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Pascal Klemens leitete mit seinem schlimmen Fehler die Niederlage ein – und hätte sich am liebsten versteckt.

© imago/Matthias Koch/IMAGO/Sebastian Räppold/Matthias Koch

Rückschritt statt Fortschritt: Hertha BSC entfernt sich immer mehr von den eigenen Zielen

Nur ein Sieg aus den jüngsten sieben Pflichtspielen, dazu immer die gleichen Mängel: Bei Hertha BSC droht nach der fünften Heimniederlage der Saison die Stimmung zu kippen.

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Wie dramatisch die Situation von Hertha BSC inzwischen ist, das zeigte sich nicht zuletzt beim Blick aufs Detail. Vor dem zweiten Tor von Preußen Münster zum Beispiel, am Freitagabend bei der 1:2-Niederlage im Berliner Olympiastadion.

Mitte der ersten Halbzeit waren die Berliner gegen den Aufsteiger in Führung gegangen. Gegen ein Team, das seit vier Spielen nicht mehr gewonnen hatte und in der Tabelle der Zweiten Liga den vorletzten Platz belegte. Besser geht’s eigentlich nicht.

Nur für Hertha in der aktuellen Verfassung leider nicht. Die Mannschaft schenkte den Gästen nicht nur den Ausgleich, weil der junge Pascal Klemens am eigenen Strafraum den Ball vertändelte; sie kassierte kurz vor Schluss auch noch das 1:2, durch ein Tor, das für Trainer Cristian Fiél „ähnlich schlimm“ war wie das erste.

Münsters Siegtreffer resultierte aus einem Freistoß tief im Mittelfeld. Der Ball segelte an den Berliner Strafraum, wo Deyovaisio Zeefuik das erste Luftduell verlor. Doch damit nicht genug: Anschließend flog auch noch Jonjoe Kenny unter dem Ball hindurch, so dass Torge Paetow sieben Meter vor dem Tor frei zum Schuss kam.

1,1
Punkte holte Herthas Mannschaft im Schnitt in den Spielen, in denen sie mehr Ballbesitz hatte als der Gegner

Jetzt also auch noch Jonjoe Kenny, der bisher alles in allem Herthas vielleicht stabilster Spieler ist. Kenny, der Engländer, ist einer, der zwar selten hymnisch besungen wird, in der Regel aber solide seinen Job erledigt. Wenn jetzt selbst die sonst so Verlässlichen noch patzen …

… dann wird es wirklich ungemütlich. „Wir machen Fehler, die immer wieder und wieder passieren. Die aber so nicht passieren dürfen, wenn wir irgendwann mal wieder ein Spiel gewinnen wollen“, sagte Herthas Kapitän Toni Leistner. „Da kann man schon die Qualitätsfrage stellen, wenn es in dieser Häufigkeit passiert.“

Die aktuelle Situation ist so, dass wir zu wenige Punkte geholt haben, um zufrieden zu sein.

Herthas Trainer Cristian Fiél

Alternativ reicht auch ein Blick auf die Tabelle, die Hertha im Mittelfeld ausweist, und zwar inzwischen an dessen unterem Ende. Von den vergangenen sieben Pflichtspielen haben die Berliner ein einziges gewonnen. Das war vor zwei Wochen in Magdeburg. Doch der Hauch von Aufschwung, der nach diesem Sieg zu spüren war, ist längst verflogen.

Nach dem Erfolg hatte auch Toni Leistner das Gefühl, „dass wir viel weiter sind“. Doch es folgten: drei Niederlagen in drei Spielen, in denen die Berliner jeweils in Führung gegangen waren. „Da müssen wir nicht nur ansetzen“, sagte Sportdirektor Benjamin Weber, „das müssen wir abstellen.“

Diese Saison sollte für Hertha eigentlich eine des Fortschritts werden, sowohl fußballerisch als auch tabellarisch. Davon ist derzeit nichts zu erkennen. Weder fußballerisch noch tabellarisch. Trotz nachweislich vorhandener individueller Qualität erweist sich die Idee des neuen Trainer Cristian Fiéls nicht nur als nicht tragfähig; sie hat sich inzwischen als fast schon kontraproduktiv herausgestellt.

Fiéls Idee erweist sich als kontraproduktiv

Der Spanier Fiél orientiert sich explizit am Katalanen Pep Guardiola, will von seiner Mannschaft offensiven und mutigen Ballbesitzfußball sehen. Das aber klappt bisher nur in Ausnahmefällen. Auch gegen Münster waren die Berliner erwartungsgemäß deutlich mehr am Ball (58:42 Prozent), der Ertrag aber fiel zum wiederholten Male dürftig aus.

In der 64. Minute gab Hertha den letzten Torschuss des Spiels ab. „Offensiv haben wir wirklich nichts mehr hinbekommen. Ich kann mich an keine klare Torchance erinnern“, sagte Sportdirektor Weber. Bei den Expected Goals lagen die Preußen, die vor dem Spieltag die drittschlechteste Offensive der Liga stellten, am Ende sogar mit 2,35 zu 1,79 vorne. Und ein Ausreißer war das für Hertha nicht. Im Gegenteil.

Nach 1:0-Führung hat Hertha 13 Punkte verspielt

In zehn der bisherigen sechzehn Spiele hatten die Berliner mehr Ballbesitz als ihr Gegner. Dabei holten sie elf Punkte, im Schnitt also 1,1. In den sechs Spielen mit weniger Ballbesitz waren es zehn Punkte, als immerhin 1,67 im Schnitt.

Das, was sich die Berliner mit ihren Füßen aufbauen, reißen sie mit dem Hintern wieder ein. Eine Konstellation wie gegen Münster müsste der Mannschaft eigentlich entgegenkommen; wenn sie mit der Führung im Rücken den Ball laufen lassen sollte und den Gegner dadurch müde spielt. Stattdessen bringen periodisch wiederkehrende individuelle Fehler das Team um den Ertrag.

Seit dem achten Spieltag Anfang Oktober gab es fünf Spiele, die Hertha nach einem 1:0 nicht gewonnen hat. Insgesamt 13 Punkte haben die Berliner nach Führungen verspielt – was sich inzwischen auch in der Tabelle bemerkbar macht. Bisher war der Abstand nach oben immer noch überschaubar, langsam aber gilt das auch für den Abstand nach unten.

„Wenn man solche Fehler macht, keine Spiele gewinnt und keine Punkte holt, dann ist es schon eine bedrohliche Situation“, sagte Kapitän Leistner. „Das ganze Nette, was wir jetzt irgendwie hatten, ist langsam auch mal vorbei. Wir müssen jetzt auch mal Tacheles reden.“

Schon vor dem letzten Spieltag in diesem Jahr am kommenden Sonntag bei Hannover 96 ist klar, dass Hertha die Hinrunde mit weniger Punkten abschließen wird als in der Vorsaison unter Pal Dardai. Dabei war der Ungar mit der Hypothek von drei Niederlagen in die Spielzeit gestartet. „Die aktuelle Situation ist so, dass wir zu wenige Punkte geholt haben, um zufrieden zu sein“, sagte Dardais Nachfolger Fiél.

Sie ist sogar so, dass es allen Grund gibt, richtig unzufrieden zu sein. Und dass sich viele Fans inzwischen fragen, ob es wirklich eine so gute Idee war, eine halbe Million Euro in die Ablöse für Cristian Fiél zu investieren.

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