Landeshauptstadt: Lebensmut für alle Mädchen
Das Autonome Frauenzentrum Potsdam feiert heute 25 Jahre Vereinsgründung mit einem Konzert
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Interessenvertretung von Frauen fand in der DDR nur auf offizieller Seite statt. Es gab den Demokratischen Frauenbund Deutschlands, der sich dafür einsetzte, den Frauen die Integration in die Arbeitswelt zu erleichtern. „Man erkämpfte sich zum Beispiel den Haushaltstag, das war aber Familienpolitik“, sagt Heiderose Gerber, die heute den Verein Autonomes Frauenzentrum leitet. Den gibt es seit 25 Jahren – das Jubiläum wird am heutigen Mittwoch mit einem öffentlichen Empfang und Konzert gefeiert.
Heiderose Gerber erinnert sich an die Anfänge im Wendeherbst 1989. Auch in Kirchenkreisen und Oppositionsgruppen hatte es natürlich Frauen- und Mädchenarbeit gegeben. Neu war, dass man sich nun als Verein zusammentat, um gezielt die Interessen und Anliegen der Frauen in die sich umwälzende Gesellschaft einzubringen. Im Mai 1990 gründete man den Verein, zeitgleich bemühte man sich um ein Vereinsdomizil. Das klappte, der Verein konnte vom Gesundheitsamt ein Gebäude in der Zeppelinstraße, am Luisenplatz, übernehmen. Vorher informierten sie sich, ob es da nicht doch Ansprüche von Alteigentümern gibt. „Wir wollten ja nicht gleich wieder raus“, sagt sie. Sie blieben mehr als 20 Jahre. Sie sanierten das vergammelte Gebäude, richteten Büros, Beratungs- und Veranstaltungsräume ein, machten den Hof zu einer kleinen grünen Oase. „Wir waren euphorisch“, sagt Gerber. Doch bald suchten die ersten Frauen mit Gewalterfahrungen bei ihnen Hilfe, eine Zufluchtswohnung musste her. Auch die wurde in dem Vereinshaus eingerichtet. Das war nicht optimal, in der Regel sind solche Unterkünfte an einem unbekannten Ort. Das war damals nicht möglich. Erst 2011 änderte sich alles. Das Autonome Frauenzentrum zog in großzügige, modern ausgebaute Räume in der Schiffbauergasse. Frauenhaus und anonyme Zufluchtswohnung wurden ausgelagert. Endlich konnte man in Notsituationen Frauen und deren Kinder halbwegs adäquat und vor allem sicher unterbringen – etwa 80 Personen im Jahr.
Rund 300 Frauen nehmen jedes Jahr die Beratungsangebote des Zentrums wahr. Diese Zahl wächst, sagt Gerber. 7,3 Prozent aller Straftaten in Potsdam sind Fälle häuslicher Gewalt – 295 waren das insgesamt 2014. Auffällig sei, dass die Brutalität der Straftaten zunimmt. Daneben gebe es nach wie vor viele Fälle stiller Gewalt gegen Frauen, in Form von psychischer Unterdrückung oder Abhängigkeiten, beispielsweise wenn der Mann der Frau das Konto sperrt.
Deshalb wurde als Datum für die Feierlichkeiten zum Jubiläum des Frauenzentrums der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen, der 25. November, gewählt. Vorgestellt wird heute Abend auch ein neuer Flyer, der zusammen mit dem städtischen Büro für Chancengleichheit und Vielfalt erarbeitet wurde. In sechs Sprachen sollen Flüchtlingsfrauen damit auf das Thema häusliche Gewalt gegen Frauen angesprochen werden. „Studien belegen, dass es gerade in Gemeinschaftsunterkünften immer wieder zu solchen Vorfälle kommt“, sagt Gerber. „Wir müssen das ernst nehmen.“
Im kommenden Jahr soll ein Kinospot fertig werden, der auf die Möglichkeit der anonymen Spurensicherung nach einer Vergewaltigung hinweist. Dabei kann sich die Frau von einer Ärztin untersuchen lassen, ohne sofort bei der Polizei eine Anzeige zu stellen. Die Möglichkeit dazu bleibt ihr aber erhalten, selbst wenn sie es ein Jahr später tun möchte. „Manchmal braucht man eben Bedenkzeit“, sagt Gerber. Das Bergmann-Klinikum bietet diese Form der Spurensicherung an, leider sei das aber noch viel zu wenig bekannt.
Doch das Frauenzentrum hat viel mehr zu bieten als Rat und Hilfe. Von Anfang an war das Zentrum ein Ort für Weiterbildung, Sozialarbeit für Frauen und Mädchen, für Begegnungen, vor allem zwischen Potsdamerinnen und Migrantinnen – gerade jetzt. Um die Flüchtlingsfrauen und Mädchen zu erreichen, besuchen die Mitarbeiterinnen die Gemeinschaftsunterkünfte, stellen sich vor, laden die Mädchen, die sich in der Stadt nicht auskennen, direkt zu ihnen ein. Es geht darum, den Mädchen Selbstständigkeit und Selbstbewusstsein zu vermitteln. „Seit 25 Jahren arbeiten wir daran, Frauen sichtbar zu machen, ihnen Würde, Stolz und Lebensmut zu vermitteln“, sagt Gerber. Das Frauenzentrum begleitete zudem die Stadtpolitik kritisch und beratend. 30 „Hexenbesen“, so heißt der Pokal des Vereins, wurden an engagierte Potsdamerinnen in den vergangenen Jahren vergeben. Im kommenden Jahr soll ein Buch mit den Biografien der Hexenbeseninhaberinnen erscheinen.
Natürlich wurde immer auch gefeiert, Sommerfeste zum Beispiel im gemütlichen kleinen Hof in der Zeppelinstraße und jetzt am grünen Ufer des Tiefen Sees. Dazu kommen Kulturveranstaltungen, Lesungen, Ausstellungen, Konzerte, zu denen ausdrücklich auch Männer eingeladen sind – und kommen. Heute Abend ist das Musiktheater Wilde Mischung aus Berlin zu Gast: Die Pianistinnen Birgitta Altermann und Lilly Walden treten mit ihrer Hommage an die Schriftstellerin Simone de Beauvoir auf. Aus Potsdam kommt das Pulsar Trio mit Matyas Wolter an der Sitar, Aaron Christ am Schlagzeug und Beate Wein am Flügel – Musik mit viel Rhythmus und frechen bis sinnlichen Texten. Der Eintritt ist frei, Spenden sollen Opfern von Gewalt zugutekommen.
„25 Jahre Autonomes Frauenzentrum“ heute Abend um 18 Uhr im Kino Thalia, Rudolf-Breitscheid-Straße 50. Der Eintritt ist frei.
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