
© Jule Halsinger
25 Jahre Bürgerstiftung Berlin: „Wer sich engagiert, bekommt Wertschätzung zurück“
2023 übernahm Andrea Grebe den Vorstandsvorsitz der Bürgerstiftung. Im Interview erklärt sie, welche Rolle ihre Organisation für die Berliner Gesellschaft spielt und wie sich Interessierte einbringen können.
Stand:
Frau Grebe, wir erleben unsichere Zeiten, die Menschen suchen Orientierung, Corona hat seine Spuren hinterlassen, welche Bedeutung kommt in dieser Situation der Bürgerstiftung Berlin zu?
Für mich sind das zwei Aspekte, einmal durch die Projekte selber, die wir aufsetzen, etwa für Kinder, Jugendliche und Senior:innen und zum anderen bieten wir auch Menschen, die eine Zeitspende geben wollen, eine Möglichkeit, der Gesellschaft etwas zurückzugeben.
Wir bieten eine Struktur, in der man sich etwa wöchentlich oder alle zwei Wochen einbringt. Wir reden viel über Einsamkeit, und so ist das eine Win-win-Situation. Menschen können sich bei uns engagieren oder uns finanziell unterstützen. Wir konzentrieren uns aber weiterhin auf Kinder und Jugendliche.
Demokratie muss jeden Tag neu verteidigt werden. Wie kann die Bürgerstiftung hier sinnvoll tätig werden?
Ich fand es sehr interessant, dass schon unsere Gründer in der Satzung als Zweck auch die Förderung von Projekten zur Stärkung der freiheitlich-demokratischen Grundwerte festgelegt haben. Dass dieses Thema vor 25 Jahren sehr explizit adressiert wurde, hat mich sehr bewegt. Austausch, Zuhören, die eigene Komfortzone verlassen ist immer wichtig.
Unsere mehr als 500 Ehrenamtlichen gehen auch in Brennpunktschulen und Kitas. In einem ersten Schritt bieten wir ihnen eine Workshopreihe zum Thema Demokratie an: Was bedeutet Demokratie, wo ist sie angreifbar, wie kann man bei extremistischen Positionen reagieren? Auch Workshops zu 75 Jahren Grundgesetz gehören dazu. Jeder von uns ist in seinem privaten Umfeld von solchen Diskussionen tangiert. Einer unserer Fonds-Stifter, ein Journalist, hat für Schulen ein Projekt ins Leben gerufen, um Fake-News in sozialen Medien zu erkennen. Das soll auch Lehrkräfte unterstützen, Medienkompetenz zu vermitteln.
Welches Signal wollen Sie mit Ihrem Engagement in die Gesellschaft senden?
Engagiert Euch! Bringt Euch ein! Dieser Grundgedanke, der vor 25 Jahren aus dem angelsächsischen Raum kam – Frage nicht, was Dein Land für Dich tut, sondern was kannst Du für Dein Land tun – das ist für mich etwas, was mich abholt. Ich bin hier nicht nur die Vorsitzende der Bürgerstiftung, sondern engagiere mich auch ehrenamtlich in einem unserer Projekte wie alle 500 Kolleg:innen hier – ich gehe in ein Seniorenheim.
Wir können immer vieles beklagen, aber wer sich engagiert, bekommt auch immer etwas an Wertschätzung zurück. Man lernt immer wieder neue Blickwinkel kennen. Die Grundidee der Bürgerstiftung ist, dass sich Menschen aus der Mitte der Gesellschaft zusammentun, um etwas zu bewegen.
Wie gewinnen Sie Ehrenamtliche für Ihre Arbeit?
Das geschieht über die Medien, aber vor allem auch über unsere aktiven Ehrenamtlichen als Multiplikator:innen. Viel läuft über Mund-zu-Mund-Propaganda. Wir legen sehr viel Wert auf die Wertschätzung des Ehrenamtes. So machen wir regelmäßig kulturelle Angebote für unsere Ehrenamtlichen. Zuletzt waren wir im Bundeskanzleramt, im Futurium, auf der Pfaueninsel, da gibt es ein monatliches hochinteressantes Programm. Wir veranstalten jedes Jahr ein Sommerfest am Wannsee. Unsere jüngste Ehrenamtliche ist 20, die ältesten sind über 80 Jahre alt, einer von ihnen war zusätzlich noch Volunteer bei der Fußball-EM. Über Social Media versuchen wir, auch jüngere Leute anzusprechen.
Wie groß ist der Anteil der Jüngeren?
Ihr Anteil wächst langsam, aber sie stehen ja auch noch mitten im Leben mit Familiengründung und Beruf und haben ihre über 40-Stunden-Woche.
Was sollte man mitbringen, um sich bei Ihnen zu engagieren?
Interesse an Menschen. Man sollte sich überwinden und bei uns einfach mal anrufen oder eine E-Mail schreiben und sich beraten lassen. Ich habe das selbst so gemacht, um einmal den Prozess zu durchlaufen. Wenn man sich einbringen will, wird man hier sehr gut beraten. Wir schauen auch, ob das räumlich passt. Viele sorgen sich, ob man das schafft. Zweimal im Monat sollte man schon Zeit haben. Wir bilden auch Teams, damit man nicht allein vor Ort ist.
Können Sie ein Beispiel nennen?
In unserem Projekt „Zauberhafte Physik“ geht ein Team von Ehrenamtlichen in Grundschulen und führt interessante Experimente vor, um frühzeitig die Kinder, vor allem auch Mädchen, die Hemmschwelle vor den Naturwissenschaften zu nehmen. Das sind Menschen aus technischen Berufen oder Quereinsteiger, die mit einem Koffer mit interessanten Experimenten in die Schulen gehen.
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Wir überlegen gemeinsam mit Interessierten, was macht Ihnen Spaß, was passt zu Ihnen? Bei der Organisation unterstützen wir, damit die Ehrenamtlichen ihre Zeit für das eigentliche Engagement nutzen können. Viele haben auch noch nie ein polizeiliches Führungszeugnis beantragt, das man für die Arbeit mit Kindern braucht. Dabei helfen wir, weil wir auch eine Verantwortung gegenüber den Einrichtungen haben.
Welche Menschen fühlen sich von Ihnen angesprochen?
Das sind oftmals Menschen, die schon sozial engagiert oder interessiert sind. Wir haben eine große Diversität hinsichtlich der Biografien bei unseren Ehrenamtlichen. Die meisten sind nicht mehr aktiv beruflich tätig.
Die Coronakrise hat gezeigt, dass Einsamkeit ein großes Thema für Jung und Alt ist. Was haben Sie da auf den Weg gebracht?
Als der Lockdown gelockert wurde, haben viele uns gefragt, ob wir nicht ein Projekt zum Thema Einsamkeit machen könnten. Wir hatten schon vor Corona das Projekt „Lesebesuch“ in Seniorenheimen begonnen, wo Ehrenamtliche vorlesen und das Gespräch suchen. Das wurde im Lockdown auf null gesetzt und in den Schulen war es ähnlich. Nach Corona brauchte es wieder Zeit, alles hochzufahren. Das ehrenamtliche Engagement ist das beste Mittel gegen Einsamkeit. Man ist Teil einer Gruppe, bringt sich sinnstiftend ein und kommt mit unterschiedlichen Menschen in Kontakt.
Gab es da ein Gefühl des nun noch größeren Nachholbedarfs?
Bei den Ehrenamtlichen hat man das extrem gespürt. Deren Struktur, zu der auch ihre ehrenamtliche Arbeit gehört, ist im Lockdown teilweise weggebrochen. Als man sich wieder sicherer fühlen konnte, haben sich dann gleich die Ersten mit Masken wieder in die Schulen gestürzt.
Die Grundidee der Bürgerstiftung ist, dass sich Menschen aus der Mitte der Gesellschaft zusammentun, um etwas zu bewegen.
Andrea Grebe, Bürgerstiftung Berlin
Was bieten Sie den Senioren an?
Einsamkeit ist in den Seniorenheimen ein großes Thema. Wir bieten den Einrichtungen, wie bereits erwähnt, den „Lesebesuch“ an. Wir brauchen dafür in der Regel ein Team von vier Leuten aus dem Umkreis, um eine konstante Versorgung anzubieten. Es hängt auch viel vom Engagement der Mitarbeiter:innen in den Einrichtungen ab. Eigentlich brauchen wir da noch mehr Ehrenamtliche, weil die Pflegekräfte uns oft sagen, dass viele Heimbewohner aus verschiedenen Gründen in ihren Zimmern bleiben und nicht zu den Veranstaltungen kommen, gerade diese Personen hätten es nötig. Wer sich von dem Projekt angesprochen fühlt, kann sich gerne bei uns melden.
Wie erreichen Sie Jugendliche, die Probleme haben?
Das geht in Schulen immer über die Expert:innen vor Ort, in der Regel die Lehrkräfte, die wissen, wer Förderbedarf hat. Ein weiteres Beispiel außerhalb der Schulen ist das Projekt „Spielen lernen“, das Kindern dadurch hilft, dass Eltern lernen, sich mit ihrem Kind zu beschäftigen. Wir haben mit dem Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf eine enge Kooperation. Bei den Erstbesuchen nach der Geburt wird der Spielen-Lernen-Kurs bei der Bürgerstiftung Berlin den Eltern empfohlen.
Wie nachhaltig sind Ihre Projekte?
Viele unserer Projekte bestehen schon viele Jahre. Zu deren Finanzierung sind wir auch auf Spenden angewiesen, auf Kooperationen, auf Sponsoring oder Projektmittel anderer Stiftungen. Am nachhaltigsten werden die Projekte durch Zustiftungen gesichert.
Berlin ist keine reiche Stadt, aber dennoch feiern Sie jetzt Ihren 25. Geburtstag. Wie gelingt es Ihnen, Ihre finanzielle Basis zu erweitern?
Der Kern der Stiftung ist immer das Stiftungskapital, das zum einen erhalten bleiben muss, aber auch wachsen sollte, zum Beispiel durch Zustiftungen oder eine sogenannte Fondslösung. Rechtlich unterliegen wir der Stiftungsaufsicht. Wir müssen die Bürgerstiftung in der Öffentlichkeit noch bekannter machen.
Es gibt Menschen, die zu einem gewissen Wohlstand oder Vermögen gekommen sind, vielleicht keine Erben haben oder ihrer Stadt und den Menschen etwas zurückgeben wollen. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten, über die wir gerne beraten. Das ist oftmals ein längerer Prozess. Man kann zum Beispiel den Betrag X der Bürgerstiftung übertragen, die damit ihr Stiftungskapital erweitert oder eine bestimmte Summe in einem eigenen Stiftungsfonds bei der Bürgerstiftung anlegen.
Wie funktioniert das genau?
Das eingebrachte Kapital des Stiftungsfonds verschmilzt mit dem Grundkapital der Stiftung. Ein eigener Name kann für diesen Fonds vergeben werden, aus dem dann ganz gezielt bestimmte Projekte nach Wunsch gefördert werden. Das Ganze ist relativ unbürokratisch und einfach einzurichten. Wir helfen auch bei der Suche nach geeigneten Projekten.
Hat die Bereitschaft, Ihnen Erbschaften zukommen zu lassen, zugenommen?
Es braucht einen langen Atem. Wir sind vor 25 Jahren mit einem Stammkapital von 300.000 DM gegründet worden. Über die letzten 25 Jahre hat es schon einen deutlichen Zuwachs beispielsweise durch Zustiftungen gegeben, es bleibt ein langfristiger Prozess.
Wir haben eine große Diversität der Biografien bei unseren Ehrenamtlichen.
Andrea Grebe, Bürgerstiftung Berlin
Ist Crowdfunding für Sie ein Thema?
Ja, das diskutieren wir auch und haben diese Art von Spendenkampagne vor einigen Jahren auch schon einmal ausprobiert. Um solch eine Kampagne erfolgreich nochmal zu starten, konzentrieren wir uns zunächst auf die Bekanntmachung der Bürgerstiftung Berlin.
Sie arbeiten auch direkt mit Unternehmen zusammen. Wie funktioniert das?
Wir arbeiten zum Beispiel mit audible zusammen. Ab einer bestimmten Unternehmensgröße ist soziales Engagement mittlerweile zwar verpflichtend, aber es gibt auch Unternehmen, die das soziale Engagement auch ohne Pflicht in ihrer DNA haben. Audible räumt seinen Mitarbeitenden ein Arbeitszeitkontingent für ehrenamtliches Engagement ein.
Es gibt eine feste Kooperation mit einer Berliner Schule und die Mitarbeitenden können mit Unterstützung der Bürgerstiftung Berlin eigene Projekte umsetzen oder sich in bestehenden Projekten engagieren. Ein anderes Beispiel ist das Fertility Center, das schon vor fünfzehn Jahren das bereits erwähnte Projekt „Spielen lernen“ mit initiiert hat, das damals gemeinsam erarbeitet wurde.
Man kann sich vorstellen, dass Unternehmen sich gerne mit der Zusammenarbeit mit der Bürgerstiftung schmücken. Nach welchen Kriterien überprüfen Sie deren Anliegen?
Alle Anfragen, auch die von Einzelpersonen, werden von uns überprüft. Wir führen Kennenlerngespräche, das ist ein Prozess. Wir schauen, ob das Unternehmen zu uns und unseren Zielen passt.
Frau Grebe, wo sehen Sie die Bürgerstiftung in 25 Jahren?
Es wird die Bürgerstiftung weiterhin geben, auch unser Stiftungskapital wird wachsen. Die Projekte und Themen werden uns nicht ausgehen, der Fokus wird sich vielleicht ändern, wir werden uns viel mehr mit der digitalen Umwelt auseinandersetzen, auch der Umgang mit Social Media wird wichtiger werden.
Was wünschen Sie sich zum 25. Geburtstag?
Mehr einander zuhören, weniger Polarisierung, weniger Schwarz-Weiß. Das Leben ist bunt, keiner von uns kann allein leben, melden Sie sich bei uns, es macht Spaß, für beide Seiten.
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