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Beutekunst wieder zurück in Potsdam: Die Rückkehr der vier Gemälde

Eine Holztafel wurde durch Mitarbeiter persönlich abgeholt, zwei Gemälde gelangten durch die Vermittlung von Auktionshäusern zurück nach Potsdam, für die „Madonna mit Johannisknaben“ benötigte es sogar einen Kunstdetektiv: Nun wurden die Gemälde im Neuen Palais vorgestellt.

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Potsdam - Der Ort für den nächsten Akt in einer scheinbar unendlichen Geschichte ist trefflich gewählt, ist er doch anspielungsreich in seiner Ausstattung. Im sogenannten fleischfarbenen Zimmer im Neuen Palais, einem der Privatgemächer Friedrich des Großen, präsentierte die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten (SPSG) am Mittwoch drei von vier Gemälden, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs als verschollen galten. Das vierte Gemälde war in der benachbarten blauen Kammer aufgestellt, wo es bis zu seinem Verschwinden 1945 ursprünglich hing. Vier Gemälde, bei denen es sich um „kriegsbedingt verbrachte Kulturgüter“, also um Beutekunst handelte, wie Hartmut Dorgerloh, Generaldirektor der SPSG, sagte. Und während Dorgerloh weitersprach und die Bedeutung dieser Rückkehr betont, schweifte der Blick durch die fleischfarbene Kammer und streifte die zahlreichen Meißner Schneeballvasen, die an den Wänden verteilt stehen. Im Zuge des Siebenjährigen Krieges hatte Friedrich unter anderem 23 dieser opulent-übertriebenen Geschmacklosigkeiten aus Sachsen mitgebracht. Keine Geschenke, sondern „kriegsbedingt verbrachte Kulturgüter“.

Die Holztafel „Die drei Marien am Grabe Christi“ von Antonio Campi, „Die Erweckung der Tochter des Jairus“ von Gerard Wigmana, Carl Ludwig Rundts „Salon der Kaiserin Feodorowna von Russland“ und die „Madonna mit Johannisknaben“, die lange Zeit Tizian, einem Hauptmeister der italienischen Hochrenaissance, zugeschrieben wurde, nachweislich aber erst frühestens im 17. Jahrhundert entstanden sein kann, sind nun wieder im Besitz der Schlösserstiftung. Campis kleinformatige Tafel schon seit vergangenem August, als es Samuel Wittwer, Direktor der Schlösser und Sammlungen, nach einem zehnjährigen Rechtsstreit persönlich abholen durfte. Rundts „Salon der Kaiserin Feodorowna von Russland“ gelangte durch die Vermittlung von Sotheby’s New York zurück nach Potsdam, nachdem es vor einer geplanten Auktion als Beutekunst erkannt wurde. Die Besitzerin überließ es der Stiftung „in einer großzügigen Geste kostenfrei“, wie es heißt. Letztendlich kam die Dame nur der zu erwartenden Beschlagnahme durch den amerikanischen Zoll zuvor und verhinderte so einen möglicherweise langen Rechtsstreit.

3000 Werke fehlen noch

Auch Wigmanas „Die Erweckung der Tochter des Jairus“ kam durch die Vermittlung eines Auktionshauses zurück. Als Mitarbeiter des Auktionshauses Ketterer Kunst das Bild als Beutekunst identifizierten und den anonym bleibenden Besitzer darüber informierten, erklärte dieser sofort, dass das Gemälde nach Potsdam gehöre, selbstverständlich ohne Aufwandsentschädigung. Ein Beispiel für „idealbürgerliches Verständnis“, wie Wittwer sagte. Was dagegen die Rückgabe der „Madonna mit Johannisknaben“ betrifft, kann hier in keinem Fall von mustergültigem Verhalten die Rede sein. Wittwer sprach von einem Drahtseilakt und Krimi mit Sonnenbrillen und einer dubiosen Übergabe an einer Tankstelle. Und in dem spielte Ben Zuidema eine der Hauptrollen.

Der knapp 80-jährige Kunstdetektiv Zuidema aus den Niederlanden war am gestrigen Mittwoch neben den Bildern der heimliche Star im Neuen Palais. Umlagert von Kameras und Mikrofonen musste er immer wieder die Geschichte erzählen, wie er 2009 für einen Fabrikanten in Maastricht den Verkauf von insgesamt 15 Gemälden aus dem früheren Besitz der Schlösserstiftung zurück nach Potsdam ermöglichen sollte, dieser letztendlich am Preis und manch durchsichtigen Umständen scheiterte. Als im vergangenen Jahr ein ehemaliger Mitarbeiter des Fabrikanten Zuidema, der gern auch als „007 der Niederlande“ bezeichnet wird, kontaktierte und die „Madonna mit Johannisknaben“ für 15.000 Euro anbot, kam es zu einer Einigung (PNN berichteten).

Insgesamt fehlen der Schlösserstiftung noch 3000 Kunstwerke, die unter die Kategorie „kriegsbedingt verbrachte Kulturgüter“ fallen. In den Jahren 2004 und 2011 hat die Stiftung zwei umfangreiche Kataloge mit den Verlusten veröffentlicht, die mittlerweile auch digitalisiert sind. Wie Dorgerloh sagte, haben diese Veröffentlichungen dazu geführt, dass 34 Gemälde und zwei kostbare Möbel wieder in den Besitz der Stiftung gelangt sind. Derzeit wird ein Katalog mit den Verlusten im kunsthandwerklichen Bereich erarbeitet, die sich auf über 1000 belaufen.

Beutekunst ist mittlerweile russische Staatskunst

Bei diesen Zahlen mag es verwunderlich erscheinen, wenn Wittwer bei vier Gemälden von einem Bildersegen spricht. Doch wenn man bedenkt, dass ein Großteil der „kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter“ sich in Russland befindet und es von dieser Seite keine Rückgabebestrebungen gibt, sondern ganz im Gegenteil diese Beutekunst vom russischen Parlament zur Staatskunst erklärt wurde. Trotzdem gibt es Gespräche und Verhandlungen. Und so ist es auch ein diplomatisches Zeichen in dieser scheinbar unendlichen Geschichte, wenn mit Deividas Matulionis der Botschafter der Republik Litauen bei der Präsentation spricht und die zukünftig gemeinsamen Bestrebungen beider Länder im Ringen um die Rückführung der zahlreichen Kunstschätze betont. Denn, wie Stiftungsdirektor Dorgerloh sagte, es geht hier nicht allein um materielle Werte.

Dass es dafür keiner weiteren Worte bedurfte, zeigte ein Blick in die blaue Kammer. Insgesamt 21 Gemälde hat Friedrich II. hier wie eine Komposition ausstellen lassen. An zehn erinnern bisher nur schlechte Schwarz-Weiß-Fotografien. Nun ist mit Wigmanas „Die Erweckung der Tochter des Jairus“ eines dieser vermissten Gemälde zurückgekehrt und steht vor seiner Schwarz-Weiß-Kopie. Und erst jetzt entfaltet dieses Bild mit dem religiösen Motiv seine volle Wirkung, gibt sich sozusagen in seiner Gestaltung, Figurenkomposition und vor allem in seiner Farbigkeit als Kunstwerk zu erkennen. Und so hofft man, dass bald auch weitere der Schwarz-Weiß-Kopien durch Originale ersetzt werden. Kunstdetektiv Zuidema ist in dieser Hinsicht optimistisch. Er kennt den Namen des Besitzers der restlichen 14 Gemälde aus dem ehemaligen Besitz Maastricher Fabrikanten. In der kommenden Woche wolle er bei ihm vorstellig werden. Die Polizei hat er auch schon informiert.

Die vier Gemälde können bis Ende März im Rahmen der üblichen Führungen im Neuen Palais besichtigt werden.

Hintergrund: Potsdamer Schlösser mussten Hunderte Gemälde abgeben

Rund 3000 Kunstwerke gingen der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (SPSG) nach dem Zweiten Weltkrieg verloren. Die meisten Kulturschätze landeten in Russland – als Wiedergutmachung für die von den Nazis angerichteten Gräuel. Nur selten fanden Gemälde den Weg zurück nach Potsdam wie jetzt die „Madonna mit Johanneskind“ von Peter Paul Rubens.

Besonders stark wurden die Potsdamer Schlösser geschröpft. Von den 180 Gemälden in der Bildergalerie fehlt rund die Hälfte, auch das Neue Palais wurde um viele Bilder erleichtert. Waren es hier vor allem die Maler der Renaissance und des Barock wie Rubens, Guido Reni oder Jan Brueghel wurde im Marmorpalais und in der Kleinen Galerie des Schlosses Sanssouci die Malerei des 18. Jahrhunderts in die Sowjetunion gebracht, darunter Werke von Antoine Pesne oder Nicolas Lancret.

Hart traf es auch die Sammlungen von Schloss Babelsberg und dem Flatowturm – mehr als 80 Prozent der Bestände, darunter bedeutende Werke der Malerei des 19. Jahrhunderts von Carl Blechen, Franz Krüger und Eduard Gaertner werden seit Kriegsende vermisst. Ein prominentes Beispiel illustriert, um welche Summen es dabei geht: „Tarquinius und Lukretia“ von Peter Paul Rubens, allein dieses Gemälde wird auf rund 80 Millionen Euro geschätzt. Bis 1942 hing es in der Bildergalerie. 1945 nahm es dann ein russischer Soldat mit nach Hause. Eine Rückgabe des Bildes lehnt die russische Regierung nach wie vor ab.

Oder das Porträt Friedrich Wilhelms II. von Anton Graff, das seit Ende März 1946 zum Inventar des Moskauer Puschkin-Museums gehört. Auch dieses wird wohl nie wieder nach Potsdam zurückkehren.

Doch nicht alle Kunstgüter aus den preußischen Sammlungen sind als Kriegsbeute in die Sowjetunion gelangt. Auch die Nazis bedienten sich aus den Beständen. Im Oberkommando der Wehrmacht am Standort Potsdam-Eiche etwa hing ein von Ernst Gebauer geschaffenes Bildnis von General Scharnhorst – nur ein Beispiel von vielen. Und auch Hermann Göring schmückte seine Immobilien gern mit Stücken aus den Hohenzollern-Beständen.

Dirk Becker

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