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Alle Tage wieder. Und jetzt sogar noch bis kurz vor Weihnachten. Fußball dominiert die deutsche Sportlandschaft.

© Getty Images/iStockphoto

Monotonie im deutschen Sport: Fußball, Fußball, Fußball - gibt's auch noch was anderes?

Fußball ist so präsent wie noch nie. Jetzt wurde sogar bis Weihnachten gespielt - für andere Sportarten bleibt da wenig Platz. Es reicht! Eine Empörung.

Ich bin satt. Und das schon vor Weihnachten. Der Fußball ist mir auf den Magen geschlagen. Ich hatte ein bisschen viel davon in diesem Jahr. Gefühlt gab es 2018 kaum einen Tag, an dem nicht irgendwo der Ball rollte – Live-Übertragung im Fernsehen oder Internet natürlich inklusive. Selbst einen Tag vor Heiligabend wurde in den drei höchsten deutschen Ligen noch gespielt. Der Fußball ist anstrengend geworden, er fordert die volle Aufmerksamkeit und das über fast 365 Tage im Jahr. Und er sorgt dafür, dass andere Sportarten in Vergessenheit geraten.

Vor einiger Zeit hat mein geschätzter Kollege Dominik Bardow in dieser Zeitung einen wunderbaren Brief veröffentlicht. Er begann mit dem Satz: „Lieber Fußball, wir müssen reden.“ Meines Wissens ist es nie zu einem persönlichen Gespräch gekommen, der Fußball hatte wohl zu viel zu tun. Dafür ist er seither noch größenwahnsinniger geworden und lernt auch weiterhin nichts daraus. Ich mache mir deswegen keine Sorgen um den Fußball, sondern um die anderen Sportarten – gerade in Deutschland. Ganz offensichtlich bewegen wir uns nicht auf eine Monotonie im deutschen Sport zu, sondern wir sind bereits mittendrin.

„Der Fußball hat in Deutschland schon immer dominiert, doch in den vergangenen Jahren ist es extrem geworden“, schrieb Michael Vesper, der damalige Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), schon vor mehr als zwei Jahren auf dem Tagesspiegel-Debattenportal Causa. Der Eindruck, dass Sport in Deutschland nur ein Synonym für Fußball ist, hat sich seither eher noch verfestigt. König Fußball regiert die Welt – das war schon 1974 so und stimmt heute noch viel mehr.

Ein Beispiel? Am vergangenen Dienstag hat Manchester United Trainer José Mourinho entlassen. Ein portugiesischer Coach in einem englischen Fußballverein, in dem kein deutscher Spieler unter Vertrag steht und auch kein ehemaliger Bundesliga-Star. „Zeit Online“ war das eine Eilmeldung bei Twitter wert, auf der Homepage der „Zeit“ fand sich die Meldung an vierter Stelle. Auch der „Tagesspiegel“ hatte Platz für Mourinhos Demission auf der Online-Startseite, von der Redaktion selbst recherchierten und geschriebenen Geschichten zu den Füchsen, Eisbären oder Alba – allesamt beliebte Berliner Sportvereine – blieb das verwehrt.

Lieber ein Spiel um Platz 3 bei Fußball-WM als ein Wimbledon-Finale mit Angelique Kerber

Derartiges ist Normalität in Zeiten der allgemeinen Fußball-Hysterie. Selbst als Angelique Kerber am 14. Juli im Finale von Wimbledon siegte und damit deutsche Tennisgeschichte schrieb, war das eher nebensächlich. Dabei übertrug das ZDF das Spiel sogar live im Fernsehen. Dummerweise zeigte die ARD parallel, wie Belgien gegen England bei der Fußball-WM das kleine Finale gewann und Dritter wurde. Tatsächlich wollten das dreimal so viele Menschen in Deutschland lieber sehen. Ein Spiel um Platz drei, in der Regel das überflüssigste bei einer Weltmeisterschaft, interessiert immer noch mehr als eine deutsche Wimbledonsiegerin.

Manager Oliver Bierhoff hat die deutsche Fußball-Nationalmannschaft einst als „quasi die vierte Macht im Staat“ bezeichnet. Das war noch vor dem Gewinn des WM-Titels 2014. Was damals schon selbstgefällig klang und irgendwie bestens passt zu den Auftritten der 2018er- Auswahl, ist allerdings gar nicht so abwegig. Wenn alle zwei Jahre die großen Turniere stattfinden, hat man sogar den Eindruck, die selbsternannte Mannschaft ist die erste Macht. Die Politik ruht, wenn gespielt wird. Es gibt beinahe kein anderes Thema mehr, Parlamentssitzungen werden den Anstoßzeiten angepasst und Regierungsvertreter beeilen sich, schnell noch einen Tipp oder einen Kommentar zur Aufstellung abzugeben.

Tatsächlich wurde es in diesem Jahr nach der Weltmeisterschaft im Sommer in Russland sogar noch schlimmer. Wochenlang drehte sich der deutsche Fußball nach dem WM-Aus um sich selbst. Wer ist schuld an dem Debakel? Darf Joachim Löw als Bundestrainer weitermachen? Ist Reinhard Grindel wirklich von dieser Welt? Und dann noch die endlose Debatte um Mesut Özil, in der Fußball und Politik plötzlich gar nicht mehr voneinander zu trennen waren.

Dann kam der Herbst und der deutsche Fußball konnte mit dem Zuschlag für die Ausrichtung der EM-Endrunde doch noch einen großen Erfolg für sich verbuchen. Schon in sechs Jahren geht es los, dieses große Fest für alle. Weniger begeistert sind die Menschen in Deutschland, wenn es darum geht Olympische Spiele auszurichten. In einer Stadt für zweieinhalb Wochen.

Das alles kostet natürlich Geld und ist gerade weltweit nicht besonders populär. Aber in letzter Konsequenz sind die Funktionäre vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) auch nicht schlimmer als die vom Weltfußballverband Fifa. Beide eint das Streben nach immer höheren Profiten, mit dem Unterschied, dass im Fußball die Sportler kräftig mitkassieren, während der Rest der Sportwelt sehen muss, wo er bleibt – zumindest was viele kleinere Disziplinen angeht. Also lassen wir das lieber mit Olympia und bewerben uns besser für das nächste Fußball-Großereignis. Am besten gleich mit Public Viewing und dem ganzen Drumherum. Ist zwar auch teuer, aber dabei sein ist alles.

So mancher Nicht-Fußballer zuckt inzwischen oft nur noch mit den Schultern, wenn es um die Beachtung oder auch Nichtbeachtung der eigenen Sportart geht. Trotzdem ist da der Wunsch, ja die Aufforderung an ARD, ZDF und die Medien generell, doch nicht nur über Fußball zu berichten. Die Verzweiflung von Trainern oder Funktionären in vielen Sportarten wirkt zuweilen greifbarer. So appellierte Kaweh Niroomand, Manager der BR Volleys, vor einiger Zeit an die Programmchefs: „Vertrauen Sie der Natur des Sports statt der jüngsten Einschaltquoten! Steuern Sie der medialen Monokultur entgegen und zeigen Sie den Sport in all seinen Facetten! Berichten Sie über unsere vielen großartigen Teams und Athleten sowie ihre fantastischen Leistungen! Werden Sie den Millionen Fußballfans gerecht, aber wagen Sie mehr Vielfalt!“ Gebracht hat es wenig. Wobei gerade ARD und ZDF in ihrem Programm durchaus auch anderen Sportarten viel Platz geben. Nur, dass sich zuweilen der Eindruck aufdrängt, dass es sich dabei um besseres Füllmaterial handelt, weil die öffentlich-rechtlichen Sender nun einmal nicht alles Geld in den Fußball stecken können – es aber am liebsten tun würden.

Viele Nicht-Fußballverbände klagen inzwischen über Nachwuchssorgen

Inzwischen klagen viele olympische Verbände über Nachwuchssorgen. Was nicht nur am Fußball liegt, sondern auch an der größeren Konkurrenz im gesamten Freizeitsektor und daran, dass die Zeit für Kinder und Jugendliche ein immer kostbareres Gut wird. Der Fußball allerdings scheint davon nicht betroffen, viele Vereine nehmen gar keine neuen Mitglieder mehr auf, weil es an Trainern und Sportplätzen fehlt.

Können die Medien daran wirklich etwas ändern? Bilden wir nicht nur das ab, was die Gesellschaft bewegt? Und wenn im Sport der Fußball nun einmal die Mehrheit interessiert, wäre es da nicht vermessen, Leser oder Zuschauer erziehen zu wollen? Natürlich ist die Frage auch hier wieder: Was war zuerst da? Das Interesse am Fußball oder die Medien, die ihn für sich entdeckt haben? Das Beispiel Biathlon zeigt, dass die Wahrheit wohl irgendwo in der Mitte liegt. Gibt man einer Sportart mehr Platz, wird diese automatisch beliebter und das ganz unabhängig davon, ob es einen herausragenden deutschen Athleten gibt oder nicht.

Trotzdem: Deutschland ist das Fußballland schlechthin. Natürlich gibt es auch viele andere auf der Welt. Allerdings steht der Fußball wohl in kaum einem anderen Land derart weit vor allen anderen Sportarten. In Großbritannien oder Frankreich ist Rugby in puncto Popularität deutlich näher am Fußball als es bei uns beispielsweise der Handball ist. In Spanien hat Basketball einen hohen Stellenwert, in Italien Motorsport und in Polen Skispringen. Auch hier ist jeweils der Fußball das Maß aller Dinge, es ist aber Platz genug für anderes.

Womöglich bewegt sich der Fußball aber gerade auch in einer Blase. Es herrscht Goldgräberstimmung bei allen Beteiligten – ob direkt oder indirekt. Wie lange das noch so weitergeht, weiß niemand. Sicher ist: Fußball wird immer populär bleiben, dazu ist dieses Spiel in seiner Einfachheit einfach zu genial.

Aber der Fußball muss aufpassen – und er muss sich ehrlich machen und teilen können. Damit Fans wie ich nicht nur satt, sondern auch zufrieden sind. Und auch noch Lust haben, mal etwas anderes zu probieren.

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