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Homepage: „Es begann im Hochzeitssaal“

Der FH-Gründer Helmut Knüppel über 20 Jahre FH, einen Rausschmiss und begehrte Telefonzellen

Stand:

Herr Knüppel, es heißt, Sie haben die Gründung der Fachhochschule Potsdam 1991 aus einer Telefonzelle heraus organisiert.  

Das waren die berühmten Telefonzellen an der Glienicker Brücke. Oft gingen die Telefone in unseren Räumen in Potsdam nicht, oder es gab immer noch das berühmte Klicken. Wir waren sehr glücklich über die sechs Telefonzellen an der Glienicker Brücke. Da standen die Leute abends Schlange, alle hatten die Taschen voller Kleingeld für die Münztelefone. Ich habe von dort Berufungsverhandlungen geführt, Lehraufträge vergeben und die Materialien für den Aufbau des Lehrbetriebs der Hochschule bestellt.

Mit einem Notizblock in der Hand?  

Ich hatte einen ganzen Ablaufplan von Telefonaten in der Hand. Die Leute hinter mir fingen an zu murren, weil es so lange dauerte. Ich habe denen gesagt, dass ich eine Hochschule gründen muss, mit 200 Arbeitsplätzen für die Stadt. Dann hatte ich Ruhe. Dort ist für die FH viel passiert.

Wie lief der Start?  

Die Verhältnisse damals waren noch sehr ungesichert, was den Standort, die Finanzierung und das Personal betraf. Die Hochschule wurde faktisch erst am 22. Oktober 1991 gegründet, nachdem sie durch das Brandenburgische Landeshochschulgesetz vorbereitet war. Dazu bedurfte es einer vom Landtag genehmigten Rechtsverordnung. Wir hatten aber bereits einen Tag zuvor immatrikuliert, also im Vorgriff auf die rechtliche Grundlage. Das musste damals so laufen, es waren immerhin 144 Studierende, die versorgt werden wollten.

Das spielte sich am Alten Markt ab?  

Nein, zu Beginn waren wir im Oberstufenzentrum II, der ehemaligen Karl-Gelbke- Schule. Dort hatte die DDR seit 1979 Sozialarbeiter ausgebildet, als man auch im Sozialismus akzeptiert hatte, dass diese in der Gesellschaft gebraucht werden. Nachdem wir dort angefangen hatten, mussten wir sehr schnell feststellen, dass wir in dem Gebäude nicht erwünscht waren.

Wer wollte Sie dort nicht haben?  

Der damalige Oberbürgermeister Horst Gramlich rief mich an meinem ersten Tag in Potsdam morgens früh an, es tue ihm fürchterlich leid, aber wir müssten das Gebäude verlassen, weil dort ein Oberstufenzentrum hineinkäme. Man könne sich auf keinen Fall dort auch noch eine Hochschule leisten.

Und dann?  

Wir sind an die Nedlitzer Straße in Neufahrland gekommen. Im ehemaligen Hochzeitssaal der damaligen Kneipe „Zur Römerschanze“ – eine alte Turnhalle – und den danebenliegenden Räumen der Berufsschule des Autobahnkombinats fanden dann die ersten Vorlesungen statt.

Ein etwas holpriger Anfang.  

Wir sind zwar erst aus der Stadt herauskomplimentiert worden. Aber es gelang uns schnell, wichtige Leute in die Hochschule zu holen. Einer dieser wichtigen und häufigen Gäste war die SPD-Politikerin Regine Hildebrandt, die feststellen musste, dass diese Räume einer Hochschule nicht angemessen waren.

Wie ging es weiter?

Sehr problematisch. Dieses Gebäude hatten wir nur bis zum Sommer 1992. Wir sind dann an FDP-Wissenschaftsminister Hinrich Enderlein herangetreten und haben ihn um Unterstützung gebeten. So sind wir auch mithilfe des damaligen Gründungsrektors der Universität, Rolf Mitzner, im Gebäude für Lehrerbildung am Alten Markt gelandet, wo Teile der Uni und auch das Ministerium selbst untergebracht waren. Der Kanzler der Uni hat dann zwar ein halbes Jahr nicht mehr mit mir gesprochen, aber das war mir egal. Im September 1992 hatten wir die Räume. Die Immatrikulationsfeier war dann in der Nikolaikirche. Damit waren wir in Potsdam richtig angekommen.

Immerhin hatten Sie nun den zentralsten Hochschulstandort der Stadt.

Das kann man wohl sagen. Und da wir direkt über dem Ministerium saßen, und deren Mitarbeiter in der Mensa essen gingen, bekam das Ministerium eine ganz andere Wahrnehmung von Wissenschaft. Selten hat ein Wissenschaftsministerium so auf Tuchfühlung mit einer Hochschule zusammengelebt. Leider war das Gebäude für die Hochschule bald zu klein.

Mittlerweile sind fast alle Fachbereiche am Standort Pappelallee konzentriert.

Leider noch nicht. Wir sind damals übers Land gefahren und haben Liegenschaften für die Hochschule gesucht. Ich lernte das gesamte Militärgelände um Potsdam herum kennen. Ich bin zwischen russische Marschkolonnen geraten, die mit aufgepflanzten Bajonetten auf uns zu hielten. Das war recht eindrücklich. An das Gelände Pappelallee zu kommen, gestaltete sich sehr schwierig. Die gesamte Fläche war von der Oberfinanzdirektion über Nacht an einen Bauträger des Bundes verscherbelt worden, obwohl die genau wussten, dass wir die Fläche benötigten. Der Wissenschafts- und der Finanzminister intervenierten dann, ein Teil des Kaufes musste rückabgewickelt und uns musste ausreichend Platz für einen Campus zur Verfügung gestellt werden.

Hätten Sie es damals für möglich gehalten, dass es 2012 immer noch FH-Studenten am Alten Markt geben wird?

Ich wäre damals darüber entsetzt gewesen. Wir hatten gehofft, Anfang des neuen Jahrtausends alle Teile der FH in der Pappelallee vereint zu haben. Heute ist angedacht, dass die Studierenden bis 2018 in dem alten Gebäude an der jetzigen Schlossbaustelle bleiben werden. Das halte ich für einen unglaublichen Skandal. Denn dieses Gebäude kann man heute schon niemandem mehr zumuten. Es sind auch keine weiteren Investitionen dort geplant. Wir sind leider die Hochschule, bei der der Baufortschritt in keiner Weise mit der Entwicklung Schritt gehalten hat. Baumaßnahmen wurden immer wieder nach hinten geschoben. Es hieß, wir seien so erfolgreich, hätten so viele Studierende, dass später noch Zeit zum Bauen wäre. Andere Hochschulen mit weniger Studierenden hatten Vorrang.

Was verzögert den letzten Schritt nun?

Die alten Kasernengebäude an der Pappelallee sind nur Provisorien. Sie müssen erst einmal nutzungsgerecht umgebaut werden, damit die anderen Fachbereiche dort einziehen können. Und das dauert. Es fehlt auch noch ein Bau, von dem das Wissenschaftsministerium aber meint, auf den könne die FHP verzichten. Das ist sehr ärgerlich. Die Hochschule hat seit ihrer Gründung bisher immer an den Grenzen ihrer Möglichkeiten gearbeitet. Was die Bauvorhaben anbelangt, waren wir zu brav. Wir hätten viel renitenter sein müssen, hätten viel mehr Druck in der Öffentlichkeit aufbauen müssen.

Wie stehen Sie zu den nun angekündigten Sparmaßnahmen im Hochschulbereich?

Für mich ist das wie ein Déjà-vu. Die Landesrektorenkonferenz hatte bereits 1995 zum Amtsantritt von SPD-Minister Steffen Reiche massiv davor gewarnt, in der Zeit des Hochschulaufbaus und explodierender Studentenzahlen die Mittel zu kürzen. Schon damals haben wir gesagt, dass es ein Fehler sei, nicht in den wichtigsten Rohstoff des Landes, nämlich die Köpfe der jungen Menschen zu investieren. Wenn die Straßen kaputtgehen, dann schreien die Autofahrer. Aber Intelligenz, die sagt nichts, die geht einfach woanders hin. Brandenburg ist seitdem Schlusslicht bei der Hochschulfinanzierung.

Ihr Vorschlag?

Wir müssen die jungen Leute so hochwertig qualifizieren, dass Unternehmen angeregt werden, in Brandenburg zu investieren, und sie darüber hinaus befähigen, ihre eigenen Arbeitsplätze zu schaffen und Unternehmen zu gründen. Wir hatten an der FHP die erste Stiftungsprofessur für Existenzgründung. Das war der Beginn einer sehr fruchtbaren Entwicklung für Brandenburgs Hochschulen. Auch wenn bis heute Berlin der Gründungsstandort Nummer eins ist.

Was läuft falsch im Land?

Wir müssen erst investieren und danach den Haushalt konsolidieren. Je höher das Bildungsniveau ist, umso höher ist das Steueraufkommen. Das hat man in Brandenburg nie richtig verstanden. Wir haben damals schon erklärt, dass gigantische Wachstumsschübe dadurch entstehen, wenn viel Geld aus den Etats der Hochschulen in die Region fließt. Das ist leider nicht überall gelungen. Dass es nun wieder heißt, dass trotz der zusätzlichen Steuereinnahmen der kommenden Jahre auf Kosten der Hochschulen und damit der Bildungschancen junger Menschen konsolidiert werden muss, ist völlig unverständlich. Man fragt sich, warum Wissenschaft und Forschung unter der SPD, für die Bildung immer einen hohen Stellenwert hatte, – und jetzt der Linken –, in Brandenburg immer wieder zur Disposition gestellt werden.

Das Wissenschaftsministerium

ist für mich janusköpfig. Einerseits ist Frau Ministerin Kunst eine hoch angesehene Wissenschaftlerin und Hochschulmanagerin, die die Probleme und Belange der Hochschulen aus der Innenansicht genau kennt. Andererseits haben wir einen Staatssekretär, der bereits als Büroleiter von Steffen Reiche die damalige desaströse Streichpolitik mit verantwortet hatte und heute für die Passagen des Zukunftspapiers 2030 der SPD zu Bildung und Wissenschaft verantwortlich zeichnet, die über Gemeinplätze nicht hinausgehen und schon gar kein wissenschaftspolitisches Programm oder gar eine Vision darstellen.

Wo steht die FH Potsdam in zehn Jahren?

Wenn man ihr genug Luft zur Entwicklung lässt und sie ein gutes Arbeitsklima aufrecht erhalten kann, dann kann sie auch weiter im Spitzenfeld mitschwimmen.

Würden Sie noch einmal eine FH gründen?

Natürlich! So eine Chance bekommt man nur einmal im Leben. Damals waren die Hochschulen im Westen in einer Stagnationsphase angekommen. Da wurde eisern gespart. Man rannte bei Innovationsvorschlägen gegen Betonwände. Ich war in meiner damaligen Hochschule in Bielefeld auf dem Absprung. Dann kam die Wende und ich hatte plötzlich drei Angebote: in Dresden, Erfurt und Potsdam. Es gab schnell ein Gespräch mit Minister Hinrich Enderlein. Eine Hochschule zu gründen war natürlich etwas Einmaliges. Am Anfang sollte es ein Fachbereich Sozialwesen sein. Sehr schnell kam dann über die Zusammenarbeit mit der Brandenburgischen Landeskommission für Fachhochschulen auch die Gründung des gesamten Fächerspektrums der Fachhochschule Potsdam auf mich zu. Das war eine unglaublich spannende Zeit. Die Euphorie der Gründungsphase hat alle Mitarbeiter erfasst, egal woher sie kamen. Sie sahen das als große Chance, etwas zu verwirklichen, was in der DDR, aber auch zum Teil in Westdeutschland nicht möglich war.

Ihr schönstes Erlebnis?

Die schönsten Erlebnisse sind immer die, wenn man sieht, dass die eigenen Gedanken von anderen übernommen werden und etwas völlig Eigenständiges daraus entsteht. Wenn man sieht, wie sich die Kreativität, für die Hochschule steht, verselbstständigt, dann ist das ein tolles Erfolgserlebnis. Wenn plötzlich an der Hochschule auf Veranstaltungen das Engagement der Teilnehmer spürbar wird, dann weiß man, dass es richtig war. Ein Beispiel ist der spontane Protest der Studierenden gegenüber Oberbürgermeister und Finanzminister, als es mit der Sanierung der ersten Gebäude auf dem Campus Pappelallee 1995 nicht weiterging.

Ihr schlimmstes Erlebnis?

Natürlich, wenn hoffnungsvolle Kollegen sterben. Schlimm war aber auch die Befürchtung, dass das Projekt Hochschule angesichts der Unberechenbarkeit der brandenburgischen Politik insbesondere zwischen 1995 und 1999 keine Zukunft haben könnte. Diese Sorge hat mich während meiner gesamten Zeit als Rektor bis zur Grundsteinlegung für die Neubauten der Pappelallee am 21. Dezember 2000 umgetrieben. Mit der Grundsteinlegung war die Entwicklung nicht mehr umkehrbar. Die Hochschule war in ruhigeres Fahrwasser gelangt.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

VON BIELEFELD NACH POTSDAM:

1991 kam Helmut Knüppel von der Fachhochschule Bielefeld nach Potsdam , um hier die Fachhochschule Potsdam zu gründen. Knüppel hatte Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Dortmund und Bochum studiert. 1976 war er zum Professor für Politikwissenschaft an der Fachhochschule Bielefeld berufen worden. Der heute 69-jährige FH-Gründer war von 1993 bis 2000 Rektor der FH Potsdam, bis 2007 war er FH-Professor für Sozialpolitik.

Heute an der FH: „Wie alles begann – Zeitzeugen zur Gründungszeit“, 18 Uhr, Großer Hörsaal / Hauptgebäude, Kiepenheuerallee 5.

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