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Kultur: „Ach was, Erfolg ist eine Chimäre“

Regisseur Egon Günther im Groß Glienicker „Begegnungshaus“

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Regisseur Egon Günther im Groß Glienicker „Begegnungshaus“ Viele haben es gar nicht gewusst: Der Autor und Filmregisseur Egon Günther, Jahrgang 1927, hat seit Anfang der Sechziger unter den Groß Glienickern gelebt und gearbeitet. In einem „schwerbewachten“ Haus mitten im schwerbewachten Grenzgebiet. Viele seiner Arbeiten, darunter Autorenfilme wie „Der Dritte“, entstanden in dieser abgeschirmten Einsamkeit, aber auch bis heute gültige Literaturverfilmungen von Thomas Mann oder Arnold Zweig. Am Nachmittag des 1. Advent war der Filmkünstler Gast im Groß Glienicker „Begegnungshaus“, zu dem ein gutgeführtes „Kulturcafé“ gehört. Der Berliner Filmwissenschaftler Günter Agde führte das überaus zahlreich erschienene Publikum mit Leidenschaft und Behutsamkeit durch das Lebenswerk seines langjährigen Freundes, dazu zeigte man Ausschnitte aus „Der Dritte“ (1972) und „Lotte in Weimar“ (1975), für deren Hauptrolle sich die in England lebende Lili Palmer bewarb. Egon Günther konnte die Regierung überzeugen, die „bedeutende antifaschistische Schauspielerin“ für harte Devisen zu verpflichten. Agde beschwor die Besucher geradezu, wenn immer es ginge, sich Filme von ihm anzuschauen, möglichst im Kino, denn das sei das ureigenste Metier dieses Regisseurs, einer von vier oder fünf Nachkriegs-Filmern mit bleibender Geltung und Rang. Ja, viele erinnern sich seiner, Erfolg hat oft Dauer. Zwei politische Einschnitte hatten sein Leben wohl geprägt, das „Killer-Plenum“ von 1965 und die Biermann-Affäre (1977). Neben „Lots Weib“ (1965), zusammen mit seiner damaligen Frau Helga Schütz entstanden, drehte er zur gleicher Zeit einen Film, der erst 1990 in die Kinos kam – „Wenn Du groß bist, lieber Adam“ war der lügengewandten Macht wohl zu wahrhaftig. Egon Günther, im Outfit mit Schnauzer und knapper Jeans-Jacke, zeigte aber Verständnis für die Zensur. Er habe sich stets geweigert, Filme über den „Neuen Menschen“ zu machen, weil es den gar nicht gab. „Der Dritte" mit Jutta Hoffmann in der Hauptrolle, war ein Reflex auf die immerfort nur beteuerte Emanzipation der Frau in der DDR. Man sah Szenen mit Armin Müller-Stahl, dem zweiten vor dem Dritten. Nach seiner Unterschrift unter die Biermann-Petition verließ Günther 1977 den Filmverband und drehte fortan vor allem im Westen für den WDR und den Bayerischen Rundfunk. Das Haus an der Grenze in Groß Glienicke benutzte der Individualist ob der abschirmenden Stille zum Schreiben. Hier entstand auch sein „Goethe-Zyklus“, neben „Lotte in Weimar“ – die Thomas-Mann-Erben seien nach der Erfahrung mit „Tod in Venedig" froh gewesen, dass ein Ostdeutscher diesen Roman verfilmen wollte – auch „Die Leiden des jungen Werther“, deren Heldin Charlotte den Dichterfürsten 40 Jahre später in Weimar besuchte. Detailgenauigkeit, hohe Schule der Schauspielerführung und ein besonderes Kameraauge bescheinigte Agde dem einzigen nicht fest angestellten Regisseur der DEFA, dazu Kunstverstand und Poesie. Nicht zu vergessen sein Schreibtalent (u.a. „Einmal Karthago und zurück“), welchem er auch heute noch frönt – als Korrespondent „der letzten linken Tageszeitung Deutschlands“ in Sachen Berlinale. Von „Mosaischer Kanzel aus" wettere er, so Agde, gegen die miserablen Produktionen aus Übersee. „Schlecht bezahlt“, fügte Günther murrend hinzu. Im Jahr, wo er eine Professur an der HFF erhielt, drehte er „Lenz" (1992). 1999 folgte sein letzter Film „Die Braut“. Ein „komplizierter Beruf“: Auch das Kino müsse „Quote“ bringen ("habe dafür Verständnis"), was sich oft mit künstlerischen Ansprüchen kreuzte, mal müsse man seinen Auftraggebern nach dem Maule reden, gelegentlich könne man sich durchsetzen – aber wer sich zuviel behaupet, den mag niemand leiden. Sein Weggang aus der DDR, wichtige Erfahrung, sei persönlich bestimmt gewesen, niemand habe ihn gedrängt, zumal der Regisseur im Osten mehr Freiheiten hatte als andere. Aber zum Schreiben kam er immer wieder zurück – weil es so still war, im Grenzland. Trotz aller Elogen machte er keinen zufriedenen Eindruck. „Ach was, jeder Erfolg ist eine Chimäre!“ Seit drei Jahren hat er nicht mehr gedreht. Er brenne darauf, das Leben eines anderen Weimarers zu verfilmen, jener, der zwei Weltkriege und noch Schlimmeres vorausgesagt habe und der ob seines stringenten Denkens den Verstand verlor, Friedrich Nietzsche. Egon Günther quält also die Sorge der Welt, und Weimar ist das Zentrum geblieben. Manchmal fragt ihn noch jemand, wie es denn käme, einen Film von ihm nicht vergessen zu können, den man nie mochte. Das ist wohl sein Geheimnis der Kunst. Gerold Paul

Gerold Paul

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