
© Unidram
Kultur: Tanz der Untoten
Mit „Amor Fati“ eröffnete das Théâtre du Balèti aus Paris das Potsdamer Theaterfestival Unidram
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Irgendjemand muss doch für das ganze Schlamassel verantwortlich sein – mit einer Art performativer Suchfahndung der französischen Theatergruppe Théâtre du Balèti nach dem Schuldigen an der aktuellen globalen wie nationalen Misere startete am Dienstag das Potsdamer Theaterfestival Unidram sein diesjähriges Programm. Fünf Tage lang loten Künstler aus Frankreich, Tschechien, Ungarn, Italien, Spanien, Belgien und den Niederlanden die Möglichkeiten einer zeitgenössischen Bühnenkunst in der Schiffbauergasse aus. Im 21. Jahr seines Bestehens hat sich das Festival, das einst als freies und universitäres Theaterlaboratorium begann, längst als innovative Alternative zum gängigen, oftmals immer noch stark textlastigen Theaterbetrieb etabliert und lädt freie Ensembles und Performer ein, die Grenzen zwischen Schauspiel, Tanz, Bildender Kunst und Performance fließend zu gestalten. Verglichen beispielsweise mit dem hoch subventionierten Theatertreffen in Berlin geht Unidram als zweifellos bescheidene Variante an den Start, und das in diesem Jahr vor allem mit lauter Unbekannten.
Das 2011 von Maxim Franzetti in Paris gegründete Théâtre du Balèti ist eine solche Unbekannte. Ihr Stück „Amor Fati Or someone must well be responsible for something!“ feierte bei seiner Potsdamer Aufführung gleichsam seine Deutschlandpremiere und war dabei alles andere als bescheiden. Umstürzler, Aufwiegler oder schlicht und ergreifend Kreative brauchen bekanntlich keine Bescheidenheit. Der Zwang zur Bescheidenheit und Anpassung erfolgt erst nach Nichteinlösung der selbst auferlegten Versprechen. Das Versprechen des, so der Gründer und Regisseur Franzetti, durch Friedrich Nietzsche stimulierten Schauspiels will jedenfalls nichts Geringeres, als sich von eingefahrenen Ästhetiken lösen, um neue Formen des Ausdrucks zu finden. Das ist also Programm: Hier ist ein Theaterkollektiv am Arbeiten, das weder Hierarchien bedient noch die Vernunft des Textes überstrapaziert. Jeder ist Kreativer, sich selbst gegenüber und der Gruppe verpflichtet. Keiner über dreißig, sind die einzelnen Biografien von Studien in Schauspiel, Tanz, Musik und Kunstgeschichte gezeichnet. Moira Dalant gar besitzt einen Doktor für Semiotik, erworben an der Sorbonne. Wir erleben quasi die Kommune auf der Bühne. Aufstand released.
Gewiss, von der Volksbühne verwöhnte Kenner sind nur schwer hinterm Ofen hervorzulocken. Trash, Tanz, die totale Verausgabung des Körpers, Müll, hämmernde Beats, Mythen der Zerstörung, klassische Versatzstücke, die entwürdigende Maskerade des bürgerlichen, revoluzzerhaften Subjekts, davon kann man hier ein Lied singen. Und auch Bewohner der sogenannten virtuellen Realität, in der das Vergessen des Körpers erste Priorität genießt, dürften nur zögerlich aus ihrer wohlbegründeten Lethargie herauszureißen sein. Dennoch entwickelt die Mischung aus Satyr-, Passions- und Mysterienspiel reichlich Wirkung und bedient, abseits des Literarischen, die Plattform eines Welttheaters, für das süd- und südwesteuropäisches Theater schon immer empfänglicher war.
Alles beginnt mit einem Gag, als der letzte der offiziellen Eröffnungsredner mit Bühnennebel eingehüllt und so beinahe verjagt wird. Doch was mit der humoristischen Beweihräucherung eines Mächtigen seinen Anfang nimmt, offenbart alsbald die ganze Ernsthaftigkeit seines Unterfangens. Die globale wie nationale Krise ist eine ökonomische, religiöse und in der Hauptsache menschliche. Und hier wird deutlich, dass anders als in Deutschland die Frustration der jungen Franzosen sehr viel größer anmutet. „Wir sind die Fackelträger der Generation, die vor die Wand läuft“, heißt es in einem sich wiederholenden Chorus über jedwede Spielart des Prekariats und macht deutlich, dass der politische Wille dieses Stückes durchaus mit der Befindlichkeit seiner Akteure zusammenfällt. Wenn Nietzsche sagt: „Ich bin kein Mensch, ich bin Dynamit“, so ist das ernst gemeint. Wut und Dionysisches bilden ein symbiotisches Paar.
Amor Fati, nein, dieses Schicksal kann man nicht lieben. Jesus, vom Kreuz gestiegen, auferstanden oder einfach nur, um sich unter seinesgleichen zu mischen, trifft auf Untote, die eigentlich leben sollen, aber nicht können, weil sie aller Chancen beraubt sind, zumal die Geschichte alles schon gesehen hat und sich wiederholt: Das Zerwürfnis von Vater (Gott) und Tochter (Maria/Mensch), gescheiterte Liebesbeziehungen, freiwillige Selbstversklavung, merkantile Effektivierung. Alles das sind Insignien einer Gesellschaft, in der nicht einmal Jesus Scham dabei empfindet, vor dem offenbar zu auktionierenden Gemälde von Caravaggio „Christus an der Säule“ (1607) zu posen beziehungsweise von sich und einem Toten ein Selfie zu schießen. Der Irak-Krieg und der IS-Terror lassen grüßen.
Das alles ist ein bisschen viel und droht am Ende in die süße Melancholie des Abschieds zu münden. Tatsächlich jedoch kann man dieses Schicksal nur irgendwie aushalten oder besser mit orgiastischer Erfüllung bewältigen, zum Beispiel als Akteur eines Theaters. Der im Verlauf des Abends erfolgte Aufruf an das Sein, den man hier so nie formulieren würde, ist vielleicht der befremdlichste wie zugleich allzu verständlichste Moment dieses Schauspiels. Und unter Umständen will er uns sagen, dass die jungen Franzosen nicht nur mehr Wut empfinden, sondern auch mehr Sehnsüchte bezüglich einer von sozialen Hoffnungen geschwängerten Welt, die untergegangen ist.
Unidram ist noch bis einschließlich Samstag in der Schiffbauergasse zu erleben. Informationen zum Programm unter www.unidram.de
Ralph Findeisen
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