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Mannschafts-Psychiaterin Petra Dallmann behandelt in Paris deutsche Para-Sportler

© IMAGO/Pressefoto Baumann

Mentale Gesundheit im Paralympics-Team: „Sportler muss man in der Psychotherapie manchmal bremsen“

Mannschafts-Psychiaterin Petra Dallmann behandelt deutsche Para-Sportler nicht, damit sie möglichst gute Leistungen erbringen – sondern damit sie sich wohlfühlen.

Von Helen Päßler

Stand:

Frau Dallmann, Sie begleiten das deutsche Paralympics-Team als Psychiaterin und Psychotherapeutin. Worin besteht Ihre Tätigkeit in Paris?
Das Team D hat bei den diesjährigen Paralympics erstmalig zwei Welfare Officer dabei. Unsere Aufgabe ist es, uns um die mentale Gesundheit des gesamten Teams zu kümmern.

Wie häufig treten psychische Erkrankungen im Leistungssport auf?
Insgesamt kann man sagen, dass sich Leistungssportlerinnen und Leistungssportler in der Häufigkeit psychischer Erkrankungen nicht vom Rest der Bevölkerung unterscheiden. Es gibt jedoch teilweise veränderte Prävalenzen in Bezug auf spezifische Erkrankungen.

Welche sind das konkret?
Die einzigen Erkrankungen, die unter Athletinnen und Athleten häufiger auftreten, sind Essstörungen. Dies liegt vor allem daran, dass das Gewicht ein Leistungsfaktor ist. Dazu kommt, dass in einigen Sportarten Schlankheit eine gewisse ästhetische Voraussetzung ist, die möglicherweise auch von den Kampfrichterinnen und Kampfrichtern erwartet wird.

Gibt es auch Erkrankungen, die unter Leistungssportlerinnen und -sportlern seltener auftreten?
Ja, die gibt es. Das sind beispielsweise bipolare Störungen oder Psychosen. Die Beeinträchtigung durch diese Erkrankungen ist meist so stark, dass Leistungssport nicht möglich ist.

Macht es im Hinblick auf psychische Erkrankungen einen Unterschied, ob sich Menschen im Para-Sport oder im Sport für Menschen ohne Behinderung bewegen?
Insgesamt muss man sagen, dass psychische Erkrankungen im Leistungssport generell, aber insbesondere im Para-Sport noch nicht ausführlich untersucht wurden. Weil es sich um eine sehr kleine Bevölkerungsgruppe handelt, gestaltet es sich schwierig an größere Datensätze zu gelangen. Die Arbeiten, die es zu diesem Thema gibt, weisen aber darauf hin, dass sich Para-Sportlerinnen und Sportler in der Häufigkeit psychischer Erkrankungen nicht von anderen Leistungssportlerinnen und Leistungssportlern unterscheiden.

Welche sportspezifischen Faktoren können zur Entstehung einer psychischen Krankheit beitragen?
Grundsätzlich hat jeder Mensch ein gewisses genetisches Risiko, in seinem Leben psychisch zu erkranken. Neben biologischen Faktoren spielen biografische Prägungen eine Rolle wie auch akute bzw. chronische Belastungsfaktoren. Im Sport sind bekannte Stressoren häufige oder langwierige Verletzungen, aber auch Karriereübergänge. Es ist außerdem bekannt, dass Gehirnerschütterungen das Risiko für Depressionen erhöhen. Aber auch das Übertraining ist ein Risikofaktor für Depressionen.

Warum ist das Übertraining so schädlich für die menschliche Psyche?
Im Übertraining geraten Trainingsintensität und Regeneration außer Balance. Das kann für eine Weile gutgehen, ab einem gewissen Punkt sind dann jedoch die Energiereserven erschöpft. Dies führt auch zu Veränderungen auf Stoffwechselebene und zwar teilweise ähnlichen, die auch bei Depressionen vorkommen. Wenn man sich über Tage oder Wochen nur noch erschöpft fühlt, schlecht schläft, nicht mehr richtig trainieren kann und vielleicht auch schlechte Wettkampfergebnisse und Existenzängste hinzutreten, ist es sicherlich auch aus psychischer Sicht gut nachvollziehbar, dass es zu depressiven Symptomen kommen kann.

Woran könnte man eine solche Depression als Betroffene oder Betroffener, aber auch als außenstehende Person erkennen?
Ein wichtiges Kennzeichen einer Depression ist eine veränderte Stimmung. Das muss jedoch nicht immer eine Traurigkeit sein. Viele Menschen sind gereizter als sonst oder fühlen sich innerlich leer. Auch der Antrieb nimmt meist ab – es fehlt die Energie, man kann sich nicht mehr wie früher über Dinge freuen. Was gerade bei Sportlerinnen und Sportlern auch häufig auftritt und manchmal zunächst nicht direkt einer Depression zugeschrieben wird, ist eine im Vordergrund stehende körperliche Erschöpfung, die zum Beispiel durch eine körperliche Ursache nicht erklärbar ist.

Angenommen eine Athletin oder ein Athlet bemerkt bei sich selbst eine solche Symptomatik. Was wären die nächsten Schritte?
Wir als Welfare Officer haben uns bei den Sportlerinnen und Sportlern vorgestellt, ihnen unsere Kontaktdaten gegeben. Sollten sie während der Spiele mentale Probleme haben, können sie sich jederzeit bei uns melden. Auch nach Paris gibt es die Möglichkeit für ein telefonisches Beratungsgespräch und je nach Bedarf helfen wir bei der Vermittlung von Psychotherapeuten, Ärzten oder Sportpsychologen in Wohnortnähe der betroffenen Person.

Unterscheidet sich die Behandlung psychischer Erkrankungen von Leistungssportlerinnen und Leistungssportlern von der, der Allgemeinbevölkerung?
Prinzipiell nicht. Auf Therapeutenseite ist jedoch etwas mehr Flexibilität vonnöten, weil die Patientinnen und Patienten meist viel unterwegs sind und feste Termine nicht immer wahrnehmen können. Ansonsten habe ich das Gefühl, dass Sportlerinnen und Sportler im Allgemeinen sehr motiviert sind, wenn sie sich einmal entschieden haben, eine Therapie zu beginnen. Sie fragen häufig direkt nach der ersten Sitzung, was sie tun können. Das ist im Prinzip total gut, aber manchmal muss man sie auch ein bisschen bremsen und ihnen erklären, dass eine Psychotherapie etwas Zeit benötigt.

Die Psychotherapie ist in der Gesellschaft häufig noch stigmatisiert. Erleben Sie auch unter Athletinnen und Athleten eine Hemmschwelle, sich in Therapie zu begeben?
Junge Leute sind, was eine Psychotherapie angeht, häufig zurückhaltend. Im Leistungssport sind die meisten Sportlerinnen und Sportler noch jung. Deswegen ist es wichtig, dass wir in unserer Position als ganz normaler Teil des Teams auftreten – genauso wie die anderen Ärztinnen und Ärzte oder Physiotherapeuten, um die psychologische Betreuung zu normalisieren. Im zweiten Schritt haben wir uns allen Athletinnen und Athleten persönlich vorgestellt. Manchmal gibt es noch komische Vorstellungen davon, was für Menschen Psychologen und Psychiater sind. Damit konnten wir ihnen hoffentlich zeigen, dass wir ganz normal sind, was in der Zukunft die Kontaktaufnahme erleichtern wird.

Passiert es oft, dass Menschen aufgrund psychischer Probleme den Leistungssport aufgeben müssen?
Psychische Erkrankungen sind gut behandelbar. Unser Ziel ist es allerdings nicht, Athletinnen und Athleten zu behandeln, damit sie möglichst gute Leistungen erbringen, sondern, damit sie sich wohlfühlen. Dabei kann es dann natürlich vorkommen, dass sich einige entscheiden, ihre Karriere zu beenden, weil es ihnen damit besser geht.

Petra Dallmann (li.), Britta Steffen (Mitte), Daniela Samulski (re.) und Annika Liebs wurden 2006 zusammen Europameisterinnen.

© imago sportfotodienst

Noch besser als psychische Erkrankungen zu behandeln ist es, wenn sie gar nicht erst entstehen. Was tut der DBS, um präventiv tätig zu werden?
Es gab ein wissenschaftliches Projekt, das ein Gesundheitsmonitoring von Sportlerinnen und Sportlern durchführte. Dieses hatte sich zunächst auf körperliche Beschwerden konzentriert. In der Vorbereitung auf die Paralympischen Spiele in Tokio wurde dann auch ein kurzer Fragebogen zum psychischen Befinden hinzugefügt. Dieser wurde wöchentlich ausgefüllt und fragte Symptome von Angststörungen und Depressionen ab. Zeigte eine Athletin oder ein Athlet auffällige Werte, wurde die Person von uns kontaktiert. Es gab aber auch die Möglichkeit selbst im Fragebogen anzugeben, Hilfe zu benötigen. Auch zu dieser Personengruppe wurde dann Kontakt aufgenommen.

Gibt es diese Abfragen auch heute noch?
Es wird gerade entschieden, ob das Projekt weitergeht. Aber auch als Konsequenz aus den Ergebnissen dieser Arbeit wird es nun langfristig für die Para-Sportler die Möglichkeit geben eine schnelle, unkomplizierte Beratung zu bekommen und das ist ein toller Schritt.

Gab es im Vorfeld der Paralympischen Spiele eine besondere Vorbereitung der Sportlerinnen und Sportler von psychologischer Seite?
Wir haben vor der Abreise einen kleinen Vorbereitungsworkshop angeboten. Themen waren unter anderem, wie mit der besonderen Situation der Spiele umgegangen werden kann.

Wo sehen Sie im Umgang mit dem psychischen Wohlbefinden im Leistungssport in der Zukunft noch Verbesserungsbedarf?
Ich denke, dass sehr viel passiert ist, aber natürlich noch Einiges zu tun ist. Die Forschung muss weiter vorangetrieben werden. Außerdem halte ich es für wichtig, das Umfeld zu schulen. Was sind die Warnzeichen einer psychischen Erkrankung? Und vor allem: Was tue ich dann und wen kann ich im Zweifel kontaktieren? Dafür braucht es ein deutschlandweites Netzwerk. Auch die Entstigmatisierung wird weiter Thema sein. Nur weil wir Welfare Officer zwei Wochen bei den Paralympics sind, verschwinden nicht alle Stigmata. Das Thema psychische Gesundheit muss weiter beworben werden.

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