Landeshauptstadt: Kein Frontkämpfer
Wolfram Hülsemann erhielt den Stuttgarter Friedenspreis. Er leitet Beratungsteams gegen Rechtsextremismus
Stand:
Wie fühlt es sich an, als einer der „profiliertesten und engagiertesten Streiter gegen rechte Gewalt und für demokratische Kultur in Brandenburg und weit darüber hinaus“ zu gelten? So heißt es in der Laudatio für den diesjährigen Stuttgarter Friedenspreis, den Wolfram Hülsemann gewonnen hat, der Leiter des Brandenburgischen Instituts für Gemeinwesenberatung mit Sitz in der Friedrich-Engels-Straße. Hülsemann, der vor acht Jahren im Auftrag der Landesregierung die Brandenburger Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus gegründet hat, gibt sich bescheiden, wenn er über den Friedenspreis spricht. Ein wenig „verlegen“ habe ihn die Ehre gemacht.
Der großgewachsene, einfach gekleidete Mann sinnt kurz nach: „Es war überraschend, dass unsere Arbeit selbst in Stuttgart wahrgenommen wird.“ Doch ist Hülsemann gleichwohl ein gewisser Stolz darüber anzumerken, dass sein Lebenswerk nun so gewürdigt worden ist. Schon in Zeiten der DDR engagierte sich der gebürtige Thüringer als evangelischer Pfarrer gegen antidemokratische Tendenzen in der Gesellschaft. „Wie viele aus meiner Generation kam ich durch die Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus dazu, meinen Eltern Fragen zu ihrer Schuld zu stellen“, sagt der 63-Jährige nachdenklich. In der offiziellen DDR gab es in seiner Beobachtung allerdings wenig Platz für solche Gedanken – verordneter Antifaschismus statt individuelle Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus habe die Staatsräson geprägt. „Jedes Kind wusste, dass Millionen Juden umgebracht wurden, aber wer die Juden waren, diese individuelle Ebene der Erinnerung wurde ausgeblendet“, erinnert sich Hülsemann. Und über Nazis, die es spätestens seit Anfang der 80er gab, wurde gar nicht geredet – auch diese Erfahrung hat er machen müssen. So war Hülsemann auch der einzige zivilgesellschaftliche Beobachter beim Prozess um den Überfall auf die Ostberliner Zionskirche 1987: Damals hatten Skinheads ein alternatives Konzert überfallen und Besucher krankenhausreif geprügelt. Der Fall wurde nur in Westdeutschland aufgegriffen, der Osten schwieg. „Die Stärke des Rechtsextremismus in Ostdeutschland war nicht nur ein Produkt der Wende und der Enttäuschung über die Massenarbeitslosigkeit, diese Entwicklung liegt tiefer.“ So hätten westdeutsche Rechtsextremisten vielerlei Stimmungen innerhalb der ostdeutschen Bevölkerung aufgreifen und für ihre Zwecke nutzen können, ist sich Hülsemann sicher.
Gegen solche Einstellungen – Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Ablehnung von Demokratie und Glaube an die starke Hand eines gerechten Führers – hat Hülsemann im Rahmen des Handlungskonzepts „Tolerantes Brandenburg“ 1998 die Mobilen Beratungsteams (MBT) entworfen. „Uns geht es vor allem darum, dass Vordringen rechtsextremer Ideologie in die Mitte der Gesellschaft zu stoppen, vor allem im ländlichen Raum.“ Denn zum Beispiel um Städte wie Potsdam macht sich Hülsemann trotz Wellen rechter Gewalt wie im Sommer 2005 keine großen Sorgen: „Hier gibt es eine starke Zivilgesellschaft und viele alternative Jugendgruppen, die nur aufpassen müssen, dass sie Gewalt nicht mit Gewalt beantworten können“, sagt er. Das Einsatzfeld seines Teams sieht er daher eher in strukturschwachen, provinziellen Landstrichen. „Und auch dort sind nicht die Gewalttäter das eigentliche Problem, sondern die schweigende Mehrheit.“ Sein Ansatz verfolge daher das Ziel, die Menschen zum Handeln zu ermutigen, sie zusammenzubringen, ihnen den „Wertekampf der Demokratie“ positiv erfahrbar zu machen. „Das ist unspektakulär und wohl kaum für die Medien geeignet“, mein Hülsemann beinahe entschuldigend und fügt hinzu „Ich bin eben kein Frontkämpfer.“ Doch sei die Herangehensweise seiner zwölf Mitarbeiter die wohl einzige Möglichkeit, langfristig rechtsextreme Einstellungen zu bekämpfen – auch wenn der Erfolg nur insoweit messbar sei, dass die Angebote der MBT immer öfter von Bürgermeistern nachgefragt würden und das Konzept inzwischen auch in andere Bundesländer exportiert worden sei.
Es sind auch solche Vorwürfe – die schwer messbare Arbeit von Initiativen gegen Rechts, der Argwohn gegen „Nestbeschmutzer“ – denen sich Hülsemann immer wieder einmal erwehren musste.
2008 beendet er seine Arbeit offiziell, weil er in den Ruhestand geht. Wünsche? Ja, die habe er noch. „Die Menschen auf dem Land sollten die bei der vergangenen Gemeindegebietsreform verlorene Selbstverwaltung durch neue Möglichkeiten gesellschaftlicher Mitverantwortung bewältigen können.“ Zudem müsse die Jugend verstärkt mit der politischen Wertegemeinschaft der Demokratie vertraut gemacht werden. „Die Parteien müssen die Attraktivität ihrer Jugendorganisationen maßlos erhöhen.“ Hülsemann sagt solche Sätze nicht im Zorn oder mit besonderer Schärfe in der Stimme. Er spricht sie aus wie Gesetze, schlichte Notwendigkeiten. 2008 also möchte er sich zurückziehen?! Er scheint selbst nicht so recht daran zu glauben: „Ich werde mich wohl in einem anderen Rahmen um Rechtsextremismus kümmern.“ Gerade hat er eine Stiftung gegründet. Sie trägt einen einfachen Namen: „DemokratieAnstiftung“. Er wird also weitermahnen.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: