Landeshauptstadt: Tag der Schwergewichte
Tausende Menschen bei Wahlkampfauftritten in PotsdamMerkel: CDU hat keine Stimmen an die FDP zu verschenkenGabriel: Absage an rot-rot-grüne Experimente Gysi: Nach der Wahl kann man nichts ausschließen
Stand:
SIGMAR GABRIEL; SPD–Chef, Potsdamer LUSTGARTEN; 18.30 Uhr
Plötzlich kommt sogar noch die Abendsonne heraus, nachdem es fast zwei Stunden schüttete. Unter der Kuppel des violetten Zirkuszeltes, nach allen Seiten offen, von den Sozialdemokraten vorsorglich im Lustgarten aufgebaut, haben sich rund 700 Leute versammelt. Die Hälfte Genossen, die andere Hälfte Neugierige, ein freundliches, aufmerksames, zumeist älteres Publikum, das Sigmar Gabriel als Hauptredner so begrüßt: „Tach zusammen!“ Nein, keine Wahlkampfrede. Er gibt den Ring frei. Man kann den SPD-Vorsitzenden live fragen. Gleich die erste Frage ist keine angenehme. Wie steht die SPD zum NSA-Skandal, wo die Sozialdemokraten doch Deutschlands Kooperation mit dem US-Geheimdienst selbst mit aushandeln? „Wir sagen der Regierung: Veröffentlicht es doch!“, antwortet Gabriel. „Frank-Walter Steinmeier hat damals Prinzipien der Zusammenarbeit verabredet, aber eben nach Recht und Gesetz, nicht das Abhören von 15 Millionen Mails pro Tag.“ Dann geht es durch die Themen, Mindestlohn und Leiharbeit, Volksabstimmungen ins Grundgesetz, Afghanistan-Einsatz. Danach kommt die Schlüsselfrage zu den schwächelnden Grünen, zu einer Großen Koalition, zu Rot-Rot-Grün. „War so ein schöner Abend bisher“, sagt Gabriel. Und dann holt er aus, geißelt die Linke als janusköpfige Partei. Dass Lafontaine dort sei, „ist ein gelungener Täter-Opfer-Ausgleich.“ Lacher. Und dann sagt Gabriel: „Es muss eine stabile Regierung in diesem Land geben. Man kann sich auf keine Abenteuer einlassen. Die Sozialdemokraten haben noch nie mit dem Schicksal ihres Landes gespielt.“ Also eine Große Koalition. Vor Gabriel, vor Bundestagsfraktionschef Frank-Walter Steinmeier und Ministerpräsident Dietmar Woidke gehörte die Bühne fast eine Stunde Andrea Wicklein. Die SPD-Direktkandidatin, beim Talk mit Bürgern. Und vor allem Katja Clasen, eine Erzieherin aus Potsdam, sorgte dafür, dass Tacheles geredet wurde. Der Betreuungsschlüssel in den Kitas sei zu schlecht, klagte sie, schilderte ihren Alltag. Freilich, dafür ist das Land zuständig, seit 1990 SPD-regiert. Aber solche Feinheiten spielen an diesem Tage keine Rolle, beim Wahlkampf der Elefanten in Potsdam. Bühne frei für Roland Kaiser.
GREGOR GYSI, Linke-Bundesspitzenkandidat, Holländisches Viertel, 14.55 Uhr
Er kommt nicht zum Straßenwahlkampf ins Holländische Viertel, wo an diesem trüben Nachmittag ohnehin kaum Passanten unterwegs sind. Gregor Gysi, Fraktionschef der Linken im Bundestag und der Spitzenkandidat seiner Partei, der einen Abstecher aus Berlin nach Potsdam macht, trifft sich mit politischen Korrespondenten. Von Potsdamer oder Brandenburger Linken ist niemand dabei. Ehe er im „Fliegenden Holländer“ verschwindet, gibt er noch ein Interview. Was sagt er zu Rot-Rot-Grün? „Nach der Wahl wird die Zeit der Ausschließeritis vorbei sein.“ Was würde eine Große Koalition für Deutschland bedeutet? „Es würde weiter so dahingemerkelt. Das Einzige, was die SPD durchsetzen würde, wäre der Mindestlohn.“ Wie sieht er die Chancen seiner Partei in Brandenburg, die 2009 hier die Bundestagswahl gewann, die in Potsdam zwei Jahrzehnte der SPD als Verfolger im Nacken saß und nun auf Platz drei zusteuert? „Ich hoffe auf ein zweistelliges Ergebnis.“ Natürlich spiele in Brandenburg eine Rolle, dass die Linken hier mitregieren. „Bis zur nächsten Landtagswahl haben wir ja noch ein Jahr Zeit.“ Um sich, was Gysi offensichtlich meint, zu steigern. Was hält er von der Kanzlerin? „Ich weiß, wie sehr Angela Merkel in Brandenburg und in Ostdeutschland geschätzt wird. Die Leute unterschätzen aber, wie sehr ihre Sparguthaben gefährdet sind.“ Nach der Wahl komme wegen der Euro-Krise die Stunde der Wahrheit. Und warum sollte man da die Linken wählen? „Sonst verändern Sie immer nur eine Partei. Wenn Sie die Linke wählen, verändern Sie die Politik von SPD, CDU und Grünen.“ Gregor Gysi, live, aus Potsdam.
WIE WEITER?
Am heutigen Dienstag nehmen die Direktkandidaten des Wahlkreises 61 ab 9 Uhr an einer Diskussion in der Aula des Evangelischen Gymnasiums Hermannswerder teil. Am Abend besucht Andrea Wicklein (SPD) ab 18 Uhr Nuthetal. Katherina Reiche (CDU) ist am Dienstagmorgen ab 7.30 Uhr bei Radio Potsdam und trifft am Abend CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe zur Kneipentour in der „Hohlen Birne“, Mittelstraße 19. Die Linke hat heute einen Infostand auf dem Luisenplatz. Am Freitag ist Grünen-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt von 12 bis 14 Uhr in Potsdam .
ANGELA MERKEL, Kanzlerin und CDU-Chefin, Bassinplatz, 19.30 Uhr
Es ist der Tag nach der Bayern-Wahl. Der Tag, an dem bundesweit debattiert wird, ob nach München womöglich die Liberalen am 22. September auch aus dem Bundestag fliegen und damit Schwarz-Gelb doch auf der Kippe stehen könnte. Angela Merkel, deren Auftritt auf der Bühne um 19.30 Uhr auf die Minute pünktlich beginnt, geht sofort darauf ein. Wird es Leihstimmen der Union für die FDP geben? Nein, sagt sie kategorisch, „die CDU hat keine Stimmen zu verschenken.“ Denn, sagt Merkel, „die Wahl wird knapp, sie wird sehr knapp ausgehen.“ Gut eintausendfünfhundert Menschen mögen es sein, die CDU zählt 3000, die sich auf dem Bassinplatz versammelt haben, Mitglieder und Sympathisanten, einige Hundert geladene Gäste im abgeriegelten Sicherheitsbereich vor der Bühne. Aber auch viele Neugierige sind da, und mancher, der vorher bei der SPD war und hinüberspaziert kommt. Es sind auch einige Dutzend junge Leute da, die mit Trillerpfeifen den Auftritt zu stören versuchen, vergeblich. Beifall brandet auf, als Merkel darauf eingeht, daran erinnert, wie anderswo auf der Welt Menschen um solch demokratische Rechte kämpfen. „Wir können stolz sein auf unsere Demokratie, auf unsere Toleranz.“ Ehe sie begann, begrüßte sie zwei Anwesende persönlich: Jörg Schönbohm, der sich von einem Schlaganfall erholt hat und mit seiner Frau Eveline in der ersten Reihe sitzt. Und Katherina Reiche, die Potsdamer CDU-Direktkandidatin und Parlamentarische Staatssekretärin in der Bundesregierung, die von der eher sparsam damit umgehenden Kanzlerin mit einer besonderen Würdigung bedacht, nämlich öffentlich geduzt wird. „Liebe Katherina Reiche, ich bin auch in Potsdam, weil ich dich unterstützen möchte, dir Dank sagen möchte für deine Arbeit in der Bundesregierung“, sagt Merkel. „Ich möchte, dass du weiter eine starke Stimme in der Bundestagsfraktion bist.“ Reiche, die zum Schluss spricht, geht ironisch auf das Roland Kaiser Konzert bei den Sozialdemokraten gut tausend Meter weiter am Lustgarten ein. „Ich denke, dass er ein Lied nicht spielen wird“, sagt Reiche. „Schach matt durch die Dame im Spiel!“ Durch Merkel.
Der Endspurt im Bundestagswahlkampf hat begonnen – am Montagabend in Potsdam mit einem Duell der politischen Schwergewichte: Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel war auf dem Bassinplatz. Für die SPD gingen Parteichef Sigmar Gabriel und Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier in die Wahlkampf-Bütt – gefolgt von Schlagerstar Roland Kaiser. Auch Linke-Spitzenkandidat Gregor Gysi war da.
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