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Wilder Haufen. Mahmoud Dahoud (l.) und Jonas Hofmann sind erstmals für die Nationalmannschaft nominiert worden. Florian Neuhaus (4. v. l.) wartet ebenfalls noch auf sein Debüt.

© dpa

Wie die gute alte B-Nationalmannschaft: Joachim Löw und seine seltsame Personalauswahl

Um die Belastungen auf viele Beine zu verteilen, hat Bundestrainer Löw Profis für die Nationalelf nominiert, die nicht mal in ihren Klubs Stammspieler sind.

Vermutlich war es wirklich nur ein Versehen, aber es passte natürlich perfekt. Marcus Sorg, Co-Trainer der deutschen Nationalmannschaft, wurde in der Pressekonferenz vor dem Länderspiel gegen die Türkei nach einem der beiden Neulinge im Aufgebot gefragt. In seiner Antwort sprach er einfach über den anderen.

Statt zu Mahmoud Dahoud von Borussia Dortmund äußerte sich Sorg über Jonas Hofmann von Borussia Mönchengladbach. Es ist ja auch einfacher und angenehmer, die Nominierung eines Spielers zu begründen, der am Wochenende in der Bundesliga zwei Tore vorbereitet hat und seit rund zwei Jahren Leistungsträger bei einem Champions-League-Teilnehmer ist, als die eines Spielers, der inzwischen vor allem ein Experte für die Sitzhärte der unterschiedlichen Ersatzbänke sein dürfte.

In den vier Pflichtspielen dieser Saison hat Dahoud ganze acht Minuten für den BVB auf dem Platz gestanden. Immerhin eine Minute mehr als sein Kollege Nico Schulz, den Joachim Löw ebenfalls nominiert hat.

Als der Bundestrainer vorige Woche sein Aufgebot für die drei Länderspiele gegen die Türkei, in der Ukraine und gegen die Schweiz bekannt gegeben hat, schwankten die Reaktionen zwischen Unverständnis, Häme und Entsetzen. Das Leistungsprinzip gilt offenbar nur noch bedingt, und ein Stammplatz im Verein ist keine zwingende Voraussetzung für eine Berufung in den Kreis der angeblich besten deutschen Fußballer.

Nun ist Löws Auswahl nicht zuletzt der besonderen Situation geschuldet. Die Nationalmannschaft muss nun quasi nachholen, was bedingt durch die Corona-Pause im Frühjahr liegen geblieben ist. Wie auch im November und noch einmal im März stehen nun gleich drei Länderspiele in nur sieben Tagen an. Da liegt es für den Bundestrainer nahe, die Belastung auf mehrere Beine zu verteilen. Und doch erinnert der Kader ein bisschen an die gute alte B-Nationalmannschaft.

In Zeiten, als der deutsche Fußball noch über ein schier unerschöpfliches Reservoir an Talent verfügte, war die B-Nationalmannschaft so etwas wie die Vorfeldorganisation der richtigen Nationalmannschaft. Und was doch sehr nach zweiter Wahl klingt, war in Wirklichkeit eine gute Schule für den Ernst des Fußballerlebens. Von insgesamt 342 Spielern, die zwischen 1951 und 1986 für das B-Team zum Einsatz gekommen sind, schaffte es fast jeder zweite (167) auch in die A-Nationalmannschaft, darunter immerhin 20 Weltmeister von Hans Schäfer über Franz Beckenbauer bis zu Lothar Matthäus.

Wie die Großen. Hannes Bongartz ist Kapitän der deutschen B-Nationalmannschaft bei einem Länderspiel gegen die CSSR.
Wie die Großen. Hannes Bongartz ist Kapitän der deutschen B-Nationalmannschaft bei einem Länderspiel gegen die CSSR.

© imago/WEREK

Früher war eben nicht alles schlecht. Und vermutlich hat es auch deshalb rund um die Jahrtausendwende, als das Reservoir des deutschen Fußballs an Talent bereits weitgehend ausgeschöpft war, Versuche gegeben, das alte Modell wieder aufleben zu lassen – wenn auch unter anderem Namen. Von 1999 bis 2001 wurde aus der B- die A2-Nationalmannschaft und schließlich mit Blick auf die Weltmeisterschaft im eigenen Land das Team 2006. Nach dessen Debüt im September 2002 nannte der Tagesspiegel die Mannschaft „eine Kopfgeburt, erdacht von praxisfernen Funktionärshirnen in Zeiten größter Not“. Aber selbst in diesem wild zusammengewürfelten Team befanden sich mit Timo Hildebrand, Arne Friedrich und Tim Borowski drei Spieler, die 2006 tatsächlich dem WM-Kader angehörten.

Inzwischen dient vor allem die U 21 als Vorbereitung auf eine spätere Karriere in der Nationalmannschaft. Für Spieler aber, die diesem Team qua Alter entwachsen sind, gibt es Test-Länderspiele wie das an diesem Mittwoch gegen die Türkei (20.45 Uhr, live bei RTL). „Für die Spieler sind sie eine einmalige Gelegenheit, einfach mal zu zeigen, was in ihnen steckt“, sagte Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff. Wobei einmalig so oder so verstanden werden.

In Köln dürfen nur 300 Leute ins Stadion

Joachim Löw hat in seiner inzwischen vier Jahrhunderte währenden Amtszeit regelmäßig B-Länderspiele in den laufenden Betrieb eingestreut. Immer dann eigentlich, wenn ihm der internationale Terminplan nicht so recht zupasskam. So hat er zum Beispiel im November 2006 angekündigt, dass er im darauffolgenden März ein Perspektivteam aufbieten werde, um seinen Stammkräften ein wenig Erholung angedeihen zu lassen. Gegen Dänemark schickte er dann gleich sechs Debütanten aufs Feld, verlor 0:1 – und musste sich anschließend vorwerfen lasse, er habe die Zuschauer im Stadion um ein richtiges Fußballerlebnis betrogen. Massiver Unmut ist am Mittwoch nicht zu befürchten: Wegen der Infektionszahlen in Köln dürfen nur 300 Zuschauer ins Stadion.

Das Spiel gegen die Türkei ist für den Bundestrainer „eine willkommene Gelegenheit, gewisse Dinge zu testen und einiges auszuprobieren“. Sein eigentlicher Fokus aber ist auf die beiden Nations-League-Partien gegen die Ukraine (Samstag in Kiew) und gegen die Schweiz (Dienstag, ebenfalls in Köln) gerichtet. Trotzdem will Löw „eine gut strukturierte Mannschaft“ aufs Feld schicken, wie sein Assistent Sorg bereits angekündigt hat.

Sorgs Antwort zu Mahmoud Dahoud und den Gründen für seine Nominierung lautete übrigens: „Jonas hat sich sehr gut entwickelt. Er hat viele Attribute, die uns als Mannschaft gut tun und die wir auch brauchen, gerade seine Ballsicherheit, seine tiefen Läufe und seine Torgefahr.“ Hörte sich eigentlich gar nicht nach B-Nationalspieler an.

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