
© Andreas Klaer
Potsdamer Filmfestival: Exzess in der Filmstadt
120 Filme aus 22 Ländern werden Ende April auf dem Studentenfilmfestival „Sehsüchte“ zu sehen sein. Erstmals seit 2002 werden die Filme wieder auf dem Studiogelände und in den Räumen der HFF gezeigt.
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Der kürzeste Film ist gerade mal fünf Sekunden lang. „Ham“ heißt der Animationsfilm einer Potsdamer Filmstudentin, der auf dem Studentenfilmfestival „Sehsüchte“ Ende April zu sehen sein wird. „Da darf man nicht blinzeln, sonst hat man den Film schon verpasst“, sagt Ann-Fleur Praetorius von der Programmgruppe des Festivals. Der Inhalt des Kurzfilms: Hund freut sich auf Schinken, aber er hat nicht mit der Katze gerechnet. „Die Beschreibung ist fast schon länger als der Film“, scherzt HannesWesselkämper vom Programmteam.
Humor haben sie, die Studenten der Medienwissenschaften, die derzeit das 42. internationale Studentenfilmfestival „Sehsüchte“ vorbereiten. Vom 23. bis 28. April wird es an der Filmhochschule HFF und auf dem benachbarten Studiogelände stattfinden. Erstmals seit 2002 wieder, in den Vorjahren nutzte man das Babelsberger Thalia-Kino als Spielstätte. Übergeordnetes Thema ist in diesem Jahr „Exzess“. Die Programmmacher wollen damit die vielen schrägen und verrückten Filmeinfälle würdigen, die unter den rund 1000 eingereichten Filmen waren. Dabei gehe es sowohl um visuell-formale Exzesse der Filmarbeit als auch um das inhaltliche Thema Exzess.
Ein Exzess war für die Programmgruppe auch die Sichtung der eingereichten Filme. Vier Wochen täglich bis zu 12 Stunden Filmeschauen, das bleibt nicht ohne Folgen. Rückenschmerzen und Lichtempfindlichkeit waren erste Auswirkungen des Filmmarathons. Über das dauergraue Spätwinterwetter hatten sich die Filmstudenten sogar gefreut, da fiel das dauerhafte Filmeschauen nicht sonderlich schwer. „Dass dann irgendwann draußen die Sonne schien, haben wir nur per Facebook mit bekommen“, erzählt HannesWesselkämper. Seine Kommilitonin Ann-Fleur fand es faszinierend, dass man sich an das tagelange Filmsichten sogar gewöhnen konnte: Am Ende des Tages hatte sie die Inhalte der vielen verschiedenen Storys alle parat. 120 Filme aus 22 Ländern haben die Studierenden letztlich ausgesucht, darunter auch Nachwuchsfilme aus Hongkong, Weißrussland, Mexiko und Südkorea. Im Wettbewerb sollen davon 59 Filme zu sehen sein, verteilt auf 21 Filmblöcke, die in der Aprilwoche in den beiden HFF-Kinos und dem großen Rotor-Film-Kino auf dem Studiogelände zu sehen sein werden.
Der Umzug vom Babelsberger Thalia-Kino in die Filmstadt ist der größte Coup des Studententeams, das in diesem Jahr das Festival ausrichtet. Was auf den ersten Blick als Verschlechterung erscheint – bessere Anbindung des Thalia-Kinos, alle Kinos unter einem Dach – könnte sich tatsächlich als ein Standortvorteil entpuppen. Einerseits will man durch den Ortswechsel ein umfangreiches Rahmenprogramm enger an das Publikum anbinden, erklärt Hauke Bartel von der Festivalleitung. Zum anderen könnte ein Festival am Filmstandort gerade auch für das nicht professionelle Publikum einen besonderen Reiz ausüben. Ins Kino kann man immer gehen, in das große Studiokino oder das HFF-Gebäude kommt man sonst nicht so einfach hinein.
Das Festival will sich breiter aufstellen. Stärker noch als in den Vorjahren will man zu einem Besucherfestival werden, das gezielt gerade auch das Potsdamer Publikum anspricht. Andererseits will man in diesem Jahr so viele Filmemacher einladen wie nie zuvor – insgesamt 109. Dazu soll dann der Fesitvalcampus den Nachwuchsfilmern einen Nukleus bilden, auf dem alles gebündelt wird. „Ideal zum Netzwerken“, so der Filmstudent Bartel. Hinzu kommen eine Lounge, eine Ausstellung, Diskussionsrunden, Partys und mehr. „Man soll sich bei uns richtig inspirieren lassen können“, erklärt er. Das Ganze sei natürlich auch ein Experiment, sagt Bartel. Ob das Festival an die über 6500 Gäste vom Vorjahr oder gar an die rund 10 000 Besucher des Jubiläumsjahrs 2011 herankommen werde, müsse sich erst noch zeigen. Einen dürfte der Umzug in die Filmstadt ganz besonders gefallen: Der ehemalige HFF-Präsident Dieter Wiedemann hatte sich wiederholt gewünscht, dass das Festival, das bis zu 2002 auf dem Studiogelände stattfand, ganz zur HFF zurückkommen möge.
Das Filmprogramm zumindest dürfte zahlreiche Filmfreunde nach Babelsberg locken. In seiner Themenvielfalt und formalen Breite knüpft es an die Vorjahre an. Manuel Tanner von der Programmgruppe hat bereist einige Favoriten. Etwa den Film „Silvie“, der bereits auf der Berlinale zu sehen war. Nach der Trennung von ihrem Mann begibt sich eine ältere Frau auf die Suche nach der Liebe. Sie trifft dabei nur komische Typen, stolpert von Mann zu Mann. „Doch am Ende wächst sie daran“, so Tanner. Auch die auf der Berlinale vielbeachtete Dokumentation über Doping im DDR-Sport „Einzelkämpfer“ von Sandra Kaudelka wird auf den „Sehsüchten“ zu sehen sein.
Hinzu kommen die vielen unkonventionellen Filme, die man in diesem Jahr ausgesucht hat. Etwa „Love Alien“, in dem ein 30-Jähriger, der noch nie eine Frau geküsst hat, in einer Selbst-Doku von seiner Suche nach der Liebe erzählt. Oder „Käpt’n Oscar“ über eine verkorkste Beziehung, in der sich zwei Menschen nicht wirklich finden, gedreht im Berliner Szenebezirk Kreuzkölln. „Sehr schräg, schön schräg“, lautet Tanners Kommentar. Aus schwierigen politischen Verhältnissen kommen schließlich zwei Musikvideos: eines aus Weißrussland, in dem der Regisseur recht kritisch mit der Hauptstadt von Europas letzter Diktatur ins Gericht geht. Auf seine Einladung hin gab es noch keine Antwort. Brisant dann auch ein Musikvideo aus Hongkong, in dem zwei Männer mit Hongkong-T-Shirts einen übermächtigen chinesischen Löwen entmannen.
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