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Von Jan Kixmüller: Urvertrauen aufbauen

Ein Kongress der deutschen Psychologen nahm an der FH die Krippenbetreuung kritisch unter die Lupe

Stand:

Als Prof. Hermann Staats das ideale Betreuungsverhältnis von einem Erzieher auf drei Kinder für Kinderkrippen nannte, ging ein resignierendes Lachen durch den überfüllten Hörsaal. Der Psychologe der sich an der Fachhochschule Potsdam mit psychoanalytisch orientierter Entwicklungspsychologie beschäftigt, hatte zu der Tagung „Kinder in der Krippe – Chancen und Risiken aus psychoanalytischer Sicht“ am Wochenende an der Fachhochschule zwar ein eher optimistisches Statement für die Betreuung der unter Dreijährigen in Kitas gegeben. Doch Staats geht dabei vom Idealzustand aus, einer behutsam und langsam erfolgten Trennungsphase – also die Eingewöhnung in die Kita – verlässliche Bindungen sowohl im Elternhaus wie auch in der Betreuungseinrichtung und eben auch einen ausreichenden Betreuungsschlüssel. Dann könne die im jungen Alter heikle Trennung auf Zeit von den Eltern gelingen und sogar ein Gewinn für das Kind sein.

Doch dass gerade der Betreuungsschlüssel ein großes Problem ist, ist kein Geheimnis. Überfüllte Kitas sind zumindest in Berlin und Potsdam eher der Normalfall, Brandenburg rangiere mit einem Betreuerschlüssel von 1:7 bundesweit ganz hinten, wie Wissenschaftsministerin Johanna Wanka (CDU) zur Eröffnung der Konferenz am Freitag kritisierte. Das wolle die Landesregierung ändern. „Aber das kostet viel Geld“, so Wanka. Auch Prof. Christiane Ludwig-Körner von der FH, die Familienministerin von der Leyen berät, sprach in diesem Zusammenhang von einem enormen Bedarf an gut ausgebildeten Erziehern. Vor dem Hintergrund des von der Familienministerin angestrebten Ausbaus der Tagesbetreuung um 500 000 neue Plätze bis 2013 gebe es eine „riesige Lücke“, die nun nicht im Schnellverfahren gefüllt werden dürfe. Eine qualifizierte Ausbildung der Pädagogen sei grundlegend für die Qualität der Betreuung.

Wie wichtig gerade die Qualität der Tagesbetreuung der Kleinkinder ist, hatte im Vorfeld der FH Tagung schon ein Memorandum der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung hervorgehoben. Vor dem Hintergrund des geplanten Ausbaus der Krippenbetreuung hatten die Psychologen einen deutlichen Warnschuss abgegeben. Denn was auf demographische, bildungs- und arbeitsmarktpolitische Aspekte zurückgehe, schien den Psychologen zu kurz gegriffen.

Gerade in den ersten 36 Lebensmonaten sei das Kind wegen seiner körperlichen und seelischen Verletzlichkeit ganz besonders auf eine schützende und stabile Umgebung angewiesen, heißt es in dem Memorandum. In dieser Entwicklungsphase werde die Grundlage für die seelische Gesundheit eines Menschen gelegt. Die emotionale und kognitive Entwicklung werde in der frühen Kindheit durch die Stabilität der Beziehung gefördert. „Einfühlung in seine Bedürfnisse, Verfügbarkeit einer verlässlichen Bezugsperson, regelmäßige Alltagskulturen helfen dem Kind, ein ,Urvertrauen“, das nicht angeboren ist, zu gewinnen“, schreiben die Psychologen.

Plötzliche oder zu lange Trennungen von den Eltern würden in der frühen Kindheit einen bedrohlichen Verlust der Lebenssicherheit darstellen, der zu „innerseelischen Katastrophen“ führen können. Die Kinder können individuell darauf reagieren, etwa durch Schreien, Weinen, resigniertes Verstummen, Schlaf- oder Ernährungsstörung. Aber auch Kinder, die gegen die tägliche Trennung nicht protestieren, können leiden, sie zeigen ihre seelische Belastung nicht.

Hermann Staats kennt als Psychologe auch Spätfolgen bei Erwachsenen. „Wir haben es dann mit einer schwer fassbaren, tapfer getragenen Traurigkeit zu tun, über einen frühen Verlust“, so der Wissenschaftler, der an der FH die Sigmund-Freud Stiftungsprofessur inne hat. Betroffen sein können Menschen, die als Kind zu früh in nicht adäquater Fremdbetreuung waren. Genannt werden in diesem Zusammenhang vor allem die Krippen in der frühen DDR, im Israel der Nachkriegszeit und in China. Alles Länder, in denen Psychologen heute mit Spätfolge konfrontiert seien, sagte die Psychologin Ann-Katrin Scheerer. Doch diese Symptome gibt es auch bei Menschen, die bei ihren Eltern groß geworden sind. „Die Qualität der Betreuung ist entscheidend, der helfende Nachbar oder die Erzieherin kann bei einer mangelnden Zuneigung in der Familie auch als Rettung empfunden werden“, erklärte Staats.

Das Memorandum bringt es auf folgende Formel: „Je jünger das Kind, je geringer sein Sprach- und Zeitverständnis, je kürzer die Eingewöhnungszeit in Begleitung der Eltern, je länger der tägliche Aufenthalt in der Krippe, je größer die Krippengruppe – umso ernsthafter ist die mögliche Gefährdung seiner psychischen Gesundheit“. Neben der „Krippenreife“ des Kindes betrachten die Psychologen aber auch das Befinden der Eltern. „Politische Forderungen nach möglichst früher Rückkehr der Mütter an den Arbeitsplatz verunsichern intuitives Wissen und schüren eine unnötige ideologische Konkurrenz um ein ,richtiges“ Frauenbild“, heißt es.

Dass das Thema eine hohe Ambivalenz hat, zeigte sich bei der Potsdamer Tagung. Der kritische Vortrag von Ann-Katrin Scheerer, der in weiten Teilen dem Memorandum folgte, wurde von dem dicht besetzten Auditorium mit geradezu frenetischem Applaus bedacht. Was die Anwesenden nicht davon abhielt, die eher optimistischen Einschätzungen von Prof. Staats wiederum mit Erleichterung aufzunehmen. Dass Babys schon sehr früh das Bedürfnis der Vernetzung mit sozialen Gruppen auch außerhalb der Mutter-Kind-Beziehung suchen, gab auch Ann-Katrin Scheerer zu bedenken. Und eine frühe, gelungene Erfahrung mit Trennung kann, so Staats, für die spätere Entwicklung des Kindes durchaus förderlich sein. „Eine gute Krippe ist meist auch die bessere Alternative zum Fernsehen“, schloss der Psychologe.

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