
Ist es sinnvoll, dass Spanien nun ein Rettungspaket über 100 Milliarden Euro erhält?
Grundsätzlich bin ich gegen eine pauschale Bankenunion, auch halte ich eine gegenseitige Haftung der europäischen Mitgliedsländer für unverantwortlich. Es kann und darf keine gesamteuropäische Einlagensicherung durch die Hintertür geben. Aber in Spanien sind sehr ernsthafte Reformbestrebungen zu erkennen. Die Regierungspolitik ist stark und mutig und hat harte Maßnahmen durchgesetzt. Spanien muss zwar noch viel tun, aber wichtige Schritte wurden eingeleitet. Insofern macht die Hilfe Sinn, wenn sie unter sehr strengen Auflagen erfolgt. Das Wichtigste aber ist die Glaubwürdigkeit in die Konsolidierung des Gesamthaushaltes. Wir müssen darauf achten, dass nicht der Steuerzahler anderer Mitgliedsländer die Schulden zurückzahlen muss. Insofern finde ich die Idee einer Zwangsanleihe für die Gutbetuchten Südeuropas gar nicht schlecht. Die Bedienung von Altschulden ist essenziell, sonst gibt es kein frisches Geld vom Kapitalmarkt.
Wird Spanien zurückzahlen können?
Die Frage ist für mich nicht, ob das Land in exakt 15 Jahren die 100 Milliarden Euro zurückzahlen kann, sondern es geht um die Frage, ob die spanischen Unternehmen, die Banken und der Staat in der Lage und bereit sein werden, grundsätzlich und unbedingt zurückzuzahlen. Gegenseitiges Vertrauen und absolute Zuverlässigkeit müssen wieder Normalität werden und ermöglichen solche Hilfen. Das war – abgesehen von den imperialen Zeiten und den beiden Vorkriegsperioden – in der europäischen Geschichte immer so. Solche Hilfsmaßnahmen sind immer dann nicht zu verantworten und auch verfassungswidrig, wenn die Glaubwürdigkeit in die künftige Rückzahlung nicht gegeben ist. Hier sieht es so aus, als ob in Spanien doch sehr hoffnungsvolle Maßnahmen ergriffen wurden.
Für Italien ist dann aber kein Platz mehr unter dem Rettungsschirm.
Italien ist schlichtweg zu groß und muss eine andere Rolle als Spanien oder Griechenland spielen. Auf keinen Fall wäre die europäische Union in der Lage, Italien zu retten. Italien ist aber auch ein sehr reiches Land, Norditalien hat den gleichen Standard wie Bayern, viele Italiener sind vermögend und kaum verschuldet. Italien hat auch eine hoch entwickelte Industrie. Die Verschuldung liegt im öffentlichen Sektor, die Strukturreformen müssen in diesem Bereich ansetzen. Auch hier sind hoffnungsvolle Schritte eingeleitet, aber wir wissen natürlich nicht, ob das politisch durchgehalten werden kann.
Und Griechenland?
Wenn Griechenland keine Strukturreformen einleitet, werden die Geldquellen zum Ende des Jahres verschlossen sein. Dann könnte das Land gezwungen sein, anstelle von Lohnzahlungen in Euro eigene Schuldscheine auszugeben, was zu einer Art Parallelwährung führen würde.
Welche Rolle spielt der Regierungswechsel in Frankreich?
Die drei Länder Frankreich, Italien und Deutschland werden über den Fortbestand der Eurozone in der heutigen Dimension entscheiden. Sie sind die Basis für eine gemeinsame Geldpolitik. Die neuen politischen Entwicklungen in Frankreich sind deshalb sehr wichtig und entscheidend für den Erhalt der Eurozone.
Sie scheinen optimistisch, dass die Eurokrise zu bewältigen ist.
Wir sind mittendrin in der Krise. Viel hängt nun von den Entwicklungen in Frankreich und den Weichenstellungen in der Wirtschaftspolitik ab. Wenn man den globalen Wettbewerb betrachtet, ist Europa ein wichtiger, zwar in mancher Hinsicht noch separierter und komplizierter Markt, es wäre für die deutsche Industrie und deren Weltmarktstellung aber fatal, wenn wir den bewährten Binnenmarkt nicht hätten. In Asien und Übersee – beispielsweise China und USA – schlummern sehr große Risiken. Deshalb ist der europäische Markt im globalen Kontext von außerordentlicher Bedeutung. Gerade Deutschland mit seiner starken Exportabhängigkeit vom globalen Markt würde auf lange Sicht erhebliche Nachteile haben, wenn es sich allein national positionieren müsste. Der Euro ist nicht ohne Grund zur zweitwichtigsten Handels- und Reservewährung der gesamten Welt geworden. Das hat im letzten Jahrzehnt manches einfacher gemacht für uns. Insofern können und müssen wir optimistisch sein.
Die Weltbank befürchtet eine drastische weltweite Rezession als Folge der Eurokrise.
Die Nachrichten aus Asien und den USA sind sehr gemischt, wenn das Krisenmanagement in Europa scheitert, würde das den Weltmarkt dämpfen. Insofern schaut die Welt nun auf den europäischen Markt. Die Lösung der Euro-Krise könnte auch zum Vorbild werden. Die Frage ist, ob es gelingt, auf einem arbeitsteiligen Weltmarkt Regeln zu finden, zu kooperieren und währungspolitisch so zu steuern, dass einzelne Länder keine Nachteile daraus haben. Eine Haftungsunion für Staatsschulden oder eine Union für Bankenkrisen kann es nur unter bestimmten Auflagen begrenzt geben, damit Unternehmen oder Länder gestärkt werden, damit sie in die Lage versetzt werden, eine ausreichende Steuerkraft zu entwickeln und überhaupt zur Haushaltskonsolidierung fähig sind. Sparen alleine genügt nicht.
Welche Lehren sollten aus der Krise gezogen werden?
Das Wichtigste sind solide Staatsfinanzen und wirtschaftliche Anreize für eine Prosperität der nationalen Volkswirtschaften, neben den harten Einsparungen vor allem in Bereichen nutzloser Bürokratien. Zudem müssen wir den Rahmen der Europäischen Union verändern, besonders muss die Zentralbank von der Politik wieder unabhängig werden. Die starke Dominanz der Politik in den Finanzmärkten kann auf Dauer nicht gut gehen. Das mögen private und institutionelle Investoren nicht, die werden aber dringend benötigt, um die Wirtschaft und Staatshaushalte zu finanzieren. Das Dritte ist eine Reform der Bankenaufsicht, die trotz europäischer Standards noch in nationale Bereiche zersplittert ist. Das muss straffer und effektiver organisiert werden.
Für das Krisenmanagement brauchen wir nicht nur eine Feuerwehr, sondern auch Architekten, die neue Strukturen aufbauen können.
So ist es. Es darf auch nicht jede Bank künstlich am Leben erhalten werden, sonst entstehen „Zombie-Banken“. Es müssen organisierte Insolvenzen möglich sein, ohne dass ein Dominoeffekt im Bankensystem ausgelöst wird. Banken um jeden Preis zu retten, ist der falsche Anreiz für die Manager. Es müssen wettbewerbsfähige Geschäftsmodelle auch im Bankensektor aufgebaut werden. Wer das nicht kann, muss ohne Schaden für das Gesamtsystem abgewickelt werden können. Die Sparkassen und Genossenschaftsbanken – aber auch verschiedene private – zeigen, dass es geht. Das Investmentbanking ohne Bodenhaftung muss drastisch reduziert werden, der aufgeblähte Finanzsektor muss sich wieder auf die reale Wirtschaft konzentrieren. Finanzmärkte waren zuletzt zu spekulativ, die Finanzierung von Unternehmen, Startups, Wachstum und Innovation ist viel wichtiger. Andererseits brauchen wir intelligente Bankprodukte, um Risiken abzusichern, professionelles Hedging braucht natürlich – getrennt von den Kundeneinlagen – auch risikobereite Investoren.
Sie hatten zu Ihrem Workshop auch Kollegen aus China und Russland zur Konferenz eingeladen. Welche Rolle spielen diese Länder?
Deren Interesse am Euro als Welthandels- und Reservewährung ist sehr wichtig. Die chinesischen Experten befassen sich auch sehr intensiv mit der sozialen Marktwirtschaft und dem deutschen Banksystem. Das Modell der Förderbanken, enge Kundenbeziehungen, Mittelstandsbanken und Vertrauen in langfristige Bankgeschäfte stehen mit im Mittelpunkt des Erfahrungsaustausches. Im Gegensatz dazu erfolgt eine Auseinandersetzung mit dem angelsächsischen Modell, in dem langfristige Kundenbeziehungen nicht so wichtig sind. Europäische und deutsche Erfahrungen stehen mehr und mehr im Fokus der übrigen Welt. Auch unsere Fachkollegen aus den USA diskutieren dazu mit großem Interesse und bringen ganz eigene Erfahrungen ein.
Das Gespräch führte Jan Kixmüller
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