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Joachim Löw erlebt derzeit schwere Zeiten als Bundestrainer.

© REUTERS

Joachim Löw nach Debakel gegen Spanien: Der Erschlaffte

Unter Joachim Löw befindet sich das Team im Ungefähren. Änderung ist nicht in Sicht - auch weil der Trainer wohl bleiben wird.

Jürgen Klinsmann hatte damals Glück im Unglück.

Damals, vor knapp 15 Jahren, als Klinsmann mit der deutschen Fußball-Nationalmannschaft ein ähnliches Debakel erlebt hat wie sein Nachfolger Joachim Löw am Dienstagabend in Sevilla. Drei Monate vor der WM im eigenen Land verlor Klinsmann damals 1:4 in Italien, und mehr noch als das Ergebnis war es die versammelte Hilflosigkeit seiner Spieler auf dem Platz, die das Land im März 2006 in helle Aufruhr versetzte.

Zum Glück für Klinsmann stand nur drei Wochen später bereits das nächste Spiel für die Nationalmannschaft an, ein Test abseits des internationalen Terminkalenders gegen ein besseres B-Team der USA. Die Deutschen gewannen 4:1, das Land atmete auf.

Joachim Löw hat nicht so viel Glück.

Als der Bundestrainer am Mittwochmorgen, früh um sieben und nur ein paar Stunden nach der 0:6-Niederlage seiner Mannschaft gegen Spanien, auf dem Weg zum Bus gefilmt wurde, war ein rast- und wohl auch ratloser Mann zu sehen. Löw lief vor dem Mannschaftshotel ziellos auf und ab. Es waren mit die letzten Bilder von ihm, ehe er sich in den Weihnachtsurlaub verabschiedete. Vier Monate, bis kurz vor Ostern, dauert es jetzt, ehe Löw mit seiner Mannschaft wieder ein Spiel bestreiten wird. Oder bestreiten darf. Vier lange Monate, in denen die monströse Niederlage von Sevilla immer mitschwingen und den eher düsteren Grundton für die ersten Wochen des EM-Jahres 2021 liefern wird.

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Als Joachim Löw im Sommer 2004 als Klinsmanns Assistent beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) angefangen hat, war er ein Mann von Mitte 40. Anfang März hat er seinen 60. Geburtstag gefeiert. Am Dienstag in Sevilla aber schien er in 90 Minuten gleich um zehn Jahre gealtert zu sein. Löw, im schwarzen Rollkragenpulli, saß oft reglos auf seiner Trainerbank. Sein Blick war leer, der Körper ohne jede Spannung, das Gesicht von Sorgen zerfurcht. Müde und erschöpft wirkte der Bundestrainer, angefasst von einer Niederlage, wie er sie seit seiner Zeit beim Zweitligisten Karlsruher SC rund um die Jahrtausendwende wohl nicht mehr erlebt hat. „Wenn ich sage, es war alles schlecht, dann mein ich das auch so“, sagte er unmittelbar nach dem Spiel im Interview mit der ARD.

Dreizehn Mal streute der Bundestrainer bei dieser Gelegenheit den Begriff „irgendwie“ in seine Antworten ein. Irgendwie, irgendwo, irgendwann – das trifft den Zustand der Nationalmannschaft im 15. Jahr unter Joachim Löw ganz gut. Sie befindet sich im Ungefähren.

Löw ist für einige historische Minderleistungen im deutschen Fußball verantwortlich

Mit Joachim Löw wird man künftig nicht nur den Erfolg bei der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien verbinden; er ist nun auch für einige historische Minderleistungen im deutschen Fußball verantwortlich. Dem Vorrundenaus bei der WM 2018 folgte am Dienstag die höchste Niederlage der deutschen Nationalmannschaft seit 89 Jahren, die höchste Niederlage in einem Pflichtspiel und die höchste Niederlage, die ein Bundestrainer kassiert hat, seitdem es Bundestrainer gibt (nämlich seit Gründung der Bundesrepublik). „Es gibt keine Entschuldigung dafür“, sagte Oliver Bierhoff, der Manager an Löws Seite, über den Auftritt in Sevilla. Und Mittelfeldspieler Toni Kroos erkannte: „Es ist einiges zu tun, wie man sieht.“

Sieben Monate sind es noch, bis die Nationalmannschaft bei der um ein Jahr verlegten EM schon in der Gruppenphase auf den Titelverteidiger Portugal und den Weltmeister Frankreich trifft. Sieben Monate, das hört sich länger und beruhigender an, als es in Wirklichkeit ist. Denn bis das Turnier beginnt, bleiben Löw nur drei Länderspiele im März und zwei Tests in der unmittelbaren EM-Vorbereitung nach einer kräftezehrenden Saison. Wie seine Mannschaft im kommenden Sommer aussehen wird? Nichts Genaues weiß man nicht. „Wir waren auf einem guten Weg. Aber man hat gesehen, dass wir noch nicht so weit sind“, sagte Löw. „Was sind jetzt die richtigen Schlüsse, die wir ziehen müssen? Was ist der richtige Weg?“

Quasi mit dem Schlusspfiff in Sevilla begannen die Debatten, was jetzt passieren muss. Und natürlich drehte sich die Debatte vor allem um die von Löw aussortierten 2014er-Weltmeister Mats Hummels, Thomas Müller und Jerome Boateng. 20 Monate ist es her, dass Löw seinen Entschluss verkündet hat, künftig auf alle drei zu verzichten, weil er eine neue, junge Mannschaft aufbauen wolle. Seitdem sieht sich der Bundestrainer bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit der Frage behelligt, was denn jetzt eigentlich mit Hummels, Müller und Boateng sei und ob es nicht vielleicht …

Dass diese Diskussion wieder und wieder geführt wird, sagt einiges: zum einen über die Sturheit des Bundestrainers, zum anderen über sein Standing in der Öffentlichkeit. Natürlich hat Löw nicht ahnen können, dass der müde Müller aus dem Frühjahr 2019 plötzlich noch einmal seine alte Leichtigkeit wiederfinden würde. Aber er hätte sich definitiv viel Ärger erspart, wenn er die Angelegenheit etwas geschickter moderiert und verkauft hätte. Wenn er sich ein Hintertürchen offengelassen und nicht vom ersten Moment an auf der Endgültigkeit seiner Entscheidung beharrt hätte.

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Trotzdem hat die Debatte etwas Verlogenes. Nachdem die Nationalmannschaft 2018 kläglich bei der WM in Russland gescheitert war, wurde Löw von vielen vorgeworfen, dass er viel zu lange an den alternden Weltmeistern von 2014 festgehalten und viel zu viel Rücksicht auf alte Verdienste genommen habe. Als er dann im Frühjahr 2019 und ein paar Niederlagen später den Neubeginn wagte, war es auch wieder falsch.

Joachim Löw kann es schon längst niemandem mehr recht machen. Das ist sein eigentliches Problem. Er wird die WM 2018 nicht los, dieses von ihm vercoachte Turnier.

Mindestens so überraschend wie das Vorrundenaus in Russland war damals die Tatsache, dass Löw keinerlei Anstalten machte, Konsequenzen aus dem sportlichen Abschneiden zu ziehen. Er blieb einfach im Amt. Und der DFB ließ ihn gewähren. Natürlich gab es gute Gründe dafür: eine gewisse Dankbarkeit dem Weltmeistertrainer gegenüber. Löws Verdienste in der Vergangenheit. Die ohne Not vollzogene Vertragsverlängerung unmittelbar vor dem Turnier. Und nicht zuletzt der Mangel an überzeugenden Alternativkandidaten.

So ist es auch jetzt wieder. Weder wird der Bundestrainer nach dem Debakel in Spanien von sich aus seinen Platz räumen, noch wird der DFB das Arbeitsverhältnis auflösen. Trainer, die als mögliche Nachfolger genannt werden so wie Jürgen Klopp oder Hansi Flick, stehen jetzt (und vermutlich auch im Sommer) nicht zur Verfügung. Ob er sich Sorgen um seinen Job mache, wurde Löw nach dem Spiel am Dienstag gefragt. „Das müssen Sie andere fragen“, antwortete er. Bei Oliver Bierhoff ist jedenfalls weiterhin das nötige Vertrauen vorhanden, „daran ändert auch dieses Spiel nichts“.

Dem DFB fehlt das Gespür für die Schwingungen

Tags darauf verschickte die Direktion Kommunikation des DFB frische Informationen zu den beiden anstehenden Länderspielen der Nationalmannschaft gegen England und Irland. Gemeint war die Nationalmannschaft der Frauen. In den Medien, den sozialen Netzwerken, auf allen Kanälen tobte die Debatte um den Bundestrainer. Der Verband aber war schon wieder zum üblichen Tagesgeschäft übergegangen. Erst am Nachmittag wurde auf der Internetseite des Verbands ein Statement von Präsident Fritz Keller veröffentlicht. Joachim Löw wurde darin kein einziges Mal namentlich erwähnt.

Das passt zum DFB und seinem Auftreten in den vergangenen Monaten. Schließlich ist es nicht das erste Mal, dass dem Verband das nötige Gespür für die allgemeinen Schwingungen fehlt.

Denn wann sollte man über einen Trainer debattieren, wenn nicht nach einem solchen Auftritt wie in Sevilla? Nach einem Spiel, in dem das Versagen ohne Probleme bis zum Verantwortlichen an der Seitenlinie zurückverfolgt werden kann? In der Startelf gegen die Spanier standen fünf Profis vom Champions-League-Sieger Bayern München, dazu je ein Stammspieler von Real Madrid und Manchester City. Wenn sie eine Mannschaft bilden, die schlechter spielt als Arminia Bielefeld (Sorry, Arminia Bielefeld), dann erzählt das natürlich auch etwas über die Verantwortung ihres Trainers.

„Körperspannung, Körpersprache, Zweikampfverhalten: Es hat nichts funktioniert“, sagte Löw. „Da kann man niemanden ausnehmen.“ Auch ihn selbst nicht. Die Darbietung seiner Spieler war ein einziger Schrei nach Hilfe. Aber Löw hörte nichts. Seine Körpersprache? Ein nicht zu vernehmendes Flüstern. Seine Körperspannung? Total erschlafft.

Womöglich hat Löw sich und seine Fähigkeiten überschätzt, als er nach der vermaledeiten WM im Amt geblieben ist; als er angeblich noch genügend Kraft und Energie und Lust auf einen Neuanfang verspürte. In ihrer sportlichen Fortentwicklung ist die Mannschaft seit 2018 nicht entscheidend vorangekommen. Im Gegenteil: Die Kritik will einfach nicht verstummen.

Noch im Oktober hat Löw gesagt, dass es ihn nicht interessiere, wer was sage. Er wisse schon, was er tue, sehe das große Ganze und stehe deshalb über den Dingen. Im Sommer 2018, einige Wochen nach dem WM-Aus, hatte sich der Bundestrainer noch ganz anders angehört, auffallend demütig nämlich. Bei der Analyse des eigenen Scheiterns war er zu der Erkenntnis gelangt: „Ich war zu arrogant.“

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