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Überzeugung sieht anders aus. Herthas Trainer Stefan Leitl (rechts) und sein Team während des Spiels gegen den SC Paderborn.

© imago/Contrast/IMAGO/O.Behrendt

Fußball als Würfelspiel : Die Zweifel bei Hertha BSC werden langsam immer grundsätzlicher

Die Berliner hatten vor der Saison hohe Ambitionen. Doch denen wird die Mannschaft immer weniger gerecht. Das rückt auch die Arbeit von Stefan Leitl in den Fokus.

Stand:

Der Ball, von Michael Cuisance von der rechten Seite mit seinem linken Fuß getreten, hatte Schnitt. Er hatte Tempo. Und er hatte von beidem ein bisschen zu viel.

Die letzte Flanke des Spiels flog tief in der Nachspielzeit über den Paderborner Strafraum hinweg ins Toraus. Von den Rängen gab es Pfiffe und hämischen Applaus.

Das ist in etwa die Bandbreite, in der sich Hertha BSC zu Beginn des kalendarischen Herbstes bewegt. Man könnte auch sagen: Die Darbietungen des Berliner Fußball-Zweitligisten passen perfekt zur Jahreszeit. Es macht sich ein Hauch von Abschied breit. Dem Abschied von den eigenen Ambitionen.

0,9
Punkte holte Hertha seit Beginn der Vorsaison im Schnitt pro Heimspiel.

Fabian Reese machte eine lange Pause. Er legte sich seine Worte im Kopf zurecht. „Schwere Frage“, sagte er schließlich.

Die Frage war, warum Hertha sich so schwertut mit der aktiven Gestaltung eines Fußballspiels. Warum die Mannschaft Gegner wie den SC Paderborn an diesem Samstag oder zuvor schon Preußen Münster und die SV Elversberg nicht dominieren kann, sondern im Gegenteil von ihnen dominiert wird.

„Es geht darum, den Ballbesitz besser auszuspielen, schneller zu spielen, zwei Kontakte zu nehmen, um in die Verschiebung zu kommen, Räume gut zu bespielen“, sagte Reese. „Wir sind zu unsauber im Passspiel, sind in der Entscheidungsfindung zu langsam, pressen nicht gut genug im Kollektiv, sind dadurch im eigenen Ballbesitz etwas zu müde – und machen einfach zu viele Fehler.“

Wir sollten es mal hinbekommen, zwei, drei gute Spiele am Stück zu machen. Das gelingt uns gerade nicht.

Herthas Kapitän Fabian Reese

So umfassend und detailliert zerlegt selten ein Spieler den Auftritt seiner eigenen Mannschaft. Aber man kann die Dinge bei Hertha inzwischen nicht mehr schönreden. Luca Schuler, in der zweiten Hälfte für den verletzten Dawid Kownacki eingewechselt, fand das Spiel seines Teams „von vorne bis hinten enttäuschend“.

Als sich Hertha BSC vor der Saison den Aufstieg zum Ziel gesetzt hat, gab es nur wenige, die den Berlinern deswegen eine verquere Selbstwahrnehmung attestiert hätten. Sechs Spieltage später aber ist der Klub von den eigenen Ambitionen weit entfernt, vielleicht bereits zu weit. Der aktuelle Punkteschnitt (0,83) spricht eher für Abstieg als Aufstieg.

„Es wäre vermessen, darüber zu sprechen“, sagte Fabian Reese über das Saisonziel des Klubs. „Wir sollten es mal hinbekommen, zwei, drei gute Spiele am Stück zu machen. Das gelingt uns gerade nicht.“

Die 0:2-Niederlage gegen Paderborn am Samstagnachmittag im Olympiastadion erinnerte an viele andere Auftritte in dieser Saison und ließ grundsätzliche Zweifel an der Klasse der Mannschaft aufkommen. Bei Hertha sieht vieles nach Zufall aus, während bei den Gegnern oft ein Plan zu erkennen ist.

Ganz zu Beginn des Spiels versuchten die Berliner einmal, die Paderborner bereits bei der Spieleröffnung unter Druck zu setzen. Sie liefen die Abwehrspieler aggressiv an, doch Paderborn behielt die Ruhe, ließ den Ball und Herthas Attacke schließlich ins Leere laufen. Damit war das mit dem Pressing bei den Berlinern dann auch schon wieder erledigt.

Herthas Gemütszustand zu Beginn des Herbstes 2025: erschöpft und niedergeschlagen.

© imago/Matthias Koch/IMAGO/Sebastian Räppold/Matthias Koch

Diese Abgebrühtheit hat Hertha im eigenen Spielaufbau nicht. Die Berliner versuchen es oft nicht einmal, die Angriffe strukturiert von hinten aufzuziehen.

Bei einem Abstoß stehen normalerweise die beiden Innenverteidiger an den Ecken des Fünfmeterraums, damit der Torhüter zwei potenzielle Anspielstationen hat. Bei Hertha verließ Toni Leistner in der ersten Hälfte vor dem Abstoß den eigenen Strafraum. Tjark Ernst spielte zu Marton Dardai – zu wem auch sonst? –, und der drosch den Ball umgehend in Paderborns Hälfte. So wird Fußball zum Würfelspiel.

„Uns ist es nicht richtig gelungen, Dynamik zu entwickeln“, klagte Torhüter Ernst, der im Moment als einziger Berliner verlässlich seine Form abruft und gegen Paderborn eine noch deutlichere Niederlage verhinderte. „Wir hatten schon ein paar Ballstafetten, aber wir haben es nicht geschafft, die Tiefe zu attackieren.“ Und Luca Schuler klagte, dass der Mannschaft „ein Stück weit der Mut im Spielaufbau“ gefehlt habe.

Für den Aufstieg braucht es einen anderen Fußball

Eine Woche zuvor hatte Hertha durch ein 3:0 gegen Hannover 96 den ersten Saisonsieg gefeiert und auf eine Wende zum Guten gehofft. Aber auswärts beim Tabellenführer waren die Berliner nicht gezwungen, das Spiel zu machen. In Hannover konnten sie tief verteidigen, sehr tief sogar, und schnell umschalten. Im eigenen Stadion können sie das in der Regel nicht.

„Die Basis für eine erfolgreiche Saison müssen die Heimspiele sein“, hatte Trainer Stefan Leitl vor dem Spiel gegen Paderborn gesagt. Aber diese Basis existiert nicht. Nach drei Partien im Olympiastadion ist Hertha weiterhin ohne Sieg und sogar ohne Tor.

Seit Beginn der vergangenen Saison hat die Mannschaft unter Leitl und seinem Vorgänger Cristian Fiél von zwanzig Heimspielen nur vier gewonnen; exakt die Hälfte der Begegnungen ging verloren. Der Punkteschnitt auf eigenem Platz liegt bei bedenklichen 0,9.

Die anhaltende Heimschwäche ist weder einer Laune des Fußballgottes geschuldet noch eine Sache des Kopfes, wie man vielleicht vermuten könnte. Sie ist das Resultat der spielerischen Armut der Mannschaft. „Ergebnisse kriegst du längerfristig über guten Fußball“, sagte Fabian Reese. Aber den bekommt die Mannschaft im Moment nicht hin. „Potenziell haben wir’s drin“, erklärte Herthas Kapitän. „Aber wir rufen’s nicht ab.“

Selbst wenn es mildernde Umstände gibt wie die Verletztenmisere, den Ausfall potenzieller Schlüsselspieler oder den massiven Coronaausbruch vor dem Spiel gegen Paderborn: Natürlich fällt das letztlich auch auf den Trainer zurück. Die Zweifel an Stefan Leitl werden inzwischen ebenfalls immer grundsätzlicher.

In der vergangenen Saison hat Leitl die taumelnde Mannschaft noch rechtzeitig stabilisiert und sie letztlich souverän in der Klasse gehalten. In dieser Saison aber hat der Klub ein anderes Ziel, und das verlangt vermutlich einen anderen Fußball.

Es ist auffällig, dass Hertha gegen die Mannschaften die größten Schwierigkeiten hatte, deren Trainer neu in der Liga sind. Alexander Ende von Preußen Münster hat in der vergangenen Saison noch den Drittligisten SC Verl trainiert. Der Elversberger Vincent Wagner ist mit der zweiten Mannschaft der TSG Hoffenheim von der Regionalliga in die Dritte Liga aufgestiegen und Ralf Kettemann im Sommer von der U 19 des Karlsruher SC nach Paderborn gekommen.

Im Vergleich zu seinen neuen Kollegen ist Stefan Leitl ein echtes Urgestein. Kein Trainer der Zweiten Liga verfügt über so viel Erfahrung. Am Samstag gegen Paderborn stand er zum 222. Mal bei einem Zweitligaspiel an der Seitenlinie.

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