
© IMAGO/Siegfried Dammrath/IMAGO/@ Siegfried Dammrath
Para-Kanutin Anja Adler: „Als Para ist man die Randsportart der Randsportart“
Deutschlands Medaillenhoffnung über die Spiele in Paris, die mediale Präsenz ihrer Sportart und welche Rolle ihre Heimatstadt Halle für die Karriere spielt.
Stand:
Frau Adler, was fahren Sie lieber: Kajak oder Va’a – bei letzterem paddelt man nur auf einer Seite des Bootes?
Im Training definitiv Kajak. Gerade bei Langstrecken ist die Belastung im Kajak symmetrischer, im Va’a ist es sehr einseitig. Im Rennen machen aber beide unglaublich Spaß. Ich hatte auch in Paris überlegt, in beiden Kategorien zu starten, habe mich dann aber doch nur fürs Kajak entschieden. Der Zeitplan hat es nicht möglich gemacht, auch noch im Va’a zu starten. Meine Medaillenchancen sind im Kajak größer, weshalb die Priorität darauf gesetzt war.
Was ist Ihr Ziel für die Paralympics? Am Sonntag starten Sie über die 200 Meter am letzten Wettkampftag.
Es muss einfach das beste Rennen ever kommen. Ich habe die letzten Jahre so viel reininvestiert, bin auf einem Topniveau. Eine Medaille wäre natürlich ein Traum, vor allem nach Platz vier in Tokio. Aber ich kann nur meine Leistung beeinflussen, was die anderen auf der Strecke machen, liegt nicht in meiner Hand. Wenn ich über die Ziellinie fahre und weiß, es war das geilste Rennen überhaupt, habe ich mein Ziel erreicht.
Die Wettkämpfe werden im Wassersportstadion von Vaires-sur-Marne ausgetragen. Wie finden Sie die Strecke?
Es ist eine schwierige Strecke. Der Wind kann dort von allen Seiten angreifen. Wenn er von hinten kommt, baut sich eine Welle auf. Das liegt mir überhaupt nicht, weil ich mein Boot nicht mit den Füßen steuern kann. Letztes Jahr hatte ich einen Weltcup auf der Strecke, da konnte ich das Wasser schonmal kennenlernen.
Was erwarten Sie sich von der Stimmung in Paris?
Schon als wir im Trainingslager in Südfrankreich waren, hat man gemerkt, dass das Flair komplett auf die Spiele ausgerichtet ist. Das Trainingszentrum war schon für Paris vorbereitet, überall waren die Flaggen. Wir waren mal einen Tag in Bordeaux, da hat man auch das Logo der Paralympics gesehen. Es wurde also nicht nur Werbung für Olympia gemacht. Meine Erfahrung aus Tokio ist natürlich nicht mit diesem Mal vergleichbar. Vom Dorf damals habe ich noch ein unglaublich schönes Gemeinschaftsgefühl in Erinnerung. Ich hoffe, das wird dieses Mal auch so sein. Es gibt die schöne Tradition, dass die verschiedenen Nationen untereinander Pins austauschen. Ziel ist es natürlich, am Ende so viele Pins wie möglich zu haben, dabei kommt man mit den anderen ins Gespräch. Dadurch bekommt man auch mal Einblick in andere Sportarten, was sonst bei den vielen getrennten Wettkämpfen gar nicht so möglich wäre.
Wie sah Ihre Vorbereitung zuletzt aus?
Wenn ich zu Hause war, trainierte ich sechs Tage à zwei bis drei Einheiten. Das macht rund 15 Stunden pro Woche. Über den Winter waren wir in vier Warmwasser-Trainingslagern in der Türkei und Südfrankreich. Hier in Deutschland ist es zu kalt, um die nötigen Grundlagenkilometer zu sammeln. Davon braucht man circa 1000, um den intensiven Belastungen auch standhalten zu können. Danach kamen direkt Nationalmannschaftssichtung, Welt- und Europameisterschaft. Für die Paralympics standen jetzt drei Trainingslager in Kienbaum an. In Duisburg hatten wir nochmal die unmittelbare Wettkampfvorbereitung und sind von dort rüber nach Paris gefahren.
Unterscheidet sich die Paralympics-Vorbereitung von einer normalen Saison?
Die Inhalte sind ziemlich gleich, nur ist es deutlich umfangreicher gestaltet, mit mehr Maßnahmen und Trainingslagern. Wir sind ein kleines Team mit zwei Trainern und können gut individuell arbeiten. Bei mir habe ich festgestellt, dass ich hintenraus im Rennen keinen Leistungseinbruch bekomme. Deswegen versuchen wir gerade, meine generelle Geschwindigkeit auf ein höheres Level zu heben. Das übt man, indem man mit Widerständen trainiert, zum Beispiel einen Spanngurt um das Kajak spannt, der mich bremst.
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Sie arbeiten als Klima- und Umweltmanagerin in der Unfallklinik in Halle. Wie kombinieren Sie das mit Leistungssport?
Ich habe eine Teilzeitstelle, daher geht es sich eigentlich ganz gut aus. Ich habe zwei Modelle: Entweder ich trainiere morgens und arbeite abends, oder ich bin morgens um halb sieben bei der Arbeit und kann um elf Uhr ins Training gehen. Glücklicherweise kann ich auch viel mobil arbeiten, das mache ich im Trainingslager. Das finde ich sogar entspannter, da muss ich nebenbei nicht noch meinen Alltag gestalten.
Der deutsche Kanuverband gilt als gutes Beispiel für gelungene Inklusion. Worin äußert sich das?
Bis auf die Spiele fahren der olympische Kanurennsport und das Para-Kanu-Team alle Wettkämpfe zusammen. Mittlerweile würde ich nicht mehr in die Abteilungen Rennsport und Para-Kanu untergliedern. Wir sind ein Team. Wir nutzen die gleichen Ressourcen, kennen uns untereinander und haben zusammen Trainingslager. Es war ein langer Prozess und man kann noch ein paar Schritte weiter gehen, was die Inklusion angeht. Aber es läuft in die richtige Richtung.

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Was muss passieren, dass die Paralympics in der allgemeinen Wahrnehmung den gleichen Stellenwert haben wie Olympia?
Der Para-Sport leistet das Gleiche wie der olympische Sport, das muss mehr ins mediale Interesse. In Deutschland ist es aktuell schwierig, da alle Sportarten hinter dem Fußball anstehen. Da ist man als Para die Randsportart der Randsportart. Nichtsdestotrotz sind auch schon einige Dinge passiert. Die Sendezeit der Spiele aus Tokio war gut, mit der Zeitverschiebung war es natürlich ungünstig. In Paris gehen wir nochmal einen Schritt weiter, wenn die Abdeckung im Fernsehen so läuft wie angekündigt. Ein Zusammenlegen von Olympia und Paralympics halte ich nicht für sinnvoll. Zum einen ist es logistisch wahrscheinlich gar nicht möglich, zum anderen ist selbst bei einem Event die Trennung der Wettbewerbe immer noch da. Durch das einzelne Event haben wir für die Zeit der Spiele den vollen medialen Fokus. Das ist gut, um die Gesellschaft zu sensibilisieren. Anstatt dass sie abschalten, wenn kurz ein paralympischer Wettkampf läuft, kommt für diese Zeit nur Paralympics. Man kann die Welt nicht von heute auf morgen verändern. Es ist noch ein langer Weg, wir werden viel Ausdauer brauchen.
Sie stürzten 2015 15 Meter in die Tiefe und überlebten mit einer Querschnittlähmung. Hätten Sie nach ihrem Unfall noch mit so einer erfolgreichen sportlichen Karriere gerechnet?
Ich war vorher schon Leistungssportlerin, da will man immer das Beste aus sich herausholen. Aber ich wollte die Erwartungen für mich und mein Umfeld nicht zu hochschrauben. Ich habe das alles erstmal laufen lassen. Nach den ersten Erfolgen war der Traum innerlich dann schon irgendwann da. Als ich 2017 die Qualifikation für die Nationalmannschaft geschafft hatte, war klar: Ab jetzt gibt es nur noch Vollgas. Die Weltspitze im Para-Kanu ist mittlerweile so eng zusammengerückt. Man darf sich keine Fehler erlauben. Jede Medaille gibt einem die Bestätigung, bis jetzt alles richtig gemacht zu haben. Wenn ich international eine gewinne, verlässt sie meinen Hals nicht, bis ich zu Hause bin.
Welche Rolle spielt bei all dem Ihre Heimatstadt Halle?
Ich liebe meine Heimatstadt. Halle ist eine Sportstadt, für mich ist es eine große Ehre Teil davon zu sein. Wir haben hier eine unheimlich großartige Infrastruktur. Der Olympia-Stützpunkt bietet gute Trainingsmöglichkeiten, von meinem Verein SV Halle werde ich beim Leistungssport super unterstützt. Vom Landessportverband Sachsen-Anhalt haben wir hier eine hauptamtliche Trainerin. Da sind wir sehr dankbar, weil ehrenamtlich die Umfänge des Leistungssports nicht zu stemmen wären. Der Para-Sport wird in Halle sehr wahrgenommen. Beim MDR haben wir jemanden, der uns regelmäßig beim Training und Wettkämpfen begleitet. Der Titel Sportlerin des Jahres in meiner Heimatstadt bedeutet mir extrem viel, weil er gar nicht primär meine Leistung bewertet, sondern wie meine Leistung gesehen wird. Da ist ein schönes Gefühl, zu sehen, dass der Para-Sport dem olympischen Sport hier in gar nicht so viel nachsteht.
Haben Sie Pläne für die Zeit nach Paris?
Direkt nach den Paralympics werde ich noch etwas arbeiten, wahrscheinlich ist sehr viel liegengeblieben. Im Oktober habe ich mir aber zwei Wochen freigenommen. Mit Tokio und Paris waren die letzten fünf Jahre sehr intensiv. Wahrscheinlich werde ich nächstes Jahr etwas kürzertreten, um mich auf die Arbeit zu fokussieren. Meine Karriere ist aber noch nicht vorbei. Das nächste Ziel sind die Spiele 2028 in Los Angeles und vielleicht sogar 2032 in Brisbane. Nach Australien wollte ich schon immer mal. Im Para-Sport sind dem Alter wenig Grenzen gesetzt, ich möchte noch so lang wie möglich weitermachen.
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