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Gerhard Dörfler war Kärntens letzter FPÖ-Regierungschef, 2013 wurde die Partei abgewählt.

© Martin Valentin Fuchs

Österreich nach der Europawahl: Wieso Haiders Heimat nicht mehr rechts wählt

In Kärnten begann Jörg Haiders Aufstieg, die FPÖ regierte. Jetzt gewinnen ausgerechnet hier Sozialdemokraten Wahlen.

Der Mann, der von sich sagt, dass er dem Land endlich den Frieden gebracht hat, tankt Kraft in der Natur. Hier, wo der Tiebelbach entspringt, der sich unten im Tal durch seinen Heimatort Himmelberg schlängelt, ein Name wie aus dem Märchen. Immer wieder kehrt der Mann zur Quelle zurück, dorthin, wo das Wasser glucksend aus dem Boden kommt, um durchzuatmen, nachzudenken oder Trinkwasser für die Familie zu holen.

Wenn er nicht in den Wald geht, sagt er, dann beschäftigt er sich mit dem mittelalterlichen Templerorden. Möge doch, bitteschön, heute jede Religion ihren Platz auf dieser Welt haben, sagt er auch. Beeindruckt habe ihn ein Treffen mit dem Dalai Lama. Am Rückspiegel seines schwarzen Pick-ups baumelt eine Gebetskette, die ihm ein Imam aus Sarajevo geschenkt hat. „Aber in meinem nächsten Leben werde ich ohnehin buddhistischer Gelbmützenmönch.“

Der Mann, der so demonstrativ im Reinen mit sich selbst durchs Oberkärntner Unterholz stampft, ist Gerhard Dörfler, einstiger Politiker der FPÖ, der Freiheitlichen Partei Österreichs, und später der Splitterpartei BZÖ. Er ist derjenige, der 2009, nach dem Tod Jörg Haiders, dessen Erbe in Kärnten antrat. Im Verfahren um die sogenannte „Broschüren-Affäre“, wonach eine Landesbroschüre als Wahlwerbung für seine Partei missbraucht worden sein soll, wurde er 2017 wegen Untreue und Vorteilsnahme verurteilt.

Elder Statesman mit Hang zur Esoterik

Er legte sein Amt als Bundesrats-Mitglied, seine letzte politische Funktion, ab und ist heute in Pension. Er hält Vorträge über die Kraft des Wassers – „Wandern am Tagliamento“ –, hilft im bosnischen Srebrenica dabei, eine Molkerei aufzubauen. Und gibt den sanftmütigen Elder Statesman mit Hang zur Esoterik. Der letzte Kärntner Regierungschef der Freiheitlichen.

Ausgerechnet in Kärnten, dem einstigen Haider-Land, einer der Keimzellen des Rechtspopulismus in Europa, vollzieht sich seit Dörflers Abwahl – sie fand nach vier Jahren Amtszeit bei vorgezogenen Neuwahlen 2013 statt – eine Entwicklung, die der auf dem halben Kontinent und darüber hinaus entgegenzustehen scheint. Kärnten wird seitdem nicht mehr von Rechtspopulisten regiert, sondern von Sozialdemokraten.

Jörg Haider stieg schnell zum Politikstar auf.
Jörg Haider stieg schnell zum Politikstar auf.

© Schlager/dpa

Ausgerechnet hier, wo in den 80er Jahren Haiders Aufstieg begann und mit ihm zum ersten Mal ein FPÖ-Politiker Landeshauptmann wurde, gaben bei den Europawahlen 30 Prozent der Wähler der SPÖ ihre Stimme, so viel wie für keine andere Partei. 2013, bei Dörflers Abwahl, waren es 37 Prozent, bei der letzten Landtagswahl vor einem Jahr 48. Hier in Kärnten, einem Land, in dem „die Sonne vom Himmel gefallen ist“, wie es Dörfler ausdrückte, als Haider 2008 bei einem Verkehrsunfall mit 1,8 Promille Alkohol im Blut in eine Kurve raste und ums Leben kam.

30 Prozent für die SPÖ

In Deutschland erleidet die SPD ein Wahldebakel nach dem anderen, während die AfD fortwährend Rekorde bricht. In Frankreich dümpelt die einst mächtige Parti Socialiste bei sechs Prozent herum und ehemalige Linkswähler laufen zum Front National – heute Rassemblement National – über. In Ungarn ist die sozialdemokratische Partei MSZP nur noch ein Schatten ihrer selbst und die Fidesz von Ministerpräsident Viktor Orban gibt den Ton an. In Polen, wo die Allianz der Demokratischen Linken 2001 noch auf 41 Prozent kam, ist keine linke Partei mehr im Parlament vertreten. Und in Kärnten holt die SPÖ am vorvergangenen Sonntag eben 30 Prozent.

Nichts weniger als die „Wende“ wird schon der SPÖ-Wahlsieg von 2013 genannt, als Dörfler und mit ihm die Freiheitlichen 28 Prozentpunkte verloren und SPÖ-Chef Peter Kaiser zum Landeshauptmann wurde.

Peter Kaiser sitzt in seinem Büro in der Kärntner Landesregierung und wirkt ebenfalls wie jemand, der mit sich im Reinen ist. Wenn er etwas besonders unterstreichen möchte, nimmt er die Brille ab. Etwas kauzig wirkt er, wenn er spricht, so anders als der flotte Haider oder der volkstümliche Dörfler, wenn er über „korrupte Elemente“, „Authentizität“ und die Bedeutung von „Pronomina“ sinniert. Zuerst sei er der „neue Landeshauptmann“ gewesen, sagt er, dann „der Landeshauptmann“, und irgendwann endlich „unser Landeshauptmann“. Die Vaterfigur, die ihm eigentlich gar nicht so liege.

Kaiser, Doktor der Soziologie, der selbst den eigenen Parteileuten lange Zeit als zu intellektuell galt – eine Rolle, mit der er heute kokettiert. „Ich bin so ziemlich das Langweiligste, was es für die Journalisten geben kann“, sagt er. „Ruhig, besonnen und respektvoll.“

Brot-und-Spiele-Politik

Ins Amt gekommen vor allem wegen des Trümmerhaufens, den Haider hinterließ. Wegen Korruptionsfällen, die die Kärntner FPÖ zerlegten und wegen des offenbar werdenden Skandals um die Landesbank Hypo Alpe Adria, die Haider zur Handkasse für seine ausschweifende Event-Politik gemacht hatte – und der das Land an den Rand des Ruins brachte. Bis heute beschäftigt die Affäre die Gerichte.

„Der biedere, technokratische Typ Kaiser stand für die Beendigung der Brot-und-Spiele-Politik unter Jörg Haider“, sagt Kathrin Stainer-Hämmerle, Professorin für Politikwissenschaften von der Fachhochschule Villach.

Abgesehen von der Bundeslandsebene ist die FPÖ in Kärnten immer noch stark – dem Land der schrulligen, aber lebenslustigen Alpenländler, den „Sizilianern Österreichs“, wie der Psychiater Erwin Ringel in seinem Buch über „Die Kärntner Seele“ befand. Bei der Nationalratswahl 2017 wurde die Partei mit 33 Prozent stärkste Kraft, bei der Bundespräsidentenwahl 2016 hätte in Kärnten nicht der grüne Alexander Van der Bellen, sondern der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer gewonnen. Hier konnte die FPÖ immer schon viele konservative Wähler ansprechen, wo doch die katholische ÖVP in vielen evangelischen Gemeinden einen schweren Stand hatte. Doch auch die SPÖ war in Kärnten immer schon groß, sie war hier von 1945 bis 1989 durchgehend an der Macht. Auch, weil sich die Partei in dem wenig industrialisierten Land schon vor den Kriegen als Fürsprecherin der Mägde und Knechte auf den Kärntner Höfen, dem ländlichen Proletariat, verstand.

Sie galt lange als die „Lieblingsfeindin“ Haiders

War das Land nur so lange im Ausnahmezustand, so lange die Ausnahmeerscheinung Haider die Politik des Landes prägte? Davon ist zumindest Antonia Gössinger überzeugt. „Haider hätte auch in einem anderen Bundesland Erfolg gehabt“, sagt Gössinger. Die Journalistin galt lange als die „Lieblingsfeindin“ Haiders, die schon früh gegen dessen teure Projekte anschrieb. Heute leitet sie die „Kleine Zeitung“, die auflagenstärkste Zeitung Kärntens. Eine moderne Redaktion mit Glaswänden, hinter ihrem Schreibtisch hängt eine Ausgabe der französischen Satirezeitung „Charlie Hebdo“.

Die Haider-Zeit beschreibt sie als ein feudales System unter einem Sonnenkönig, von dem sich alle blenden ließen. Sie spricht von Hörigkeit, Mitläufern und Unterwürfigkeit. Obwohl sie zu Haiders Lebzeiten immer wieder auf Ungereimtheiten in der Finanzierung seiner Politik hinwies, habe sich niemand mit der „Mobilisierungskraft Haiders“ anlegen wollen – nicht einmal die Kärntner Justiz. „Kaiser war einfach die richtige Antwort auf diese turbulenten Haider-Jahrzehnte“, sagt sie. „Er hat einen ruhigen Ton in die Politik gebracht.“ Und „erst mit Kaiser ist ein Politiker gekommen, der sich nicht auf Kosten der Partei profiliert hat.“

Denn dass die SPÖ so lange keine Antworten auf die Politik Haiders gefunden hatte, sei ihr auch selbst zuzuschreiben. „Damals hat die SPÖ das gemacht, was heute auf Bundesebene passiert: Sie hat sich nur selbst zerfleischt.“ Sich mehr mit Ränken und Intrigen innerhalb der Partei beschäftigt und einen Chef nach dem anderen verschlissen, als den politischen Gegner herauszufordern.

Der Haider-Kult - es gibt ihn noch

Gelähmt durch innere Machtkämpfe hat die Bundes-SPÖ es gerade erst versäumt, trotz des Platzens der Mitte-Rechts-Regierung die Gelegenheit für sich zu nutzen. Bei den Europawahlen erzielte sie österreichweit ihr historisch schlechtestes Ergebnis. Trotz Skandalvideo, in dem der FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und sein Fraktionschef Johann Gudenus auftreten und mit einer vermeintlichen Oligarchennichte über Staatsaufträge sprechen, über Parteienfinanzierung am Rechnungshof vorbei und über eine „Orbanisierung der Medien“.

Im Oktober 2008 starb Jörg Haider in seinem Dienstwagen.
Im Oktober 2008 starb Jörg Haider in seinem Dienstwagen.

© Eggenberger/Dpa

Doch bei aller Normalisierung gibt es in Kärnten heute noch den Haider-Kult. Wie die Jörg-Haider-Gedenkstätte an der Unfallstelle in Lambichl. Die Jörg-Haider-Brücke bei Bleiburg und die Treffen, bei denen Theorien zum Tod des „Landesvaters“ gesponnen werden. Aber selbst dies alles scheint nur noch eine kleine Minderheit zu interessieren.

Ein Wort ist an die Wand der großen Stube im Gasthof Bacher nahe der 60.000-Einwohner-Stadt Villach an die Wand projiziert: „Warum?“, daneben ein Haider-Foto. Haider, der sich einst auch weigerte, slowenischsprachige Ortstafeln in den zweisprachigen Gebieten im Süden des Landes aufzustellen und immer wieder gegen die Minderheit der Kärntner Slowenen hetzte.

Ein normaler Unfalltod? Sie stimmen ab

Sein Nachfolger Dörfler war es, der den seit Jahrzehnten schwelenden „Ortstafelstreit“ im Jahr 2011 schließlich begrub. Der dem Land den Frieden brachte.

Das BZÖ – das Bündnis Zukunft Österreich –, die FPÖ-Abspaltung und Dörflers zweite politische Heimat, tourt mit einer Vortragsreihe durch das Land. Rund 40 Gäste sind in den Gasthof gekommen, sie haben ihre Biergläser auf den langen Tischen mit den blendend weißen Decken und den Blumengestecken abgestellt. 90 Minuten braucht der Vortragende, um alle „Ungereimtheiten“ zu Haiders Tod aufzuzählen, vom Autodach über den Alkoholgehalt bis zum Airbag, und um „zu beweisen, dass das kein normaler Unfalltod war“. Die Holzstühle knarzen, wenn die vor allem älteren, männlichen Besucher ihre Köpfe in die Höhe recken und der Vortragende mit dem Laserpointer über die Bilder vom zerfetzten VW Phaeton streicht. Am Ende können die Gäste auf Zetteln darüber abstimmen, ob es nun ein „Selbstmord, Mord, Unfall oder Attentat“ gewesen sei.

Es sind Theorien, die sich nur noch bei Hardlinern halten, glaubt die Journalistin Gössinger. Bei den Landtagswahlen im Vorjahr kam das BZÖ auf knapp 0,4 Prozent. Der Vortragende Karlheinz Klement war nach dem Tod Haiders wegen eines antisemitischen Artikels auf seiner Webseite verurteilt worden, drei Mal wurde er aus der FPÖ ausgeschlossen. Es scheint so, als wollte sich selbst die FPÖ heute nicht mehr an der Causa Haider die Finger verbrennen. In ihrem Leitartikel zum zehnten Todestag Haiders schrieb Gössinger: „Von den politischen Stärkeverhältnissen her ist Kärnten heute ungefähr wieder dort, wo es 1989 war, als Haider mit einem großen Zugewinn die jahrzehntelange absolute Mehrheit der SPÖ gebrochen hatte.“ Fazit: „Die Ära Jörg Haider ist in Kärnten endgültig beendet.“

Dass Haiders Zögling, der Ex-Landeshauptmann Dörfler, trotz rechtmäßiger Verurteilung und seinem Wahldebakel 2013, heute so ohne Groll auf seine politische Karriere zurückblickt, gehört wohl zu den Sonderheiten der Kärntner Politik.

Es seien aber ohnehin die Niederlagen, und nicht die Siege, an denen man wachse, sagt Dörfler. Das habe er schon als junger Leistungssportler – als Läufer – gelernt. „Als Sportler gewinnst du zuerst alles und plötzlich gewinnst du nichts, und du verstehst einfach nicht, warum“, sagt er. „Das ist aber nicht nur Politik, so ist das ganze Leben.“ Alles fließt, wie der Tiebelbach hinunter ins Tal.

Simone Brunner

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