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Von Klaus Büstrin: Warten auf Wunder

Potsdamer Tagebücher aus den Jahren 1933 bis 1953 in Roland Thimmes „Schwarzmondnacht“

Stand:

Acht Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in der Parkoper unterhalb des Klausberges einen Ableger der Weltjugendfestspiele Berlin. Sowjetische Tanz- und Gesangsensembles begeisterten mit ihren Auftritten. Die Potsdamer strömten in den warmen Augusttagen in den Park Sanssouci. Auch Junge und Alte aus der Nachbarschaft. Nur Maria St. machte aus ihrer Abneigung gegenüber den Russen keinen Hehl. „Was die Soldaten mir ‘45 Furchtbares angetan haben, werde ich nie vergessen. Und nun singen sie Goethes Heideröslein. Dieses zu hören, erspare ich mir.“ Maria St. machte immer einen großen Bogen, wenn sowjetische Offiziere in Sichtweite waren. Es ist nicht bekannt, ob sie ihre Erlebnisse aufschrieb, doch in der Erinnerung, die schlaflose Nächte brachten, blieben sie zeit ihres Lebens. Das hatte sie mit vielen anderen Frauen und Männern gemeinsam, überall wo Menschen Gewalt angetan wird.

Roland Thimme hat nach dem Buch „Rote Fahnen über Potsdam“ ein weiteres herausgegeben, das wiederum authentische Tagebücher und Aufzeichnungen aus den Jahren 1933 bis 1953 aufnimmt. Wieder haben Potsdamer sie aufgeschrieben. Der Alltag in der Nazidiktatur, in der Sowjetischen Besatzungszone sowie in den Anfangsjahren der DDR wird darin lebendig, weil die Autoren ihre Texte ohne jede Eitelkeiten verfassten, ohne daran zu denken, dass sie eine Veröffentlichung erfahren werden. Der dokumentarische und auch emotionale Wert des Buches „Schwarzmondnacht“ liegt in den Mitteilungen über Schicksale, Vorgänge und Stimmungen aus jenen zwei Jahrzehnten. Sechs Autoren kommen zu Wort.

Die Tagebuchschreiber haben sich in ihren Texten vor allem auch der Zeit unmittelbar nach dem Krieg zugewandt. Ihre Erlebnisse, die oftmals zu einem Trauma wurden, mussten sie einfach aufschreiben, um sie besser zu verarbeiten. Die in dem aktuellen Buch zu findenden Tagebücher und Aufzeichnungen von Marianne Vogt, Ellen Gräfin Poninski und auch von Hans Thimme, dem Großvater von Roland Thimme, sind bereits in „Rote Fahnen über Potsdam“ zu finden, einem Buch, das erst vor zwei Jahren erschien und noch heute erhältlich ist. Beide Veröffentlichungen ähneln sich stark. Mit Katharina Willes, Hans Chemin-Petits und Werner Schranks Texten hat es aber nun eine Fortsetzung gefunden.

Der Titel „Schwarzmondnacht“ ist dem gleichnamigen Bild des Berliner Künstlers Karl Hofer entnommen. Es trägt den Untertitel Potsdam 1944. Hofers Wohnung wurde im August 1943 durch Bomben zerstört, damit auch fast alle seine Bilder. Im Babelsberger Sanatorium von Doktor Sinn fand er zunächst Wohnraum. Den Maler ernannte man im September 1945 zum Leiter der Hochschule für Bildende Künste Berlin. Auf dem Gemälde ist unter einem rot flammenden Himmel und einem schwarzen Mond eine Gruppe von Menschen zu sehen, ängstlich, abgemagert, hilflos. In der Mitte eine Frau, die mit wachen Sinnen in die wenig verlockende Zukunft schaut, eine Kassandra.

Katharina Wille (1889-1968), eine fleißige Tagebuchschreiberin, war die Frau eines preußischen Offiziers. Die politischen Ereignisse ihrer Zeit kommentiert sie in ihren Texten häufig im monarchistischen Geist. Von Hitler und seiner NSDAP erwartete sie zunächst viel, denn sie wünschte sich ein „Zusammengehen der nationalen Kräfte, wie alle deutschen Herzen es so heiß erhoffen“. Als Anfang 1943 nach der Schlacht von Stalingrad die deutsche Armee kapitulieren musste und der psychologische Wendepunkt des Zweiten Weltkrieges erreicht war, schreibt Katharina Wille noch: „Aushalten müssen wir, wir haben keine Wahl, aber welches Wunder wird uns retten?“

Auch der renommierte Potsdamer Komponist und Chordirigent Hans Chemin-Petit (1902-1981), der mit seiner Familie im kleinen Schloss im Park Babelsberg wohnte, muss von der Persönlichkeit Hitlers zunächst angetan gewesen sein, doch von dessen Handlungen war er immer wieder auch irritiert. Darin war er sich mit vielen anderen Deutschen jener Zeit wohl einig. „Es wird sich nicht wegdiskutieren lassen, dass sich in Hitler eine außergewöhnliche Dynamik auswirkte, ferner dass sich in den Jahren seines Aufstiegs eine visionäre Anlage für Situationen und deren Auswertung in ungewöhnlichen Ausmaßen feststellen ließ, ferner, dass er einen besonderen Instinkt für Massenpsychologie besaß. War er ein Verbrecher – nein!“, notiert Chemin-Petit, der Hitler für psychisch krank hielt. Er erzählt von den Ängsten und Nöten der Frauen, auch die in seiner Familie. Vergewaltigungen standen seitens sowjetischer Soldaten nicht selten auf der Tagesordnung. „Jede russische Streife war nun eine erneute Erregung. Lena selbst (Chemin-Petits Frau) und A.J. (Alma-Jeanette, die Tochter des Komponisten) schminkten sich zu hässlichen, elenden Weibsbildern und versuchten, den Soldaten auszuweichen.“ Katharina Wille berichtet von der Vergewaltigung ihrer Angestellten Irmgard H. im Haus am Neuen Garten.

In den Aufzeichnungen trauern die Schreibenden über das zerstörte Potsdam, erzählten vom Neuorganisieren des Alltags in einem veränderten Land, einem Land im Ausnahmezustand. Und oftmals waren die Tagebuchschreiber noch in der alten Ideologie verhaftet. Die Propagandamaschine der Nationalsozialisten hatte ihr Werk getan. Als der Bibliothekar und Historiker Hans Thimme (1889-1945) – er war im Reichsarchiv auf dem Brauhausberg tätig - 1945 den Scherbenhaufen sah, den die Nationalsozialisten hinterließen, gewann er die Einsicht, „dass man Hitler und ,seine Bande‘ hätte verjagen müssen, dass man schuldig geworden sei“ (Roland Thimme).

Bis von den Ereignissen um den 17. Juni 1953 berichtet das Buch, von den Zuständen in Potsdamer Stadtteilen und in nahe gelegenen Gemeinden wie Kleinmachnow, Saarmund oder Rehbrücke . Werner Schrank schreibt in seinem Beitrag „Die Russen in Potsdam“ vom Tag nach dem 17. Juni in Potsdam: „Die Russen fuhren auch hier Panzer auf und Volkspolizisten, jeweils zusammen mit einem russischen Soldaten als Doppelposten, patrouillierten auf den Straßen. Abends gab es eine Sperrstunde. Man erfuhr, dass der Zugang nach Westberlin rundum gesperrt war.“

„Schwarzmondnacht“ berichtet eindrucksvoll von dunklen Zeiten, doch zu wenig davon, wie Menschen nach den Verbrechen des Nationalsozialismus auch versuchten, ihren Zeitgenossen gute Zukunftsgedanken zu geben. Hans Chemin-Petit war mit seinem kompositorischen und dirigentischen Können jedoch einer von ihnen.

Schwarzmondnacht: Authentische Tagebücher (1933-1953). Nazidiktatur-Sowjetische Besatzerwillkür-Überlebensstrategien. Herausgegeben von Roland Thimme, Verlag Hentrich & Hentrich, Teetz 2009, 359 Seiten, 26,80 Euro

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