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Kultur: Die Musen verließen den Parnass

Filmmuseum Potsdam eröffnete Ausstellung über Künstler als Opfer des Nationalsozialismus

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Filmmuseum Potsdam eröffnete Ausstellung über Künstler als Opfer des Nationalsozialismus Von Moritz Reininghaus Parnassus ist der antiken Mythologie zufolge der Sitz der Musen. Doch Musen verkehrten im Amsterdamer Parnassusweg des Jahres 1944 nicht mehr allzu oft, obwohl in der Hausnummer 33 einer der ehemals bekanntesten deutschen Schauspieler lebte: Otto Wallburg. Weil ihn die Nazis zwangen, sich wieder Wasserzug zu nennen, um seine jüdische Herkunft zu betonen, war ihm nicht einmal der Name geblieben, unter dem er bekannt geworden war. Wallburg, einer der Lieblinge Max Reinhardts, war bis zur nationalsozialistischen Machtübernahme als Charakterdarsteller im Theater, vor allem aber als Komiker in Kabarett und Film in aller Munde. 1944 war er jedoch nur noch ein Schatten seiner selbst. Unbekannt und verarmt, durch Krankheit und Armut sogar seiner ehemals legendären Körperfülle beraubt, saß er ohne Engagements im Exil, während das deutsche Publikum neuen Ikonen huldigte, in der Politik wie in der Unterhaltung. Doch bald waren auch die Niederlande durch die deutsche Besatzung nicht mehr weit genug weg von Berlin, wo Wallburgs ehemaliges Publikum durch die Enteignung seines Vermögens das Eintrittsgeld zurückholte, das es einst bereitwillig bezahlt hatte, um ihn sehen zu können. Bekannt geworden war Otto Wallburg vor allem dank seiner Kodderschnauze. Sein „Blubbern“, wie es die Berliner liebevoll nannten, bevor sie lieber den schnarrenden Tönen aus dem Volksempfänger lauschten, begeisterte sogar den gestrengen Alfred Kerr. Kurt Tucholsky hatte Wallburgs Sprachartistik als „gesprochene Stenographie“ gewürdigt. Eben dieses Blubbern war am Montagabend im Filmmuseum zu hören. Der Schauspieler und Synchronsprecher Friedrich Schoenfelder, Jahrgang 1916 und somit Zeitgenosse Wallburgs, imitierte ihn bei der Eröffnung der Ausstellung „Verehrt, Verfolgt, Vergessen“, die sich dem Andenken der von den Nationalsozialisten von den Bühnen und Leinwänden Verbannten widmet, und erweckte seinen Esprit so für kurze Zeit zum Leben. Der auf Zelluloid gebannten Komik des Originals konnten dessen Demütigung und Ermordung bis heute nichts anhaben. Wallburgs Leben und Werk erlauben einen greifbaren Einblick in dasjenige Kapitel deutscher Geschichte, in dem auch einstiger Ruhm spurlos verschwinden konnte. Die Fassungslosigkeit angesichts dessen bleibt dennoch. Die Ausstellung beschränkt sich nicht auf Otto Wallburg und könnte dennoch beliebig fortgesetzt werden. Sie spannt durch Filmplakate und Autogrammkarten, persönliche Briefe und Dokumente der Verfolgung den Bogen von der Zeit, in der Namen wie Kurt Gerron, Robert Dorsay und Paul Morgan noch die Massen in Kino und Theater lockten, über die systematische Diskreditierung bis zur Deportation und Ermordung der einstigen Stars. Deren Verfemung war so nachhaltig, dass sie im Vergleich zu ihren Kollegen, die sich mit dem Nationalsozialismus arrangierten, bis heute erschreckend unbekannt sind. Den Anfang der Ausstellung, die, wenn sie den Verfolgten auch ihre einstige Berühmtheit nicht vollständig wiedergeben kann, doch an deren Ruhm erinnert, bildet eine schäbige, braune Reisetasche. Otto Wallburg ließ sie in seiner letzten menschenwürdigen Wohnung in der Parnassusgasse 33 zurück. Als er verhaftet und über Westerbork und Theresienstadt nach Auschwitz deportiert wurde, wo man ihn im Oktober 1944 vergaste, verließen auch die letzten Musen für lange Zeit diesen Ort. Die Ausstellung ist bis zum 6. April täglich von 10 bis 18 Uhr zu sehen.

Moritz Reininghaus

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