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Ich und Wicht. Zwerge des Schweizer Künstlers Martin Städeli (großes Bild), Rotkäppchen von Frieda Knapp (o.r.), Mini-Stühle von Axel Lieber. Werke von insgesamt 24 Künstlern sowie drei Filme sind ab morgen in der Galerie Kunstraum zu sehen. Die Ausstellung wird am Samstagabend im Rahmen des Schiffbauergassen-Festes eröffnet.

© Andreas Klaer

Von Jana Haase: Der Wicht in mir

Entdeckungsreise in der Galerie Kunstraum: Am Samstag eröffnet die Ausstellung „Ich Wicht“ mit Werken von 24 Künstlern

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Die Verwandlung hat gerade erst begonnen. In der Galerie Kunstraum wird aufgebaut, eingebaut, umgebaut, es riecht nach Holz und Farbe. Wo sonst der Blick frei war, stehen weiße Wände, Fenster, die sonst versteckt waren, lassen nun Licht in die hohen Räume. Auf einem Baustellen-Gerüst im hinteren Raum ist eine zweite Ebene entstanden und ein verborgener Raum darunter. Und während die meisten Werke, die hier ab morgen zu sehen sein werden, noch in Luftpolsterfolie verpackt in Holzkisten schlummern, ist die Entdeckungslust des Besuchers schon geweckt. Was zum Beispiel hat es mit dieser seltsamen Versammlung von Papierzwergen mit den spitzen bunten Hüten auf sich, die da gleich am Eingang auf dem Boden sitzen, als würden sie eine Pause von der Arbeit machen? Und haben die was mit den Mini-Stühlen zu tun, die im Nachbarraum stehen? Wer oder was wird die schwarz ausgekleidete Höhle unter dem Baugerüst bewohnen? Und was verbirgt sich in den Kisten mit der Aufschrift „Ich Wicht“?

Auf einige dieser Fragen hat Catherine Nichols eine Antwort. Die 36-jährige gebürtige Australierin kuratiert die neue Ausstellung im Kunstraum Potsdam in der Schiffbauergasse, die morgen im Rahmen des 24-Stunden-Schiffbauergassen-Festes eröffnet wird. 24 Künstler hat sie dafür gewonnen, sie kommen aus Berlin und Potsdam, aber auch Australien, der Schweiz, den USA oder Italien.

Der Ausstellungstitel, „Ich Wicht“, geht auf das Werk des Düsseldorfer Künstlers Andreas Fischer zurück, ein skurriles Perpetuum Mobile, das die Besucher gleich am Eingang empfangen soll: An einem gut mannshohen Metallgestänge ist an zwei Lederriemen ein Küchen-Rührgerät befestigt, an dessen Quirlen wiederum Papierschnipsel mit Wörtern kleben, die sich vor den Augen des Betrachters immer wieder zu einer Art Orakelspruch verquirlen: „Der Ich Wicht Wird Wicht Ich“.

Um die brüchige Fassade des vernünftigen und zivilisierten Ichs und sein Verhältnis zum verschlagen-unberechenbar-unzensiert-verspielten Wicht, oder dem Kind in uns, geht es in der Schau. Die dritte Zusammenarbeit mit der in Berlin lebenden Kuratorin Catherine Nichols ist für den Kunstraum gleichzeitig das bisher größte und aufwendigste Projekt seiner mehr als vierjährigen Existenz, sagt Katja Dietrich-Kröck, die künstlerische Leiterin. Möglich werde die Ausstellung durch Gelder vom brandenburgischen Wirtschaftsministerium, das 16 000 Euro zugab, und der Sparkasse mit weiteren 6 000 Euro Unterstützung. Nur so habe man die umfangreichen Umbauarbeiten realisieren und ein Aufbau-Team von sechs Leuten engagieren können.

Die Verwandlung wird nicht nur treue Kunstraum-Gäste überraschen. Gezeigt werden Skulpturen und Installationen, grafische Arbeiten, Gemälde, Fotografien, Filme und Videoarbeiten. „Es sind Arbeiten, die Fragen stellen und keine Antworten liefern“, sagt Kuratorin Catherine Nichols. Die auf den ersten Blick humorvollen, spielerischen und fantasievollen Objekte – so gibt es zum Beispiel eine Maschine, die unermüdlich bunte Luftballons aufbläst – rühren immer auch an existenzielle Fragen. Was bedeutet es eigentlich, erwachsen zu sein? Und wann genau, wenn überhaupt, lässt man sein kindliches Ich hinter sich? Ist das Unzivilisierte, Ursprüngliche, Unzähmbare in uns nicht etwas, das uns ein Leben lang begleitet? „Ich will, dass ein Denkprozess in Bewegung gesetzt wird“, sagt Catherine Nichols.

Und auch wenn die Ausstellung Kinder genauso ansprechen wird wie Erwachsene, zeichnen die von der Kuratorin versammelten Künstler kein verklärt romantisierendes Bild der Kindheit. Süße Unschuldsengel à la Disney gibt es hier nicht. Das Rotkäppchen von Frieda Knapp zum Beispiel, zu sehen auf einem großformatigen Werk in freundlichen Farben, schaut trotzig-verstockt beiseite und verweigert dem Betrachter den direkten Blick. Außerdem ist es mit dem vermeintlichen Feind und Verführer, dem Wolf, zu einer Einheit verwachsen, ein Tier-Mensch-Wesen auf einer Reise ins Ungewisse.

Auf den Weg in die eigene Vergangenheit hat sich der Potsdamer Künstler Göran Gnaudschun gemacht. Er zeigt bei der Ausstellung Fotos, die er als Achtjähriger geschossen hat. Auch hier hat der kindliche Blick nichts Niedliches, auf den Schwarz-Weiß-Bildern der Serie „heim“ ist etwa seine Schwester zu sehen, die mit verschränkten Armen vor einem leicht verrutschten Horizont posiert. Die Arbeit mit den Bildern habe er als verwirrend erlebt, berichtet Gnaudschun: „Ich bin der Autor dieser Bilder, habe aber keine Erinnerung mehr an die Situationen, in denen sie entstanden sind.“

Es braucht manchmal nicht viel, um die Verwandlung zum vernünftigen Erwachsenen infrage zu stellen, für Momente rückgängig zu machen. Die besten Voraussetzungen für diese Entdeckung bietet die Ausstellung im Kunstraum.

„Ich Wicht“, vom 19. September bis 14. November im Kunstraum Potsdam, Schiffbauergasse 4d. Geöffnet von Mittwoch bis Sonntag, 12 bis 18 Uhr. Eröffnung am 19. September um 19 Uhr

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