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Wie bitte? Russlands Präsident Wladimir Putin reagiert ungläubig auf Fragen nach Moskaus Verwicklung in der Ukraine beim Ukraine-Gipfel in Paris.

© Philippe Wojazer/REUTERS

Anschlag auf Ungarisches Kulturinstitut in der Ukraine: Die Brandstifter von der Tankstelle

Ein bizarrer Kriminalfall beschäftigt Polen: Russland soll Rechtsextreme zu einem Anschlag angestiftet haben, um Unfrieden zwischen Minderheiten zu stiften.

Die Brandstifter gingen sorglos vor. Sie benutzten ihre echten Pässe bei Ein- und Ausreise. Sie meldeten sich unter ihren Klarnamen im Hotel an. Sie holten, als ihr erster Anschlag mit einem Molotowcocktail misslang, Benzin von der nächsten Tankstelle und wurden von Überwachungskameras gefilmt. Sie trafen keine Vorkehrungen dagegen, erkannt zu werden – ungewöhnlich für Männer, die konspirativ und kriminell vorgehen.

Die Täter agierten sorglos - als sollten sie erwischt werden

Legten die Auftraggeber es etwa darauf an, dass die Brandstifter auffliegen? Welche Botschaft sollte von dem Eindruck ausgehen, dass polnische Rechtsextremisten einen Anschlag auf das ungarische Kulturinstitut in Uschgorod in der Südwestukraine verüben? Und was hat es mit der Behauptung auf sich, ein deutscher Journalist in Diensten des russischen Geheimdienstes sei der Hintermann?

Andererseits hilft logisches Abwägen wenig in Zeiten hybrider Kriegsführung. Deren Psychologie beruht auf Verunsicherung durch Mehrdeutigkeit. Was also darf als normal gelten? Manche Details dieser Geschichte klingen fast nach Satire. Bei der Ausreise aus der Ukraine wurden die Brandstifter mit einer großen Menge billiger Zigaretten erwischt. Der Zoll nahm ihre Personalien auf.

Polen sagt: Russland ist Drahtzieher des Anschlags

Die Ermittler hatten wenig Mühe, die Täter kurz nach der Tat im Februar 2018 in Polen dingfest zu machen – dank guter Zusammenarbeit mit befreundeten Diensten, wie der Sprecher des polnischen Inlandsgeheimdienstes, Stanislaw Zaryn, damals lobte. Nun, am Wochenende, präsentierte Polens staatlicher Fernsehsender TVP die Ergebnisse der Staatsanwaltschaft in Warschau nach mehrmonatigen Vernehmungen: Sie bewertet die Aktion als Terroranschlag. Dahinter stecke der russische Geheimdienst. Er habe nationale Spannungen zwischen Ungarn, der Ukraine und Polen schüren wollen und dafür Uschgorod mit seiner großen ungarischen Minderheit ausgewählt.

Dass Russland solche Methoden benutzt und sich mit Rechtsextremen in zahlreichen europäischen Ländern verbündet, ist bekannt - samt der ideologischen Widersprüchlichkeit. In der Ukraine hat Moskau seit Jahren behauptet, die Demokratiebewegung sei von Faschisten und Antisemiten unterwandert und seine Interventionen dort hätten das Ziel, russischstämmige Bürger davor zu schützen. Zugleich griffen russische Institutionen rechtspopulistischen Bewegungen wie dem Front National in Frankreich finanziell unter die Arme.

Ein deutscher Journalist als Mittelsmann?

Hauptangeklagter ist der 28-jährige Pole Michal P., ein Sicherheitsfachmann, der mit der neofaschistischen Organisation Falanga und einer prorussischen Partei, Zmiana, verbandelt sei. Er habe den 22-jährigen Elektriker Adrian M. aus Krakau beauftragt, ein Hakenkreuz und das rechtsradikale Symbol „88“ – es steht für „Heil Hitler“ – an das Ungarische Kulturinstitut zu schmieren und es in Brand zu setzen. Später habe er den 26-jährigen Übersetzer Tomasz Sz. angeworben; der solle die Aktion filmen und das Video an ihn senden. Beide sympathisieren mit rechtsextremen Gruppen in Krakau. Nach dem deutschen Journalisten, der angeblich als Verbindungsmann des russischen Geheimdienstes zum Hauptangeklagten fungierte, werde noch gesucht.

500 Euro Honorar hatte Michal P. vorab in einem Buch versteckt an Adrian M. gesandt und gesagt, das Geld komme aus Ungarn. Bei Befragungen solle er aber sagen, „jemand aus der EU“ sei Auftraggeber. Michal P. versorgte die beiden Angeworbenen mit nicht namengebundenen Mobiltelefonen. Am 3. Februar 2018 fuhren Adrian M. und Tomasz Sz. über die Slowakei nach Uschgorod, meldeten sich im Hotel mit ihren Namen an und verübten am 4. Februar um 1 Uhr morgens den Anschlag. Sz. filmte, wie M. das Hakenkreuz und die „88“ an die Fassade schmierte und einen mitgebrachten „Molotowcocktail“ gegen eine vergitterte Fensterscheibe warf.

Der erste Molotowcocktail erlosch

Das Feuer erlosch aber bald, anstatt sich auszubreiten. Sie sandten das Handyvideo an Michal P. und bekamen die Rückmeldung, so erfülle es nicht seinen Zweck. „Die Ungarn sind unzufrieden“, hieß es über die angeblichen Auftraggeber. So suchten die beiden Täter eine Tankstelle, kauften um 4 Uhr morgens Benzin, tränkten eine Jacke damit, legten sie auf die Fensterbank des eingeworfenen Fensters und zündeten sie an. Das neue Video traf auf Zustimmung per SMS: „So ist es o. k.“.

Adrian M. und Tomasz Sz. machten sich auf den Rückweg. Sie kauften eine größere Menge Zigaretten ein, was ihnen bei der Einreise in die Slowakei um 8 Uhr morgens eine Zollkontrolle eintrug. In Uschgorod hatte mittlerweile die Feuerwehr den Brand gelöscht. Zurück in Krakau ließ sich Michal P. die Mobiltelefone zurückgeben und zahlte jedem der beiden Täter 1000 Zloty – 233 Euro. Hybride Kriegsführung mit solchen Akteuren kostet offenbar nicht viel. Aber zahlt sie sich aus?

Ermittlungen dank Kronzeugenregelung

Am 22. Februar nahm Polens Inlandsgeheimdienst ABW Adrian M. fest. Der packte aus und erbat eine Kronzeugenregelung. Noch am selben Tag wurden auch Michal P. und Tomasz Sz. festgenommen. Heute, elf Monate später, ist die Verwirrung, was wirklich vorgefallen ist, noch immer groß. Seinen Zweck scheint der Anschlag jedenfalls nicht erfüllt zu haben: Es herrscht Frieden zwischen Ungarn, Ukrainern und Polen in Uschgorod.

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