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Kultur: „Wir haben es überlebt. Andere nicht.“

Bürgerrechtler und Künstler erinnern an die Mauer: Gedenken und Lesungen am 13. August am Griebnitzsee

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Noch immer löst dieser eisendurchflochtene Beton Unbehagen aus. Sechs Meter sind übrig geblieben von der einst kilometerlangen undurchdringlichen Wand, die die Potsdamer auf Gedeih und Verderb von ihren westlichen Nachbarn trennte. Vor einem Jahr stellte das „Forum zur kritischen Auseinandersetzung mit DDR-Geschichte im Land Brandenburg“ an dieser Stelle ein schlichtes Holzkreuz auf, das die Namen und den Geburtstag von 17 überwiegend jungen Menschen trägt, deren Leben hier und in der Nähe ein Ende fand.

Einer von ihnen war Herbert Mende. Auch an ihn wird am 13. August gedacht, wenn Bürgerrechtler und Künstler während einer Lesung vor dem Rest der Hinterlandmauer am Ufer des Griebnitzsees an die Opfer erinnern.

Am 8. Juli 1962 feierte der junge Herbert unbeschwert mit Freunden beim Tanz im Bezirksjugendklubhaus der FDJ in der Berliner Straße, das den Namen „John Schehr“ trug. Schehr, ein 22-jähriger Kommunist, der 1934 von den Nazis verhaftet und auf der Flucht erschossen wurde. Ein Schicksal, das Herbert Mende ähnlich ereilen sollte. Nur unweit vom Todesort John Schehrs am Wannsee. Herbert Mende trafen an der Glienicker Brücke Schüsse in den Unterleib, die ihn so schwer verletzten, dass er vier Jahre später qualvoll an den Folgen starb. Dabei hatte er nur angeschwipst die Bahn verpasst und kam in eine Ausweiskontrolle. Doch er hatte nichts als seine Registrierkarte für den Wehrdienst dabei und musste mit ins Wachhäuschen der Volkspolizei an der Brücke. Als er den nächsten Bus kommen sah, der ihn nach Potsdam-West, seinem heimischen Kiez, bringen sollte, lief er zur Haltestelle – in dem Glauben, dass alles für ihn erledigt sei ...

Über „Das lange Sterben des Herbert Mende“ wird am 13. August der Grafiker Bob Bahra nach einem genauen Aktenstudium Auskunft geben. Das „Forum“-Mitglied hat sich mit dem Mauerthema intensiv auseinandergesetzt, nachdem er im Internet auf die Liste der 17 Opfer gestoßen war. „Auf Menschen in meinem Alter. Auch ich hätte dabei sein können.“

Bob Bahra war 19, als die Mauer errichtet wurde. Er kam am Morgen des 13. August gerade mit der S-Bahn von seiner Cousine aus Westberlin. „Wie immer war die Transportpolizei unterwegs und holte Leute aus der Bahn. Aber das kannte man ja.“ Doch als Bob Bahra bei seinen Stiefeltern zu Hause in Teltow ankam, wurde er mit Jubel empfangen. „Sie waren die totalen Stalinisten.“ Innerlich hatte er sich schon mit 14 von ihnen distanziert. „In so einem Elternhaus musste man zwangsläufig zum Antikommunisten werden.“ Bob Bahra bereitete sich damals gerade auf die Akademieprüfung an der Westberliner Hochschule der Künste vor. Dafür gab es im Amerika-Haus ein Aufbau-Studium. „Eines Tages rief mich der Direktor zu sich ins Zimmer und bat mich, nicht mehr zu kommen. Es sei zu gefährlich, wenn ich in der DDR etwas werden wolle. Das Haus wurde von der Staatssicherheit überwacht.“ Kurz darauf wurde die Mauer geschlossen, „keiner glaubte, dass das von Dauer sei.“ Ein bitterer Irrtum. „28 Jahre verdüsterte die Grenze mein Leben.“ Bei der Aufnahmeprüfung als Grafiker an der Fachschule in Schöneweide fiel er durch, weil er auf die Frage, welche Bedeutung der antifaschistische Schutzwall für ihn habe, antwortete: „Natürlich eine verheerende. Er koppelt uns von der Welt ab.“

Seit 1963 war Bob Bahra ununterbrochen im Visier der Staatssicherheit. „43 IM waren auf mich angesetzt. Ich konnte mich nur retten durch meine unglaubliche Naivität. Die ständige Bespitzelung war mir indes völlig egal, ich bin dadurch nicht verdrossen geworden. Was viel schlimmer ist: Nicht nur die Täter mussten sich nach dem Mauerfall umorientieren, auch die Opfer haben an Bedeutung verloren.“

Er selbst erlebte seit Anfang der 80er so etwas wie „Narrenfreiheit“. Noch in den 60ern sperrte man ihn weg: wegen staatsfeindlicher Hetze. Erst verurteilte man ihn auf Bewährung, weil er einen Freund nicht anzeigte, der fliehen wollte. Dann als Wiederholungstäter ein Jahr später zu drei Jahren Haft, weil er nach dem Einmarsch der Russen in die CSSR eine tschechische Fahne mit Trauerrand trug. Als politischer Häftling wurde er von der Bundesrepublik freigekauft, „sicher auch durch Unterstützung von Freunden wie den Maler Otto Niemeyer-Holstein oder der Schauspielerin Inge Keller. Meine Frau erlebte in der Zeit meiner Inhaftierung eine große Solidarität von Freunden.“ Bob Bahra blieb in der DDR. Wenn es so etwas wie ein Resümee gäbe, so werfe er sich heute vor, dass er das Land nicht verlassen habe. „Ich bin nur aus dem Grund froh, nicht gegangen zu sein, weil ich so das Ende erleben konnte.“ Mitten drin in der Argus-Bürgerbewegung und dem Pfingstbergfest, für das er ein Plakat malte, das zwar verboten wurde, aber im Frühjahr 1989 überall an Potsdamer Wänden hing. „So viel Bedeutung für die Kunst gab es nie wieder.“

Als Bob Bahra vor einem Jahr den besprühten Mauerrest am Griebnitzsee weiß übermalte, wurde er vom Leid der Opfer getrieben. Die Namen hallten in ihm nach. „Zur Kreuz-Einweihung war ich nicht in der Lage, sie zu verlesen. Ich war zu betroffen.“

47 Jahre nach dem Mauerbau werden nun Texte zu hören sein, die ganz unterschiedlich das Thema reflektieren: unter anderem von Klaus Schlesinger, Robert Havemann, Fritz Rudolf Fries, Gabriele Schnell. Auch ein Protokoll über die Dienstbesprechung des Ministeriums für Staatssicherheit zwei Tage vor Mauerbau wird zitiert. Und ebenso Rolf Henrichs Befragung der Grenzoffiziere und Techniker der Selbstschussanlagen. „Wir haben sie überlebt, andere nicht“, so Bob Bahra.

Es lesen am 13. August von 17 bis 20 Uhr u.a. Rita Feldmeier, Hans-Jochen Röhrig, Klaus Büstrin, Franka Schwuchow, Bob Schäfer, Bernd Eisenfeld und Bob Bahra. Dramaturgische Betreuung: Michael Philipps.

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