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Vor dem Kinostart: Kein Einzelfall
HFF-Absolvent David Wnendt zeigt in „Kriegerin“, warum junge Frauen rechtsextrem werden
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Die Aggression bricht explosionsartig hervor, rohe Gewalt wiegelt sich auf, reißt alle mit. Die Skinheadbande stürmt durch einen Bahnwaggon, erst wird ein unbedarfter Schüler traktiert, dann trifft es einen jungen Vietnamesen – mit voller Wucht ins Gesicht. Der Zuschauer bekommt gleich zu Anfang von David Wnendts Film „Kriegerin“ das Gefühl, nicht hinschauen zu können. Auch die junge Marisa macht mit. Als sie sieht, wie weit die anderen gehen, schlägt sie ebenfalls zu.
Marisa – gespielt von der in Odessa geborenen Alina Levshin – ist Anfang 20, lebt in irgendeiner Kleinstadt in Brandenburg. Sie hängt mit einer rechte Clique herum, arbeitet widerwillig im Supermarkt, und sollte mal ein Ausländer kommen, bedient sie ihn nicht. Ihr Freund Sandro (Gerdy Zint) ist der Platzhirsch unter den rechten Jugendlichen. Er will keine Nazi-Propaganda lesen, er will lieber gleich loshauen – auf alles was irgendwie anders ist. Das Andersartige, das Fremde macht auch Marisa wütend, im aggressiven Überschwang fegt sie mit ihrem alten Golf zwei afghanische Asylbewerber von der Straße. Doch sie kehrt später an den Tatort zurück, sieht die Absperrung, das Blut im Gras. Als einer der beiden Flüchtlinge wieder auftaucht, freundet sie sich mit ihm an. Was schließlich ihr ganzes Leben über den Haufen werfen wird.
Rechtsextreme Frauen wurden mit dem Auffliegen der Zwickauer Terrorzelle über Nacht zum heißen Thema. Schnell zeigte sich, dass die Rechtsterroristin Beate Zschäpe kein Einzelfall ist. So drängen Frauen in jüngster Zeit zunehmend in rechtsextreme Parteien wie die NPD: 30 Prozent sind es laut Verfassungsschutz bereits in Thüringen, 25 in Niedersachsen. Tendenz steigend. Das Beispiel der junge Mutter Ricarda Riefling, die Mitglied des NPD-Bundesvorstandes ist, überraschte jüngst die Öffentlichkeit. In die Debatte um diese Entwicklung stößt nun auch der Film des HFF-Absolventen David Wnendt. Der Regisseur versucht, die Lebenswege mehrerer Frauen nachzuzeichnen, die im rechten Milieu gelandet sind. Mal aus jugendlicher Rebellion, mal aus fehlender Zuneigung und Perspektivlosigkeit, aber auch aus Bewunderung.
Warum junge Frauen rechtsextrem werden, ist eine der Frage, die sich David Wnendt für sein Filmprojekt gestellt hatte. Der junge Filmemacher hat sich Rat bei Soziologen geholt, die eine unpolitische Elterngeneration als wesentliche Ursache sehen. Überraschend ist dabei, dass die politischen Ansichten der jungen Frauen oft stark von den Großeltern geprägt sind – was der HFF-Absolvent in seinem Film auch widerspiegelt. David Wnendt hat jahrelang in rechten Kreisen recherchiert, hat junge Frauen aus der Szene in Brandenburg kontaktiert, mit ihnen über ihre Lebensgeschichten gesprochen. Er bekam bereitwillig Auskunft. Aus fünf langen Interviews wurde das Drehbuch für seinen mittlerweile vielfach ausgezeichneten Film. Eine seiner Erkenntnisse war, dass die Wirklichkeit oft anders aussieht, als man denkt. Rechtsextreme würden schon lange nicht mehr dem Klischeebild, das die Gesellschaft von ihnen hat, entsprechen. Und: Rassismus sei in dieser Szene sehr präsent. Dass Fremdenfeindlichkeit gerade dort sehr ausgeprägt ist, wo nur ein verschwindend geringer Teil von Ausländern lebt, weiß die Forschung schon länger. Das derzeit diskutierte NPD-Verbot hält der Regisseur für richtig. Das würde die Szene hart treffen, schätzt er. Doch das eigentliche Problem sei damit nicht gelöst.
Regisseur David Wnendt, Hauptdarstellerin Alina Levshin und drei weitere Mitglieder des Filmteams sind Absolventen der Potsdamer Hochschule für Film und Fernsehen (HFF). Der HFF-Film wird nun ab 19. Januar 2012 in den deutschen Kinos anlaufen. HFF-Präsident Dieter Wiedemann hatte bereits im Vorfeld gesagt, dass ihm ein früherer Kinostart lieber gewesen wäre. Das Verfahren mit dem Filmverleih habe aber keinen zeitigeren Termin zugelassen. Nun will er den Film so bald wie möglich auch dem brandenburgischen Landtag präsentieren.
Interessant dürfte dabei vor allem auch die Ursachenforschung sein, die Wnendt für sein Filmdrama betrieben hat. Bei Marisa ist es der vergötterte Großvater, der ihr schon im Kindesalter gesagt hatte, sie solle nicht alles Schlimme glauben, was über die NS-Zeit gesagt werde. Ihre Mutter, von ihrem eigenen Vater misshandelt, ist für Marisa keine wirkliche Bezugsperson, sie glaubt nicht an ihre Tochter, gibt ihr keine Bestätigung. Der leibliche Vater ist – wie bei fast allen Charakteren im Film – abwesend. Die Eltern stehen völlig hilflos der politischen Entwicklung ihrer Kinder gegenüber. Er sei doch immer noch Marxist, sagt einer der wenigen Väter. Die Kinder dröhnen sich derweil mit Nazirock zu: „Deutschland erwache, unser Land geht zugrunde“
Dass Marisa sich, wenn auch anfangs durch ihr schlechtes Gewissen getrieben, mit dem Flüchtling Rasul anfreundet, erscheint allerdings recht unglaubwürdig. Plötzlich steckt hinter der Maske der prügelnden Skinfrau ein sehr sensibles, vernünftiges Wesen. Die Wirklichkeit sieht leider oft ganz anders aus.
Kinostart: 19. Januar 2012 (www.Kriegerin-Film.de). Exklusive Silvester-Preview im Potsdamer Thalia-Kino, 31.12., 19 Uhr.
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