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Auf der Hinterbank. Im Bundestag spielt Frauke Petry keine große Rolle mehr.

© Kay Nietfeld/dpa

Frühere AfD-Chefin: Frauke Petry – die Einzelkämpferin

Im Bundestag ist die Ex-AfD-Chefin isoliert. Doch bei der Sachsenwahl könnte Frauke Petry die Rechtspopulisten um den Sieg bringen – ausgerechnet sie.

Frauke Petry bahnt sich mit dem Kinderwagen einen Weg durch die Menge. Tausende flanieren an diesem Septembersamstag über das Volksfest im sächsischen Torgau. Der Stand von Petrys „Blauer Partei“ steht abseits, am Rand des Festgeländes. Aber Petry – Jeans, Bluse, hohe Schuhe – will sich trotzdem im Getümmel sehen lassen. Vorbei am Pommesstand, der Freiwilligen Feuerwehr und einer Blaskapelle schiebt sie den Buggy mit Sohn Ferdinand. Es dauert nicht lang, da stoßen sich die Leute mit dem Ellenbogen in die Seite. „Guck mal, die Frauke Petry!“

Die Petry. Hat die AfD verlassen, den Vorsitz hingeschmissen und sitzt jetzt im Bundestag in der hintersten Reihe. Ist Chefin einer Partei, die in den Umfragen oft nicht mal auftaucht und hat ein Bürgerforum gegründet, das kaum einer kennt. Aber Frauke Petry selbst, die kennen die Leute noch. In Torgau kommen ältere Frauen auf sie zu, sagen Sätze wie: „Dass ich Sie mal in natura erleben darf.“ In Torgau wollen die Leute noch Selfies mit ihr.

Ihr Name, ihr Gesicht – das ist im Moment Petrys einziges Kapital. Und sie will es nutzen.

Im kommenden Jahr sollen ihre „Blauen“ bei der Europawahl antreten, bei den Wahlen in Thüringen und Sachsen. Vor allem auf Sachsen kommt es an. Hier holte Petry bei der Bundestagswahl – noch für die AfD – ein Direktmandat, hier sitzt sie außerdem seit 2014 im Landtag. In den will sie wieder einziehen – und ihrer alten Partei einen Denkzettel verpassen. Ausgerechnet Petry könnte den Sieg der AfD im Freistaat verhindern.

„Ich gehe davon aus, dass wir deutlich über fünf Prozent landen“, sagt sie in Torgau zu denen, die an ihrem Stand stehen bleiben. Schwer zu sagen, ob sie selbst daran glaubt.

Schafft die 43-Jährige im kommenden Jahr den Sprung in den Landtag, dann wären ihre „Blauen“ in der vertrackten politischen Lage in Sachsen sogar ein möglicher Regierungspartner. Frauke Petry als Ministerin – sogar das wäre theoretisch drin. Schafft sie es nicht, ist ihre politische Karriere ein für alle Mal am Ende. Es geht für sie um alles oder nichts.

Hat Petry irgendeine Chance?

Mit den „Blauen“ will sie nicht weniger als eine Art von bundesweiter CSU etablieren. Gesellschaftspolitisch konservativ, liberal in der Wirtschaftspolitik. Sie sagt, sie ziele auf Wähler, „denen die CDU zu links und die AfD zu radikal ist“. Ein schmaler Korridor – in Sachsen ist die AfD zwar besonders radikal, aber die CDU auch rechter als anderswo. Petry ringt um Anerkennung, sie will jetzt als seriöse Konservative wahrgenommen werden. Doch ihre AfD-Vergangenheit lässt sich nicht ausradieren. Es ist ein mühseliges Unterfangen.

In Torgau dürfen die „Blauen“ mit ihrem Stand nicht auf die „Demokratiemeile“. Die ist Parteien vorbehalten, die in Fraktionsstärke im Dresdner Landtag sitzen. Die „Blauen“ stehen am Rand des Festes, wo es nach Bratwurstfett und Popcorn riecht. Ein Rentner, so heiser, dass man ihn kaum versteht, verwickelt Petry in ein Gespräch. „Wie wollen Sie denn jetzt wieder in den Landtag kommen?“, fragt er. „Na, indem Sie uns wählen“, sagt Petry freundlich. Mit einem anderen Herren setzt sie sich lange auf die Bordsteinkante. Die Frau, auf die früher alle Kameras gerichtet waren, muss jetzt um jede Stimme kämpfen.

Sie selbst sagt: „Das Rampenlicht fehlt mir nicht.“

Früher galt sie als diktatorisch, jetzt gibt sie sich entspannt

Ein Jahr ist Frauke Petrys Abgang von der großen Bühne nun her. Es war der Morgen nach der Bundestagswahl, die AfD hatte gerade ihren großen Wahlerfolg eingefahren. Damals stahl eine perfekt geschminkte Petry ihrer Partei die Show, verkündete vor versammelter Hauptstadtpresse, sie werde nicht Teil der AfD-Fraktion sein. Dann verließ sie den Saal und kurz darauf die AfD.

Wer Petry seitdem immer mal wieder begleitet hat, stellt eine Veränderung fest. Geändert hat sich ihr Auftreten. Aber auch sie selbst?

Im November 2017 sitzt Petry in der Nähe des Leipziger Hauptbahnhofs in einem kargen Büro. Unten am Klingelschild steht noch die AfD, doch Petry managt jetzt von hier aus ihre „Blaue Wende“. Als AfD-Chefin war sie zu Journalisten oft schnippisch. Parteikollegen beklagten einen diktatorischen Führungsstil. Nun gibt sich Petry entspannt. „Ich stehe nicht mehr unter dem Druck, Dinge verteidigen zu müssen, für die ich nicht stehe“, sagt sie. Während des Gesprächs stillt sie ihren Sohn Ferdinand – das Baby von den Wahlplakaten.

Frau Petry wird es wie Lucke gehen. Redet denn noch jemand über diesen Herren. Schade, Frau Petry hätte innerhalb der AfD eine Parteifraktion bilden können und so deren Politik mit gestalten können. Ist in den etablierten Parteien üblich.

schreibt NutzerIn claro

Im Bürgerforum „Blaue Wende“ sollen sich Menschen, so Petrys Idee, unabhängig vom Parteibuch Gedanken über die Lösung gesellschaftlicher Probleme machen. Ein Parteieintritt sei nicht notwendig. Die Partei solle „nur als Rahmen dienen und dazu, bei Wahlen antreten zu können“. Petry betont gern die Parallelen zu Sahra Wagenknechts linker Sammlungsbewegung – nur, dass die noch keine eigene Partei gegründet hat.  

Nach Petrys AfD-Austritt ist ziemlich schnell klar: Viele Mitstreiter hat sie nicht. Im Bundestag ist ihr entgegen ihren Erwartungen nur der Abgeordnete Mario Mieruch aus der AfD gefolgt. Im Landtag sind sie zu fünft, zu wenige für eine Fraktion. In anderen Ländern haben es ihr nur ein paar Funktionäre und ihr Mann Marcus Pretzell nachgetan. Von einer Welle kann keine Rede sein. Viele glauben, dass Petry ebenso schnell in die Bedeutungslosigkeit abrutschen wird wie einst nach seinem Sturz AfD-Gründer Bernd Lucke.

Und im Bundestag sieht tatsächlich alles danach aus: Am Tag der konstituierenden Sitzung des Parlaments steht Petry mit Mieruch und ihrem Pressesprecher Oliver Lang verloren an einem Stehtisch. Die alten Parteikollegen schneiden sie. Das neue Büro im Jakob-Kaiser-Haus liegt zwischen den Räumen der Grünen. Wenn Petry ihre Drei-Minuten-Reden im Plenum hält, applaudiert außer Mieruch niemand. Schon gar nicht die AfD, Fraktionschef Alexander Gauland hat das verboten.

Petry hat in Sachsen Bekanntheitswerte jenseits der 70 Prozent

Dennoch macht Petry die AfD nervös, vor allem in Sachsen. Hier wollen die Rechtspopulisten stärkste Kraft werden, derzeit stehen sie in Umfragen kurz hinter der CDU. Wenn es knapp wird, dann kann jedes Prozent, das Petry bei der Landtagswahl holt, die AfD um den Sieg bringen.

In einer Umfrage der „Leipziger Volkszeitung“ kommen die „Blauen“ zwar nur auf 0,4 Prozent, Petry erreichte eine Zustimmungsrate von vier Prozent. Aber laut einer Insa-Erhebung von Juni könnten sich 29 Prozent der Sachsen zumindest vorstellen, Petry zu wählen. Sie hat im Freistaat Bekanntheitswerte jenseits der 70 Prozent. Demoskopen halten es deshalb nicht für ausgeschlossen, dass sie bei der Landtagswahl die Fünf-Prozent-Hürde knackt. Klar ist aber auch: Es zieht vor allem Petry als Person, die „Blauen“ als Marke allein hätten keine Chance.

Und so nimmt Petry im Freistaat alle Öffentlichkeit mit, die sie kriegen kann. Sie glaubt: Was sie mit der AfD einmal geschafft hat, kann sie auch noch mal schaffen. Mit Neuanfängen kennt sie sich aus. Nachdem sie 2013 mit ihrem Unternehmen pleiteging, hat sich die promovierte Chemikerin schon einmal neu erfunden.

Petry spricht bei Veranstaltungen der „Blauen Wende“ vor acht Leuten in Brandis und vor 100 in Zwickau. Sie kommt als Ehrengast zu einem Stadtfest, besucht die Musikschule und den Tourismusverband. Gleichzeitig setzt sie auf Netzwerkarbeit, führt Gespräche mit Bürgermeistern und Landräten. Sie sagt aber auch: „Es passiert immer noch regelmäßig, dass Leute das Gespräch mit mir verweigern.“

Die Frage, die Petry auf dem Volksfest in Torgau am häufigsten gestellt bekommt, lautet: Wo ist denn jetzt der Unterschied zur AfD? Petry hat sich Antworten in verschiedenen Komplexitätsstufen zurechtgelegt, je nach Gegenüber. Die einfachste: Sie wolle konservative Politik machen, aber den Zweiten Weltkrieg nicht nachträglich gewinnen. Sie kommt auf die Radikalen in der AfD zu sprechen, die „über die Stränge schlagen“, wie sie sagt.

Einem Pfarrer erklärt sie, die „Blauen“ hätten ihr Profil etwa beim Thema Lebensschutz geschärft. Eine Abschaffung von Paragraf 219a, also dem Werbeverbot für Abtreibungen, lehne sie strikt ab. Sie sagt auch: „Für einen Christen ist die ,Ehe für alle‘ eine Zumutung.“ Der Pfarrer nickt zustimmend.

"Diesen Rechtskurs habe ich nicht aufhalten können"

Knapp eine Woche später sitzt Petry im Auto ihres Pressesprechers, es geht von Berlin zum Richtfest eines Gymnasiums in Sachsen. Man möchte jetzt mit ihr darüber sprechen, welche Verantwortung sie für die Radikalisierung der AfD trägt. AfD-Mitgründer Hans-Olaf Henkel sagte einst, er habe ein „Monster geschaffen“. Solche Sätze hört man von Petry nicht. Sie sagt: „Dass die Partei diesen Rechtskurs genommen hat, ist unbestritten, aber ich habe das nicht aufhalten können.“

Nicht aufhalten können? Ist es nicht so, dass sie Parteigründer Lucke nur mithilfe des nationalen „Flügels“ von Björn Höcke stürzen konnte? Dass die AfD danach immer weiter nach rechts gerutscht ist? Dass sie selbst dem Rechtsruck zunächst Vorschub geleistet hat, auch mit der Forderung, den Begriff „völkisch“ zu rehabilitieren?

Nein, sagt Frauke Petry. Sie bleibt auch jetzt freundlich. „Ich habe keinen Deal mit Höcke gemacht. Aber ich konnte natürlich nicht verhindern, dass er und seine Leute mich wählen.“ Sie habe versucht, Höcke aus der Partei zu werfen. Aber da sei es schon zu spät gewesen. „Vielleicht haben wir uns zu sehr von den frühen Wahlerfolgen einlullen lassen.“

Zwei Aussagen täten ihr leid, beteuert Petry auf der Fahrt nach Sachsen. „Ich habe den Interpretationsspielraum offen gelassen, dass man sagen konnte: Petry will an der Grenze schießen.“ Und es sei dumm von ihr gewesen, sich auf die Diskussion um das Völkische einzulassen.

Petrys Handy klingelt. „Wenn wir nach Sachsen-Anhalt hinein eine Dynamik kriegen, unbedingt mitnehmen!“, sagt sie. Jens Krautwurst ist am Telefon. Wochenlang hat Petry um den thüringischen CDU-Mann geworben. Der Sparkassenangestellte war bis April noch CDU-Kreisvorsitzender im Kyffhäuserkreis und Vorstandsmitglied in der Landes-CDU. Jetzt soll er für Petry ein Netzwerk in Thüringen schaffen – und darüber hinaus. „Krautwurst ist ein Riesengewinn. Das zieht zwangsläufig Leute nach“, glaubt Petry.

Mit Krautwurst sind zwei weitere regional bekannte CDUler aus Thüringen zu Petry übergelaufen. Und in Pirna, wo sie ihr Wahlkreisbüro hat, gründete sich eine „Blaue Wende“-Fraktion im Stadtrat. Das mag mickrig erscheinen. Für Petry sind es Meilensteine.

Ankunft beim Richtfest des Gymnasiums im 14.000-Einwohner-Städtchen Wilsdruff. Petry hat ein leichtes Lächeln auf den Lippen, als sie den lehmigen Platz vor der Baustelle betritt. Sie begrüßt den Bürgermeister, den sächsischen Innenminister. Es ist für sie immer noch ein stiller kleiner Triumph, bei solchen Anlässen eingeladen zu sein. Sie stellt sich erwartungsvoll und gut sichtbar in eine der Reihen vor dem Rednerpult. Der Bürgermeister soll eine Ansprache halten. Stadträte, Lehrer, Handwerker, selbst die Kinder von der benachbarten Kinderkrippe begrüßt er. Petry wartet darauf, dass auch sie an der Reihe ist, als einzige anwesende Bundestagsabgeordnete. Doch Petry wartet umsonst. Ihr Name fällt nicht mehr.

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