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In der Spirale nach unten: Hertha BSC findet die Ausfahrt aus dem Abstiegskampf nicht
Ist Hertha BSC den Anforderungen des Abstiegskampfs gewachsen? Die periodisch auftretenden Aussetzer der Mannschaft sprechen nicht unbedingt dafür.
Stand:
„Das haben wir jetzt auch schon ein paar Mal gesagt“, sagte Benjamin Weber, der Sportdirektor von Hertha BSC. Und damit war im Grunde alles gesagt.
Man kennt sie inzwischen, die Aussagen, in die sich die Beteiligten des Berliner Fußball-Zweitligisten nach der nächsten Niederlage flüchten. Auch am Samstag wieder, nach dem 1:2 (0:1) gegen den FC Schalke 04:
- „Wir belohnen uns einfach nicht.“ (Sportdirektor Benjamin Weber)
- „Nichts ersetzt Siege.“ (Stürmer Fabian Reese)
- „Wir freuen uns auf diese Herausforderung.“ (Trainer Stefan Leitl)
- „Wir müssen ins Punkten kommen.“ (Sportdirektor Weber)
Dass sich die Aussagen wiederholen, liegt vor allem daran, dass sich bei den Berlinern auch die Aussetzer auf dem Spielfeld wiederholen. Das 1:2 zu Hause gegen Schalke war Herthas achte Heimniederlage (im zwölften Heimspiel) und die sechste Niederlage im achten Rückrundenspiel dieser Saison.
Seit Wochen befindet sich Hertha BSC auf einer abschüssigen Bahn, die spiralförmig nach unten führt. Es ist wie bei der Abfahrt aus einem Parkhaus. Zwischendurch hat man das Gefühl: Hier war ich doch schon mal. Aber in Wirklichkeit ist man schon eine Etage weiter unten angelangt. Und wenn Hertha nicht langsam die richtige Ausfahrt erwischt, könnte es wirklich böse enden.
Wir haben ja reagiert. Wir haben einen erfahrenen Trainer mit einem erfahrenen Co-Trainer geholt. Ich habe da totales Vertrauen.
Herthas Geschäftsführer Tom Herrich
Auch im Spiel der Berliner gegen den FC Schalke 04 kam einem vieles bekannt vor: mangelnde Konsistenz in den Leistungen, gravierende Schwankungen innerhalb eines Spiels und natürlich die üblichen individuellen Aussetzer (vorne wie hinten), die mal wieder den kollektiven Erfolg verunmöglichten.
Die Spieler haben offenbar auch keine Lust mehr auf Wiederholungen in Endlosschleife. In der Mixed-Zone des Olympiastadions liefen sie kommentarlos an den wartenden Journalisten vorbei; nur bei den zahlenden Fernsehsendern äußerten sie sich. Was soll man zu all dem denn auch noch Neues sagen?
Die Ergebnisse sprechen für sich. Auf die Frage, wie ernst die Lage sei, antwortete Trainer Leitl: „Wir haben in der Rückrunde vier Punkte geholt.“ Er legte eine Pause ein, schüttelte seinen Kopf und fuhr dann fort: „Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.“
Hertha und Schalke sind 2023 gemeinsam aus der Bundesliga abgestiegen. Von ihren bisherigen Duellen in der Zweiten Liga hatten die Berliner keins verloren. In der Vorsaison gelangen ihnen zwei souveräne Siege, das Hinspiel im Herbst endete unentschieden.
Auch am Samstag bestand für Herthas Trainer Leitl kein Zweifel, „wer die bessere Mannschaft war“, seine nämlich. Aber es zeigte sich, dass die Berliner inzwischen in einer Situation angelangt sind, in der die höhere fußballerische Qualität nicht mehr zwingend den Ausschlag gibt.
Statistisch war Hertha klar besser
Hertha war in allen statistischen Kategorien besser: im Ballbesitz (52:48 Prozent), der Passquote (82:80 Prozent), der Zweikampfquote (51:49 Prozent), den Torschüssen (15:8) und vor allem den expected Goals (2,07:1,57). Offensiv strahlte Schalke wenig Gefahr aus, trotzdem kamen die Gäste zu zwei Toren, die ihnen den ersten Auswärtssieg der Rückrunde bescherten.
„Individuelle Dinge haben heute zur Niederlage geführt“, sagte Stefan Leitl. Das 1:0 der Gäste fiel nach einem Eckball und einem schlimmen Fehler von Tjark Ernst. Herthas Torhüter sprang unter dem Ball hindurch, so dass Schalkes Innenverteidiger Tomas Kalas am zweiten Pfosten unbedrängt einköpfen konnte.
Zielsicher die falsche Wahl
Der Siegtreffer der Schalker, sinnigerweise unmittelbar nach dem erzwungenen Ausgleich durch Fabian Reese, resultierte aus einem Elfmeter, den Hertha als guter Gastgeber quasi auf einem güldenen Tablett serviert hatte. Ein schlampiger Pass von Kapitän Toni Leistner aus dem eigenen Strafraum heraus setzte die Fehlerkette in Gang, an dessen Ende Ibrahim Maza den Schalker Pape Ba zu Fall brachte.
„Wir bringen uns in eine Situation, die uns nicht passieren darf“, klagte Trainer Leitl. „Wir müssen den Ball schneller klären, aus der Gefahrenzone bringen.“
Aber Hertha hat ein bemerkenswertes Talent darin entwickelt, zielsicher die falsche zweier Möglichkeiten zu wählen. Das war – wieder einmal – nicht nur im eigenen Strafraum so, sondern auch in dem des Gegners.
Drei Punkte liegt Hertha vor dem Relegationsplatz
Weil Außenverteidiger Deyovaisio Zeefuik bereits in der ersten Halbzeit einen Flugkopfball unbedrängt neben das Schalker Tor gesetzt hatte, probierte er es in der zweiten Halbzeit gleich noch einmal. Der Ball kam noch eine Spur niedriger als beim ersten Mal. Ihn mit dem Fuß einfach über die Linie zu drücken, wäre wahrscheinlich zu einfach gewesen.
Wobei: Kurz vor Schluss fand sich – genauso ungedeckt wie zuvor Zeefuik – der eingewechselte Marten Winkler an derselben Stelle im Schalker Fünfmeterraum wieder. Er nahm seinen (starken) linken Fuß und spielte den Ball aus einem Meter Entfernung einem hinter ihm stehenden Schalker in den Fuß.

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Auch solche Aussetzer nähren die Zweifel, ob Herthas Spieler der mentalen Herausforderung des Abstiegskampfes wirklich gewachsen sind. Die Mannschaft ist für andere Ambitionen zusammengestellt worden, und sie wäre nicht die erste, die mit dem Existenzkampf fremdelt.
„Wir haben ja reagiert“, sagte Herthas Geschäftsführer Tom Herrich. „Wir haben einen erfahrenen Trainer mit einem erfahrenen Co-Trainer geholt.“ Und auch wenn nicht alles von heute auf morgen funktioniere, „ich habe da totales Vertrauen“.
Doch die Hoffnung, dass Stefan Leitl die mentale Blockade lösen kann und die Mannschaft in der Folge ihr wahres Potenzial abruft, hat sich nicht erfüllt. Nach drei Spielen unter dem neuen Trainer ist Hertha immer noch ohne Sieg. Ein Tor und ein Punkt, das ist seine bisherige Bilanz.
Ein Erfolgserlebnis gegen Schalke wäre auch mit Blick auf das anstehende Auswärtsspiel wichtig gewesen. Kommenden Sonntag tritt Hertha BSC bei Eintracht Braunschweig an.
Die Eintracht erkämpfte sich am Sonntag ein 1:1 im Niedersachsen-Derby bei Hannover 96, verbleibt damit zwar auf dem Relegationsplatz, verkürzte den Abstand die Berliner aber auf nun drei Punkte. Die Braunschweiger haben ohne Zweifel eine individuell schwächer besetzte Mannschaft als Hertha. Aber sie wissen zumindest, wie Abstiegskampf geht – weil sie seit Saisonbeginn nichts anderes kennen.
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