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Ihre Stimme zählt!: Wer wird Para-Sportler des Jahres?
An diesem Donnerstag endet das öffentliche Voting – machen Sie noch mit. Alle Nominierten haben aus Paris Medaillen von den Paralympics mitgebracht. Lesen Sie noch einmal die schönsten Geschichten.
Stand:
Wenn am 12. April bei der Ehrung der Para-Sportler des Jahres in Bonn die große Party steigt, darf ein Hit nicht fehlen: „Taxi nach Paris“ von Felix De Luxe. Denn alle Anwesenden würden wohl sofort einsteigen. „Nur für einen Tag“, wie es im Text heißt. Mit einem – natürlich rollstuhlgerechten – Taxi nach Paris: „Weil ich Paris nun mal so mag.“
Die Zeit aus dem vergangenen Sommer in der Ausrichterstadt der Paralympics hallt bis heute bei einem Großteil aus Team D in den schönsten Tönen nach. Und der Galaabend des Deutschen Behindertensportverbands (DBS) wird da zum fröhlichen Wiedersehen. Durchweg alle Nominierten, für die bei der öffentlichen Online-Wahl von diesem Sonntag an bis zum 3. April gevotet werden kann, haben in Paris mindestens eine Medaille gewonnen.
In den Einzelkategorien hat es sich das Expertengremium in diesem Jahr leicht gemacht: Alle Goldmedaillengewinner wurden in der Vorauswahl berücksichtigt. So kommt es auch zu dem Ungleichgewicht bei der Anzahl in der Frauen- und Männerkategorie: Die Frauen feierten in Paris sechs Titel (darunter das Doppelgold von Sportschützin Natascha Hiltrop), die Männer vier.
Die Nominierten
- Para-Sportlerin: Maike Hausberger (Radsport), Natascha Hiltrop (Sportschießen), Sandra Mikolaschek (Tischtennis), Tanja Scholz und Elena Semechin (beide Schwimmen)
- Para-Sportler: Markus Rehm (Leichtathletik), Maurice Schmidt (Rollstuhlfechten), Taliso Engel und Josia Topf (beide Schwimmen)
- Para-Team: Dressursport-Equipe (Anna-Lena Niehues, Regine Mispelkamp und Heidemarie Dresing), Rudern-Doppelzweier (Hermine Krumbein & Jan Helmich), Rollstuhlbasketball der Männer und die beiden Tischtennis-Doppel (Stephanie Grebe & Juliane Wolf sowie Valentin Baus & Thomas Schmidtberger)
- Para-Nachwuchssportler*in: Gina Böttcher (Schwimmen), Nele Moos (Leichtathletik), Hermine Krumbein, Maurice Schmidt und Lennart Sass (Judo)
In den Kategorien Team und Nachwuchs brachten alle Nominierten Silber und oder Bronze mit nach Hause. Allein Schwimmer Josia Topf sicherte sich gleich den kompletten Medaillensatz. Zu Silber schwamm er unter den Augen einer begeisterten Außenministerin Annalena Baerbock. Mehr als die Hälfte der Medaillenausbeute der Sommerspiele (29 von 49) geht auf die Sportlerinnen und Sportler in den vier Kategorien zurück.

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Die Schwimmer sind dabei die am stärksten vertretene Sportart und könnten gleich ein eigenes Taxi nach Paris vollmachen. Mit Gina Böttcher, Taliso Engel, Tanja Scholz, Elena Semechin und Topf finden sich fünf von ihnen auf den Listen.
Die Rollstuhlbasketballer müssten sich in voller Mannschaftsstärke dagegen auf mehrere Fahrzeuge aufteilen. Mit ihrem Sieg im Spiel um Platz drei hatten die Männer in Paris die erste deutsche Medaille nach 32 Jahren geholt. Und beinahe ebenso so lang hatte es den Wartenden im Deutschen Haus gefühlt vorkommen können, ehe die Mannschaft gegen Mitternacht endlich ihre eigene Feier erreicht hatte und die Tanzfläche von hinten aufrollte.
Ebenfalls spät, das aber noch auf der Planche, wurde es bei Rollstuhlfechter Maurice Schmidt. Der gleich in zwei Kategorien Nominierte (Para-Sportler und -Nachwuchs) leistete auf seinem Weg zur Goldmedaille im Grand Palais eine Nachtschicht. Zu weit fortgeschrittener Stunde ließ er seinem britischen Finalgegner dann keine Chance. „Ich habe ihn einfach fertig gemacht“, jubelte der 25 Jahre alte Schmidt.
Gemeinsam mit Semechin trug er bei der Abschlussfeier im Stade de France die deutsche Fahne. Dem strömenden Regen setzten die beiden an jenem Abend ein breites Siegerlächeln entgegen. Auch die sehbeeinträchtigte Schwimmerin aus Berlin hatte in den Tagen zuvor Großes vollbracht.

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Semechin wurde in der jüngeren Vergangenheit zu dem bekanntesten Gesicht im deutschen Para-Sport. Anfangs hatte dies – wie häufig im Behindertensport – allerdings nicht viel mit ihren sportlichen Leistungen zu tun. Es war die Diagnose eines bösartigen Hirntumors, der die gebürtige Kasachin kurz nach dem Gewinn ihrer ersten Goldmedaille bei den Paralympics 2021 zu einer kleinen Berühmtheit und seither gern gesehenen Talk-Show-Gästin machte. Die 31-Jährige gewährte einen tiefen Einblick in ihr Gefühlsleben und schaffte es dabei, als die Ausnahmesportlerin wahrgenommen zu werden, die sie ist.

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Auch während der Zeit ihrer 13 Monate andauernden Chemotherapie verlor sie ihre vierte Paralympics-Teilnahme nicht aus den Augen und fraß sich durch etliche Trainingsbahnen annähernd zurück zu alten Zeiten. Jemand hätte ihr mit Sicherheit auch ein Taxi gezahlt, aber für einen Start wäre sie – in Begleitung – wohl sogar zu Fuß bis nach Paris gegangen. Das kühne Ziel der Kämpferin: den eigenen Weltrekord aus dem Jahr 2019 zu unterbieten. Was für eine Ansage!
Und dann stand sie da vor dem Finale über 100 Meter Brust im tosenden Lärm, den die Zuschauenden in der voll besetzten Schwimmarena entfachten. Und was kann man anderes schreiben: Es folgte das Rennen ihres Lebens. Hinter den 1:12,54 Minuten blinkten auf der Anzeigetafel die Buchstaben „WR“ – Weltrekord! „Ich habe auch mir gezeigt, dass man aus solchen Situationen herauskommen kann“, sagte Semechin: „Wenn man Wünsche und Träume hat und dafür kämpft.“
An all diese Momente wird sich bei dem großen Wiedersehen in Bonn erinnert werden. An die rote Brille und den roten Lippenstift von Heidemarie Dresing vor der hellen Kulisse von Versailles. Die mit ihren 69 Jahren älteste Paris-Fahrerin gewann im ehrwürdigen Schlosspark zusammen mit Anna-Lena Niehues und Regine Mispelkamp im Team-Wettbewerb der Dressurreiterinnen Bronze.

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In der Einzelprüfung drei Tage zuvor hatte Dresing eine Medaille aufgrund eines Fehlers ihres Pferdes Dooloop noch denkbar knapp verpasst. „Man kann dem Pferd da nicht böse sein“, sagte sie und schob einen der schönsten Sprüche von Paris hinterher: „Es sind halt auch Menschen, die sich von äußeren Eindrücken beeinflussen lassen.“
Erinnern wird man sich natürlich auch an den unschlagbaren Markus Rehm. Vielleicht bis in alle Ewigkeit. Der Prothesen-Springer gewann zum vierten Mal in Folge Gold im Weitsprung. Auf der Bühne des Weltsports sicherte sich der 36-Jährige damit einen Platz an der Seite von Weitsprunglegende Carl Lewis, der vier Olympia-Goldmedaillen hintereinander gewann.

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Oder an Josia Topf und die Ungeheuerlichkeit, dass er bei jedem Finalstart seine Gesundheit bewusst aufs Spiel setzen muss. Weil ihm beide Arme fehlen, muss der Schwimmer zur Zeitabnahme mit dem Kopf am Beckenrand anschlagen. So doll, dass er bei einer seiner drei Siegerehrungen in Paris gar „nicht mehr wusste, wo es langgeht“. Die Schilderung erinnert ein wenig an Fußball-Weltmeister Christoph Kramer und seine Gehirnerschütterung im Endspiel 2014. Bis zu anderthalb Wochen blieben seine Kopfschmerzen, berichtete Topf.

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Die Zeit in Paris speicherte er dennoch als großen Gewinn ab. Der Jura-Student habe „unheimlich starke Persönlichkeiten“ getroffen, die ihn inspirierten: „Das macht einfach Spaß, mit so vielen coolen Leuten zusammenzuarbeiten.“
Vielleicht meinte er damit auch Teamkollegin Tanja Scholz, die bei ihrer ersten Paralympics-Teilnahme gleich groß auftrumpfte. „Vor vier Jahren dachte ich, mein Leben wäre vorbei. Jetzt sitze ich hier und habe Gold gewonnen“, sagte die Schwimmerin in Paris. Seit einem Reitunfall ist die 40-Jährige inkomplett querschnittgelähmt und sitzt im Rollstuhl. Für den DBS bedeuteten die Titel von Scholz und Topf am vierten Wettkampftag die ersten Goldmedaillen in Paris. Später reichte die Elmshornerin noch Silber nach.

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In der Gesamtsicht wurde es eine etwas geringere Ausbeute als vom Verband erhofft. So ließen etwa der in seiner Leistungsklasse als Weitsprung-Weltmeister angereiste und als sicherer Medaillenkandidat gehandelte Leon Schäfer ebenso wie Titelverteidiger Valentin Baus im Tischtennis-Einzel überraschend Medaillen liegen.

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Immerhin konnte die Negativtendenz der deutschen Sommer-Mannschaft nach den Spielen 2012 in London (insgesamt 66 Medaillen), 2016 in Rio (57) und 2021 in Tokio (43) gebremst werden. Perspektivisch will DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher aber weitaus näher an die Nationen hinter den Großmächten bei den Paralympics (China, Großbritannien und die USA) heranrücken.
Dafür muss in Deutschland für den Behindertensport mehr Geld in die Hand genommen werden und in eine bessere Förderung der Spitzensportlerinnen und -sportler und in ein barrierefreies Breitensportangebot investiert werden. Bei Inklusion und den Belangen für Menschen mit Beeinträchtigung kann nicht gespart werden.
Höchstens bei sentimentalen Taxifahrten in die Vergangenheit. Laut „taxi-rechner.de“ würde die rund 500 Kilometer weite Strecke von Bonn bis zum Eiffelturm voraussichtlich 1124,40 Euro veranschlagen. Dann doch lieber voll auf die Zukunft setzen und bei der Party „The Next Episode“ von Snoop Dogg und Dr. Dre aufdrehen – die findet 2028 mit den Sommerspielen in Los Angeles statt.
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