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Von Peter Tiede und Erhart Hohenstein: Letzter Zeuge war ein Forstmeister
Am Donnerstag gehen zehn Gemälde zurück an die Stiftung – eine Spurensuche
Stand:
War es der Förster? Waren es russische Soldaten? Oder war es doch märkischer Landadel, der nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges auf seiner Landflucht gen Westberlin die Depots des Schlosses Rheinsberg mit plünderte? Nach Rheinsberg war ein Großteil der Kunstsammlungen aus den Preußischen Schlössern ausgelagert. Die meisten Kunstwerke und Möbelstücke landeten bis Ende der 1940er Jahre dann in der Sowjetunion. Doch einige Kunstwerke landeten eben in Westberlin.
Zumindest für ein Zehntel der bisher noch als vermisst geltenden 99 Gemälde aus der Bildergalerie des Schlosses Sanssouci wird sich am morgigen Donnerstag ein Teil des Rätsels lösen lassen: Wie gestern bereits berichtet, stellt die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten am morgigen Donnerstag zehn Gemälde der Öffentlichkeit vor, die aus den nach Rheinsberg ausgelagerten Sammlungen verschwunden waren und die nun aus Berliner Privatbesitz über ein Berliner Auktionshaus wieder zurückkehren. Darunter ein Werk von Peter Paul Rubens, eine Rubens-Kopie und Werke vom Preußischen Hofmaler Antoine Pesne sowie von Jean Raoux.
Und für die meisten Kunstwerke, die im Vermissten-Katalog der Schlösserstiftung aufgezählt sind, gilt ausgerechnet ein Forstmeister als der Letzte, der sie vor dem Verschwinden noch gesehen hat. Der Standardeintrag in den Listen des Vermissten-Katalogs und im Lost-Art-Register für verschollene Kunst lautet: „Juli 1942 Schloss Rheinsberg, am 30. Juli 1945 dort vom Forstmeister Bartels noch festgestellt“. Allein 17 noch immer verschollene Werke bzw. Kopien oder Bilder aus der Werkstatt von Peter Paul Rubens , die in der Bildergalerie Sanssouci hingen, lagerten in Rheinsberg. Die Hälfte davon hat Forstmeister Bartels laut Aktenlage nach Kriegsende dort noch gesehen.
Eben dieser Forstmeister Bartels könnte nun auch eine Spur zu den wiederaufgetauchten Gemälden sein, die offenbar nicht nach Russland gelangt waren. Denn auch in einem anderen Fall gilt Bartels als Organisator von Kunsttransfers nach dem Krieg. Bartels, der einst Beamter in der kaiserlichen Generalverwaltung war, soll nach dem Krieg laut Angaben aus Stiftungskreisen auch den Transport von Gemälden, die aus dem Schloss Königsberg nach Rheinsberg ausgelagert waren, nach Westberlin, wohin er selbst später flüchtete, organisiert haben. Bartels und andere Getreue sollen zumindest dafür gesorgt haben, dass einige Bilder wieder den Weg zu Angehörigen des einstigen Herrscherhauses fanden.
Die Spur zum Forstmeister Bartels ist bislang die einzige, die von Rheinsberg direkt nach Westberlin führte, wo nun eben auch die zehn Gemälde aufgetaucht sind. Angeblich soll eine Berliner Familie die Kunstwerke, die nach Auskunft der Schlösserstiftung einen „unschätzbaren kunsthistorischen Wert“ haben, arglos einem Auktionshaus zum Verkauf angeboten haben. Dort sei man dann bei Routineüberprüfungen auf die Herkunft der Bilder gestoßen. Die Familie habe weder etwas vom Wert noch der Herkunft der Bilder gewusst. Genaueres will die Stiftung erst am Donnerstag bekannt geben.
Denkbar sei auch, hieß es nun aus Kunstsammlerkreisen, dass die „zehn Meisterwerke von internationalem Rang“ (Stiftung) entweder von russischen Soldaten bei Deutschen eingetauscht wurden oder dass Berliner, die sich zum Kriegsende aufs Land geflüchtete hatten, die Bilder selbst in Rheinsberg gestohlen hatten. Häufig seien solche Werke aber auch nach dem Krieg in Westberlin auf dem Schwarzmarkt getauscht worden.
Ausgeschlossen hat die Stiftung, dass die Bilder zu DDR-Zeiten nach Westberlin verkauft worden sind. Demnach müssten sie verschwunden sein, bevor die Russen massenhaft die Kunstwerke aus Rheinsberg gen Moskau verfrachteten.
Insgesamt vermisst die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten noch immer mehr als 3000 Gemälde – aber nicht alle sind tatsächlich verschollen. Viel lagert noch in russischen Depots oder offen in Museen. Russland betrachtet die Kriegsbeute als legitimes Eigentum Russlands.
Nur zweimal hatte sich die Sowjetunion zu einer Rückgabe an Deutschland entschlossen: 1955 gab sie der DDR die Dresdner Gemäldesammlung zurück. Und nach einem Beschluss der sowjetischen Führung vom Mai 1957 wurden zwischen 1958 und Anfang 1959 etwa 1,5 Millionen Kunstwerke in mehr als 300 Eisenbahnwaggons aus Moskau und Leningrad in die DDR gebracht – darunter der 12.08.2008 ]Pergamonaltar in Berlin, das Grüne Gewölbe und Raffaels „Sixtinische Madonna“ in Dresden/ 12.08.2008 ]. In die Bildergalerie von Sanssouci kamen 1958 so 60 Gemälde zurück.
Fest steht, dass am Kriegsende 1945 der Gemäldebestand der Bildergalerie Sanssouci, abgesehen eben von einigen privaten Diebstählen, im Schloss Rheinsberg komplett erhalten war. Darunter neben den Rubens-Bildern auch welche von Reni, Caracci, Cornelius von Harleem, Domenichino, Lancret und Adrian van Werfft.
Dass diese Kunstwerke aber den Krieg überhaupt überstanden, ist im Wesentlichen Ernst Gall, dem Direktor der preußischen Schlösserverwaltung, zu verdanken. Denn nach Kriegsbeginn versuchten die Nationalsozialisten, die durch alliierte Luftangriffe verursachte Gefährdung der Kunstschätze herunterzuspielen. So wurde Gall im Jahr 1939 gezwungen, die von ihm verfügte Schließung der Museumsschlösser in Berlin und Potsdam zurückzunehmen. Der Kunsthistoriker ließ dennoch im Jahr 1942 aus eigener Entscheidung den gesamten Bestand der Bildergalerie Sanssouci, dazu Werke aus dem Neuen Palais, den Neuen Kammern und Schloss Königsberg auf Lastkraftwagen ins Schloss Rheinsberg bringen. Andere Werke wurden zur Aufbewahrung an vertrauenswürdige Privatpersonen übergeben. Als aber nach Kriegsende begonnen wurde, die in Rheinsberg lagernden Bestände so wie Zigtausende anderer Kunstschätze in die Sowjetunion abtransportieren, trat Ernst Gall 1946 aus Protest als Direktor der Staatlichen Schlösser und Gärten zurück.
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