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Von Kay Grimmer und Henri Kramer: DVU blamiert

40 Rechtsextreme, 600 Polizisten, 1200 Gegendemonstranten, ein zerstörter Generator: Ein denkwürdiger Samstag in Potsdam

Stand:

10.15 Uhr, Luisenplatz: Die Stadtverwaltung war fleißig: Rund um den Platz stehen Zäune, der Brunnen in der Mitte ist von Graffiti-Planen umstellt. 600 Polizisten sind im Einsatz, die Wege nach Sanssouci sind dicht.

11 Uhr, Brandenburger Tor: Beim Fest für Toleranz sind 200 Menschen. Über den Tag zählen die Veranstalter mehr als 1200 Gäste. „Wir haben schon einige Male bewiesen, dass Nazis nicht zur Kultur in der Landeshauptstadt Potsdam gehören“, sagt Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) in seiner Eröffnungsrede – und hofft auf ein „friedliches Fest.“ Später ruft er auf, zur Kommunalwahl zu gehen, weil eine hohe Wahlbeteiligung stets rechtsextremen Parteien geschadet habe. Auf einer „Straße der Demokratie“ präsentieren sich die demokratischen Parteien des Stadtparlaments.

11.40 Uhr, Hauptbahnhof: Die Demonstration der Antifa „Den Nazis die Show stehlen“ beginnt. Aus versprengten Häufchen sind gut 400 Demonstranten geworden. Die Polizisten daneben sehen einigermaßen entspannt aus.

12 Uhr, Luisenplatz: Fiiieetsch. Die DVU hat Technikprobleme. Inzwischen sind rund 40 Teilnehmer bei der Kundgebung. Einen kleinen Truck mit Rednerbühne gestellt hat offenbar Christian Worch, ein bundesweit führender Aktivist der Neonazi-Szene. Neben ihm stehen Mitglieder der DVU-Landtagsfraktion und der Potsdamer DVU-Stadtverordnete Günther Schwemmer, der gleichzeitig ein Parteibuch der NPD besitzt. Ein Kleinbus bringt fünf neue Kundgebungsteilnehmer.

12.14 Uhr: Brandenburger Straße: Mit Musik von Madonna und „Auf zum Luisenplatz, Schalalalala“-Sprechchören bewegt sich der Antifa-Demozug über die Einkaufsstraße. Passanten gucken zustimmend bis gelangweilt. Einzig die Scientologen mit ihrem Verkaufsstand schauen verstört auf die vorbeiziehende Truppe. Wenig später ist das Ende der Demo-Route in der Gutenbergstraße erreicht. Ohne größeren Zwischenfälle ist die Demonstration beendet, die 400 Demonstranten verschwinden über die Seitenstraßen, bevölkern das Demokratiefest oder versuchen die erste Absperrung zum Luisenplatz zu überwinden – einige schaffen es, weil sie sich wie rechte Jugendliche verkleidet haben.

12.24 Uhr, Luisenplatz: Die Antifa beginnt Störaktionen. Mitten in der Rede von Brandenburgs DVU-Fraktionschefin Liane Hesselbarth rufen zwei Aktivisten: „Alerta Antifacista“. Da reicht es DVU-Organisationsleiter Matthias Faust: Wütend spricht er davon, wie der Protest das Brandenburger Tor „verschandelt“. Danach reden die DVU-Größen. Brandenburgs DVU-Chef Sigmar Peter Schuldt schimpft gegen „Multi-Kulti“. Nicht jeder Satz gelingt dabei fehlerfrei: „Unsere Jugend ist der Rückgrat in Deutschland.“ Bald darauf wird die Schopenhauerstraße gesperrt.

13.10 Uhr, Schopenhauerstraße: Applaus und Gelächter: Die „Bunten Deutschen Mädels“ treten auf. Schauspieler einer freien Theatergruppe haben sich in Frauenkleider geworfen und ziehen an der Absperrung entlang. Ihre Transparente tragen Sprüche wie „Lieber Hasselhoff als Hesselbarth“. Selbst Polizisten lachen.

13.25 Uhr, Luisenplatz: Plötzlich geht alles ganz schnell. Gerade hat Günther Schwemmer mittels Hebebühne den Platz am Rednerpult besetzt und fängt an, das Programm der DVU für Potsdam vorzustellen, das beispielsweise 30 Suppenküchen in der Stadt vorsieht. Doch plötzlich rennt eine junge Frau von der Antifa an den DVU-Infostand, schüttet Wasser auf die Wahlflyer. Ordner stürzen auf sie zu. Die Verwirrung nutzen zwei bis drei andere Aktivisten und stürmen zu dem kleinen Diesel-Stromaggregat hinter dem DVU–Truck. Kurz darauf ist dieser kaputt. Zwei Tatverdächtige werden später von der Polizei ergriffen – bekommen aber immer wieder spontanen Beifall von Gegendemonstranten. Bei einer Spendenaktion der Wildwuchs-Streetworker für die Verhafteten kommen rund 350 Euro zusammen.

13.50 Uhr, Brandenburger Tor: Auf der Parteienmeile und an der Bühne macht die Kunde von der Tat die Runde: Zufriedene Gesichter allenthalben.

14 Uhr, Luisenplatz: Matthias Faust löst die Kundgebung auf und muss nun ohne Mikro sprechen: „Tut mir leid, dass es so ausgegangen ist, aber wir haben keinen zweiten Generator mit.“ Dennoch denkt er, dass man hier doch „zwei positive Stunden“ verlebt habe, trotz der „kriminellen Gestalten“. Derweil spotten Linke vom Zaun aus: „Meine kleinen deutschen Engel.“ Abbauarbeiten beginnen.

14.16 Uhr, Luisenplatz: Der DVU-Truck fährt los, hüllt Schwemmer und die anderen in eine große Staubwolke.

14.30 Uhr, Zeppelinstraße:Die Antifa hat den Truck mit Christian Worch in Höhe der Geschwister-Scholl-Straße entdeckt. Steine fliegen. Die Polizei kommt mit Blaulicht und nimmt mehrere Personen fest, gegen die nun wegen Landfriedensbruchs ermittelt wird. Unruhe entsteht, schnell kommen dutzende junge Linke zusammen, kurz muss die Zeppelinstraße gesperrt werden. Doch die Situation entspannt sich wieder.

14.55 Uhr, Brandenburger Tor: Das Fußballturnier des Demokratiefestes gewinnen die Spieler des Asylbewerberheims am Lerchensteig.

14.58 Uhr, Zeppelinstraße: Der erste Kleinbus mit DVU-Leuten – unter ihnen Schwemmer – biegt in die Breite Straße. Zufrieden sehen sie nicht aus.

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