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In den Stadien wird an diesem Wochenende stärker kontrolliert.

© dpa

Sicherheit im Fußball: Verstärkte Abwehr in der Bundesliga

Die Angst vor dem Terror könnte den Fußball sehr verändern. An diesem Bundesliga-Spieltag, vor allem aber auf lange Sicht.

Stellen Sie sich vor: Es ist ein Bundesliga-Spieltag im Frühling. Sie nähern sich dem Fußballstadion, über dem ein Helikopter kreist. Polizisten sind überall postiert, Maschinengewehre mit beiden Händen haltend. Am Einlass stellen Sie sich in die lange Schlange für den Körperscanner. Nachdem Sie durchleuchtet und mehrmals abgetastet wurden und Ihr personalisiertes Ticket scannen lassen, gleicht eine Kamera Ihr Gesicht mit einer Datenbank ab. Im Inneren der Arena patrouillieren komplett vermummte Antiterroreinheiten, Hunde schnüffeln unter den Sitzen nach Sprengstoff.

Solche Szenen sind nur ein Schreckensszenario, aber leider nur das zweitschlimmste, das in einem Stadion voller Menschen vorstellbar ist. Einige dieser Maßnahmen sind bereits Realität, andere könnten folgen. Die Verunsicherung ist groß nach den Anschlägen von Paris, bei denen mehr als 120 Menschen starben, dem abgesagten Länderspiel in Hannover und vor dem Bundesliga-Spieltag an diesem Wochenende. Die Spiele sollen wie angesetzt stattfinden, darüber hinaus wissen Fans kaum, was sie erwarten wird. Einige Zuschauer werden das Stadion meiden, andere werden im Gedenken an die Terroropfer in Frankreich trauern, aber die meisten gehen mit einem mulmigen Gefühl in die Arenen.

Die Sicherheit wird deutlich erhöht sein, aber weit von der oben beschriebenen Dystopie entfernt. Im Klima der Angst könnte sich der Arenabesuch jedoch dauerhaft verändern. „Mein Eindruck ist, dass der Fußball in Deutschland mit dem heutigen Tage in allen Facetten eine andere Wendung genommen hat“, sagte DFB- und Liga-Präsident Reinhard Rauball, kein Freund unbedachter Worte, nach der Spielabsage in Hannover. Doch wie könnte sich der Fußball verändern, wo hört das Sicherheitsbedürfnis auf und wo endet der Spaß am Stadionbesuch?

Viele Fans haben Angst vor drastischen Maßnahmen

Über die Maßnahmen in den neun Bundesligastadien entscheiden die Sicherheitsbehörden vor Ort, in Absprache mit Ländern und Bund. Sie informieren aber nur spärlich darüber, auch aus taktischen Gründen, um nicht alle Karten offenzulegen. Die Klubs werden mehr Ordnungskräfte einsetzen und am Einlass intensivier kontrollieren, sie empfehlen daher frühzeitige Anreisen. Die Wolfsburger Polizei kündigte an, vor dem Heimspiel des VfL, anders als gewohnt, mit Maschinenpistolen zu patrouillieren. Bundesweit werden Beamte mit Schutzwesten und Maschinenpistolen in Bahnhöfen auf Streife gehen. Ähnliche Szenen gab es auch schon im und um das Wembley-Stadion, als die französische Nationalmannschaft in England antrat.

Es geht jetzt auch um Psychologie. „Die Menschen haben jetzt diese Bilder aus Paris im Kopf“, sagt Helmut Spahn, Verantwortlicher für die Sicherheit bei der WM 2006 in Deutschland. „Die Gefühlswelt ist eine andere, obwohl die Bedrohungslage in Deutschland nicht wesentlich anders ist als vor zwei Wochen.“ Das erhöhte Polizeiaufgebot sei auch eine Botschaft, um das Sicherheitsgefühl zu steigern, dürfe jedoch auf Dauer nicht übertrieben werden. „Die Mentalität ist eine andere als etwa in England, wo die Menschen es gewöhnt sind, dass Soldaten Sportveranstaltungen sichern.“ Hierzulande könnte der Anblick zu vieler Uniformierter zusätzlich verunsichern.

Dabei könnte es aber nicht bleiben. Der Aufsichtsratschef von Schalke 04, Clemens Tönnies, forderte via „Bild“ Körperscanner am Einlass, „am besten zwei pro Eingang“. Wolfgang Holzhäuser, ehemaliger Geschäftsführer von Bayer Leverkusen, unterstützt diesen Vorschlag. Bisher ein Horrorszenario für die meisten Fans. Und nun?

Wenn man sich durch die Internet-Foren der 18 Bundesligisten liest, dann bekunden viele Fans ihre Absicht, ins Stadion zu gehen, einige ohne Angst, andere mit mulmigem Gefühl, andere wollen diesmal wegbleiben. Doch wird auch eine neue Sehnsucht nach Sicherheit spürbar: Im Forum von Eintracht Frankfurt nennt User „Brosch“ die Kontrollen an Spieltagen „leider oftmals mangelhaft. So lustlos wie man zum Teil abgetastet wird, hätte man sich das auch sparen können“. Bei Schalke 04 fordert User „Blauhai“ sogar: „Erster Schritt: personalisierte Eintrittkarten, von mir aus auch mit Fingerabdruck, wem das nicht passt, soll mit dem Arsch zu Hause bleiben.“ Einzelmeinungen, sicherlich, aber auch neue Töne unter Fans, die sich in der Vergangenheit gegen mehr Kontrolle gewehrt hatten. Etwa bei den „12:12“-Protesten vor zwei Jahren, als bundesweit zwölf Minuten in allen Stadien geschwiegen und die Fankultur symbolisch zu Grabe getragen wurde. Inzwischen ist die Bedrohung eine ganz andere.

„Ich hätte gar nichts gegen personalisierte Tickets, wenn es nur der Terrorabwehr diente“, sagt Sig Zelt, Sprecher der Fanvereinigung ProFans. „Aber so ein Mittel würde, wenn es einmal da ist, für alles Mögliche genutzt.“ Die Hoffnung vieler Fans: Wenn es nun zwei, drei Spieltage keine Vorfälle gäbe, werde die Debatte abkühlen und die Forderung drastischer Maßnahmen verstummen. Es herrscht die Sorge, Polizei, Innenministerien und Klubs könnten die Angst missbrauchen, um unliebsame, lange geplante Maßnahmen durchzudrücken. Auch Fan-Anwalt René Lau warnt vor Aktionismus: „Sonst müssten die Fans das in einem Jahr, wenn vielleicht niemand mehr über Terror spricht, ausbaden.“ Lau glaubt auch, dass Anhänger von Pyrotechnik weiterhin Argumente haben. „In der Pyro-Debatte ging es ja nie um Böller, die lehnen alle ab.“

Experten warnen vor Panikmache

Neben Komplizen und Trittbrettfahrern der Paris-Attentäter und nicht ernst gemeinten Drohungen ist eine Massenpanik nach einem Knall die größte Gefahr derzeit im Stadion.

Die Deutsche Fußball-Liga (DFL) will sich auf Nachfrage nicht äußern, für solche Debatten sind ihr die Anschläge von Paris noch zu frisch. Sie stellt das Trauern in den Mittelpunkt, hat den Vereinen ein DFL-Logo mit blau-weiß-roter Trauerschleife für die Videoleinwände zur Verfügung gestellt und Texte für Stadionsprecher. Zudem wird es Trauerbinden und Schweigeminuten geben, beim Hamburger SV am Freitagabend gegen Borussia Dortmund sogar zwei, auch an den verstorbenen Altkanzler Helmut Schmidt wird gedacht. Bei Sicherheitsthemen sei der Deutsche Fußball-Bund (DFB) zuständig, teilt die DFL mit, namentlich Hendrik Große Lefert. „Wir sollten nicht in Panik verfallen, sondern uns auf das konzentrieren, was über Jahre im Sicherheitsbereich entwickelt wurde“, sagt der DFB-Sicherheitsbeauftragte, der auch mit der deutschen Nationalelf in Paris und Hannover war.

Fast alle Beteiligten weisen darauf hin, dass es offenbar ein Ordner war, der bei einem der Attentäter am Stade de France einen Sprengstoffgürtel entdeckte. „Die bisherigen Maßnahmen reichen aus, wenn die Ordner ihre Arbeit ordentlich machen“, sagt Fan-Anwalt Lau. Für die Sicherheit im Stadion sind ohnehin die Vereine selbst verantwortlich, die Polizei betritt die Arenen weiterhin nur bei Vorfällen. Jörg Radek, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) sagt: „Bei allen Schlussfolgerungen muss die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden. Körperscanner hatten wir auch nicht bei der Fußball-WM, personalisierte Tickets sind da ein anderes Thema. Wenn ich Leute von Drohnen über den Stadien sprechen höre, denke ich: Bitte die Kirche im Dorf lassen und angemessen reagieren, das ist das Gebot der Stunde.“ Andererseits sei nichts so gut, dass es nicht verbessert werden könnte.

Sicherheitsexperte Spahn warnt vor übermäßigen Sorgen: Im Stadion sei man nicht unsicherer als an Flughäfen, auf Weihnachtsmärkten und im Kino. Am öffentlichen Straßenverkehr teilzunehmen, sei um ein Vielfaches gefährlicher. „Bei aller Sicherheit sollen die Menschen den Spaß behalten und die Spiele genießen können“, sagt Spahn. Die WM 2006 sei schließlich auch nicht als Polizeispiele in Erinnerung geblieben, sondern als Fußballfest, obwohl die Terrorgefahr latent war. Polizeigewerkschafter Radek wünscht sich, dass alle Beteiligten mit der aktuellen Lage „sehr, sehr behutsam“ und ohne Hysterie umgehen. Fußball sei eine Kulturfrage, gerade in Deutschland. „Wir sollten uns diese Kultur nicht zerstören lassen“, sagt Radek. „Dann hätten die Terroristen ihr Ziel erreicht.“

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