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Hertha BSC sortiert sich neu: Andreas „Zecke“ Neuendorf kommt wohl seiner Entmachtung zuvor
Nach Herthas Sieg in Ulm tritt Neuendorf als Direktor Akademie und Lizenzspielerbereich zurück. Ein Zusammenhang mit den Gerüchten um Jonas Boldt liegt auf der Hand.
Stand:
Der Zeitpunkt der Entscheidung war offensichtlich genauso bewusst gewählt wie die Worte, mit denen Andreas „Zecke“ Neuendorf seine Entscheidung bekannt gab. Hertha BSC hatte gerade 3:2 beim SSV Ulm gewonnen und mit diesem Sieg die letzten Zweifel am Verbleib in der Zweiten Liga so gut wie beseitigt. Unmittelbar danach teilte Neuendorf den Entscheidungsträgern des Vereins mit, dass er mit sofortiger Wirkung als Direktor Akademie und Lizenzspielerbereich zurücktrete.
„Ich habe mir diese Entscheidung alles andere als einfach gemacht, denn Hertha BSC ist mein Verein. Die letzten Jahre waren für den Verein und auch mich persönlich sehr herausfordernd“, wird Neuendorf in einer Mitteilung des Klubs zitiert. Er sei weitherin überzeugt, dass der Berliner Weg der richtige sei, und hoffe, dass Hertha diesen Weg fortsetzen werde. „Nur ab jetzt ohne mich.“
Das klang fast ein wenig beleidigt. Und vermutlich war es das auch.
Zumindest dürfte es kein Zufall sein, dass Neuendorf seine Entscheidung am Ende einer Woche verkündet hat, an deren Anfang das Gerücht aufgekommen war, Hertha bemühe sich um Jonas Boldt, den früheren Sportvorstand des Hamburger SV. Dessen Anstellung hätte ohne Zweifel auch Auswirkungen auf Neuendorfs Position gehabt.
Ich habe mir diese Entscheidung alles andere als einfach gemacht, denn Hertha BSC ist mein Verein. Die letzten Jahre waren für den Verein und auch mich persönlich sehr herausfordernd.
Andreas „Zecke“ Neuendorf über seinen Rücktritt
Oder mit anderen Worten: Mit seinem Rücktritt könnte Neuendorf seiner drohenden Entmachtung zuvorgekommen sein.
In seiner Zeit als Fußballer ist dem gebürtigen Berliner immer vorgehalten worden, dass er aus seinem Talent nicht das Maximale herausgeholt habe. Neuendorf, den alle nur Zecke nennen, gefiel sich in der Rolle des Klassenclowns und war nie bereit, dem Dasein als Profi alles andere unterzuordnen. Trotzdem hat er 200 Bundesligaspiele für Bayer Leverkusen und Hertha BSC bestritten und selbst mit fast 40 noch beruflich Fußball gespielt (in Herthas U 23).

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Aus seinem Job als Direktor Akademie und Lizenzspielerbereich hat Neuendorf definitiv mehr herausgeholt, als es die Stellenbeschreibung eigentlich hergegeben hätte. „Zecke ist der starke Mann bei Hertha“, hat ein Trainer aus dem Nachwuchs des Vereins einmal über ihn gesagt. Seine Machtposition aber ist zunehmend kritischer gesehen worden und dem 50-Jährigen jetzt wohl zum Verhängnis geworden.
Als Benjamin Weber im Januar 2023 neuer Sportdirektor von Hertha BSC wurde, ist auch Neuendorf vom damaligen Präsidenten Kay Bernstein in sein neues Amt berufen worden. Beide, Bernstein und Neuendorf, kannten sich bereits, als der eine noch Vorsänger der Ultras in der Kurve war und der andere Fußballer auf dem Rasen.
Neben der langjährigen Freundschaft spielte vor allem Neuendorfs Identifikation mit Hertha eine entscheidende Rolle für seine Beförderung. Neuendorf, der bei den Berlinern Fußballer, Trainer der U 15, der U 17 sowie der U 23 gewesen war und Co-Trainer bei den Profis, sei „ein Herzblut-Herthaner, der die Leute vor allem emotional anzünden kann“, sagte Bernstein.
Das war regelmäßig bei Herthas Mitgliederversammlungen zu beobachten, wenn Neuendorf auf die Bühne trat und gegen alles und jeden lospolterte. Seine Wortmeldungen bewegten sich hart an der der Grenze zum Populismus – und stießen wohl gerade deshalb im Plenum auf großes Wohlwollen.
Überhaupt konnte Neuendorf mit seiner Art Menschen begeistern. Nach dem Heimspiel gegen den Karlsruher SC vor wenigen Wochen spazierte er Arm in Arm mit Karlsruhes Mittelfeldspieler Leon Jensen an den Journalisten vorbei durch die Mixed Zone. Jensen, gebürtiger Berliner und in Herthas Akademie ausgebildet, wird zur neuen Saison zu Hertha wechseln.
Neuendorf war Herthas bester Propagandist
In Verhandlungen mit potenziellen neuen Spielern war Neuendorf Herthas bester Propagandist. Diego Demme hat im Interview mit dem Tagesspiegel berichtet, dass Neuendorf nie lockergelassen hat, selbst nachdem der Wechsel aus Neapel nach Berlin im Sommer 2023 zunächst gescheitert war. „Zu Weihnachten hat Zecke mir geschrieben: Wir haben noch die Nummer 4 frei“, die Nummer, die Demme in Neapel auf dem Rücken trug. Ein Jahr später unterschrieb der Mittelfeldspieler dann doch noch bei Hertha.
Auch Thomas Broich, den der damalige Sportvorstand Fredi Bobic als Leiter Methodik zu Hertha geholt hatte, hatte von Neuendorf erst einmal „einen super Eindruck“. Dessen Elan für die Sache wusste er durchaus zu schätzen. „Der brennt unheimlich für die Akademie und sieht seine Rolle vor allem als Anwalt der jungen Talente“, hat Broich gesagt. „Der will pushen, der will die Jungs noch schneller in der ersten Mannschaft anbringen.“
Inzwischen hat Broich Hertha verlassen, und es ist ein offenes Geheimnis, dass seine Kündigung auch mit Neuendorf zu tun hatte respektive mit dessen Interpretation seiner Rolle. Der Kopfmensch Broich und der Bauchmensch Neuendorf waren immer weniger kompatibel – zumal Neuendorf die Akademie mehr und mehr durchdrungen und nach seinen Vorstellungen umgebaut hat. Auch personell.
Die Akademie glänzt nur noch matt
Ein früherer Jugendtrainer hat einmal gesagt, man müsse sich die Diskussionskultur innerhalb der Akademie vorstellen wie in einem Späti am Kottbusser Tor an einem Samstag, nachts um halb drei. Eher zurückhaltende Typen wie der frühere U-19-Trainer Oliver Reiß haben sich in diesem sehr speziellen Biotop immer weniger wohl gefühlt.
Vordergründig glänzt Herthas Akademie immer noch. In dieser Saison sind insgesamt zehn Spieler aus dem eigenen Nachwuchs für das Profiteam in der Zweiten Liga zum Einsatz gekommen. Auf den zweiten Blick aber wirkt der Glanz inzwischen recht matt.

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In der DFB-Nachwuchsliga hat Herthas U 19 als Tabellenletzter ihrer Hauptrundengruppe das Achtelfinale um die deutsche Meisterschaft verpasst. Unter anderem hat sie sowohl gegen den VfB Stuttgart als auch gegen Borussia Mönchengladbach 1:6 verloren. Die U 17 liegt vor dem letzten Spieltag auf dem vorletzten Tabellenplatz. Noch zehrt Herthas Akademie von ihrer Substanz, aber „in drei, vier Jahren kommt da nichts mehr nach“, sagt jemand aus dem Präsidium.
Neuendorfs Vertrag war erst im Herbst – gemeinsam mit dem des Sportdirektors Benjamin Weber – um zwei Jahre verlängert worden. Diese Entscheidung, unmittelbar vor der Wahl des neuen Präsidiums verkündet, hat einige Kritik ausgelöst. Geschäftsführer Tom Herrich hat sie allerdings noch Ende Februar im Interview mit dem TV-Sender Sky ausdrücklich verteidigt: „Beide haben sehr gute Arbeit geleistet.“
Aber Herrich hatte auch den früheren Cheftrainer Cristian Fiél über jedes gesunde Maß hinaus gelobt. Bei der Mitgliederversammlung im November sagte er: „Cristian Fiél war unser absoluter Wunschkandidat, der unsere Erwartungen nicht nur erfüllt, sondern übertroffen hat. Er hat tiefe Spuren hinterlassen.“ Zu diesem Zeitpunkt lag Hertha auf Platz elf. Im Februar wurde Fiél entlassen.
Dass er überhaupt Trainer geworden war, gilt inzwischen als dramatische Fehlentscheidung – vor allem vor dem Hintergrund, dass Hertha angesichts der traditionell schwierigen Finanzlage zwingend hätte aufsteigen müssen, Fiél aber keine entsprechende Erfahrung vorweisen konnte.
Seine Anstellung war vor allem die Idee von Andreas „Zecke“ Neuendorf. Beide kennen sich, seitdem der eine für Hertha und der andere für den 1. FC Union gespielt hat. Seitdem sind sie gute Kumpels.
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