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Wächst auch in Deutschland: Bauern lesen sich bereits ein, wie der Anbau von Cannabis funktioniert.

© Abir Sultan Israel Out/picture alliance / dpa

Bauernpräsident Rukwied im Interview: „Cannabis ist eine hippe Kultur“

Die deutschen Bauern bereiten sich auf die Legalisierung von Cannabis vor. Sie könnten dann schnell liefern, sagt ihr Präsident Joachim Rukwied.

Auf die Bauern kommen große Veränderungen zu. Die Regierung plant eine Agrarwende: Die Landwirtschaft soll umwelt- und tierfreundlicher werden. Zugleich schwören immer mehr Menschen dem Fleisch ab. Wie stellen sich die Landwirte darauf ein? Fragen an Joachim Rukwied (60), den Präsidenten des Deutschen Bauernverbands.

Herr Rukwied, Agrarminister Cem Özdemir nennt die niedrigen Lebensmittelpreise eine Sauerei. Wer ist denn schuld an der Sauerei?
Der Anteil, den landwirtschaftliche Produkte wie Getreide, Fleisch oder Milch am Preis eines Lebensmittels haben, geht ständig zurück. Beim Brot sind es gerade einmal vier Prozent, beim Schweinefleisch 21 Prozent, und bei der Milch sind es 35 Prozent.

Woran liegt das?
Das liegt an der zunehmenden Konzentration in der Wertschöpfungskette, die nach dem Hof kommt: in der Lebensmittelproduktion, Fleischverarbeitung und im Lebensmittelhandel. Außerdem stehen die Bauern auf den Agrarmärkten in ständiger Konkurrenz mit Anbietern aus dem Ausland. Auch das drückt die Preise.

Bauernpräsident Joachim Rukwied ist selbst Landwirt.
Bauernpräsident Joachim Rukwied ist selbst Landwirt.

© Gero Breloer/DBV

Aber tragen die Bauern nicht auch Verantwortung? Um niedrige Preise auf dem Weltmarkt anbieten zu können, arbeiten Betriebe wie Industrieunternehmen mit Schweineställen für 20.000 und mehr Tiere. Muss das nicht ein Ende haben?
Die deutschen Landwirte arbeiten vor allem für den heimischen Markt. 75 Prozent setzen wir in Deutschland ab, 20 Prozent in Europa, die restlichen fünf Prozent gehen auf den Weltmarkt. Das brauchen wir auch, um etwa beim Schwein auch Innereien, Öhrchen und Pfötchen verwerten zu können, die hier keiner will.

Gehören Großställe dazu?
Die meisten Höfe sind Familienbetriebe. Anlagen mit 20.000 und mehr Tieren sind Ausnahmeerscheinungen. In Deutschland steht inzwischen jedes vierte Mastschwein in einem Stall der Initiative Tierwohl, hat also Beschäftigungsangebote und mehr Platz als gesetzlich vorgeschrieben. Mehr Tierwohl ist möglich. Es muss allerdings finanziert werden.

Wie soll das gehen?
Wir brauchen einen Finanztopf für den Umbau der Ställe. Die Borchert-Kommission, die im Auftrag des Bundeslandwirtschaftsministeriums Reformvorschläge für den Umbau der Nutztierhaltung gemacht hat, geht von einem jährlichen Bedarf von vier Milliarden Euro aus. Und wir brauchen höhere Preise im Markt.

Preisfrage: Die Bauern verhandeln in der Regel nicht selbst mit den Lebensmittelhändlern.
Preisfrage: Die Bauern verhandeln in der Regel nicht selbst mit den Lebensmittelhändlern.

© dpa/Sven Hoppe

Nun verhandelt der kleine Bauer aber in aller Regel nicht mit Aldi oder Edeka. Wie kann man sicherstellen, dass höhere Ladenpreise bei den Landwirten ankommen?
Ja, das muss sichergestellt werden. Regionale Standards und höhere Qualität müssen belohnt werden, das gilt für die gesamte Wertschöpfungskette. An Konzepten, wie das gehen soll, arbeiten Bauern, Verarbeiter und Händler derzeit gemeinsam in der Zentrale Koordination Handel Landwirtschaft.

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Weniger Tiere, weniger Pestizide, weniger Dünger: Ist das die Landwirtschaft der Zukunft?
Die Tierhaltung in Deutschland ist schon seit Jahren rückläufig, dieser Trend verstärkt sich jetzt. 4,4 Prozent der Rinder- und Milchviehhalter haben im letzten Jahr aufgegeben, das ist kein Strukturwandel mehr, das ist schon ein Strukturbruch. Bei den Schweinehaltern ist die Lage noch dramatischer: Hier haben 7,8 Prozent der Betriebe Schluss gemacht.

Die Tierhalter sind bereit, mehr für das Tierwohl zu tun. Die Verbraucher müssen das aber auch honorieren. Damit das gehen kann, brauchen wir eine verpflichtende Herkunfts- und Haltungskennzeichnung. Es ist gut, dass Agrarminister Özdemir das unterstützt. Die Frage ist noch, wie man mit Importware umgeht. Es wäre fatal, wenn deutsche Ware liegen bleiben würde und billige Importware im Regal steht.

Wenn das Tierwohlkennzeichen verpflichtend wird, müssen wegen des europäischen Binnenmarkts auch EU-Anbieter mitmachen können. Aber wie kontrolliert man polnische Geflügel- oder dänische Schweinehalter?
Das wird eine Herausforderung, aber ich denke, das kann man organisieren.

Wie teuer wird die Wurst oder der Liter Milch im Laden, wenn das Tierwohllabel da ist?
Das kann man nicht sagen. In den Preis fließt ja vieles ein, Lohnkosten, Energie und einiges mehr. Aber wenn Sie nur auf den Anteil der Landwirtschaft schauen, so ist der ja gering. Derzeit besteht der Schweinepreis ja zu 79 Prozent der Kosten aus Faktoren, die mit der Mast nichts zu tun haben. Ich bin daher sicher, dass es keine Preisexplosion geben wird, sondern nur moderate Erhöhungen.

Zu wenig Platz: Neue Ställe müssen her. Aber wie können die Bauern sicher sein, dass die nicht auch schnell wieder veraltet sind?
Zu wenig Platz: Neue Ställe müssen her. Aber wie können die Bauern sicher sein, dass die nicht auch schnell wieder veraltet sind?

© dpa/pa

Wie können Landwirte sicher sein, dass der Stall, den sie jetzt artgerecht bauen, in zehn Jahren nicht als Tierknast gilt?
Die Landwirte brauchen eine vertragliche Absicherung. Zehn Jahre sind zu kurz. Ein neuer Stall braucht mindestens 20 Jahre, damit sich die Investitionen amortisieren. Wir brauchen eine entsprechend langlaufende Garantie vom Gesetzgeber und entsprechende Verträge mit dem Lebensmitteleinzelhandel und anderen Abnehmern, die zusichern, dass diese Haltungsformen mit Zuschlägen unterstützt werden. Das ist eine Herkulesaufgabe.

Wie viele Betriebe werden den Aufbruch in die neue Zeit nicht überleben?
Die wirtschaftliche Situation der Landwirte ist angespannt, die Einkommen gehen zurück. Im letzten Wirtschaftsjahr sind sie bei den Schweinehaltern förmlich eingebrochen. Die Lage dort ist desaströs. Viele haben nur dank der Coronahilfen des Staats überlebt. Wenn die neue Förderperiode der EU-Agrarförderung in Kraft tritt, sinken die Direktzahlungen an die Bauern um 100 Euro pro Hektar. Der jetzt angebotene Ausgleich über Umweltleistungen kann das bei weitem nicht auffangen. Hinzu kommen verstärkte Anforderungen an Klima- und Tierschutz. Und: 48 Prozent der Betriebsleiter sind 55 Jahre oder älter. Das führt dazu, dass sich der Strukturwandel verschärft.

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Vielleicht ist es nicht schlecht, wenn mehr Junge übernehmen.
In jedem Wandel liegt eine Chance. Das ist übrigens auch bei den Ernährungstrends nicht anders. Nehmen Sie mal die vegetarische oder vegane Ernährung. Das bietet den deutschen Landwirten Chancen.

Das heißt: Landwirte bauen hierzulande künftig Erbsen für Burger-Patties an statt Schweine für Buletten zu mästen?
Es gibt nicht wenige Betriebe, die sich bereits mit dem Anbau von Erbsen oder Soja für Veggie-Burger beschäftigen oder die Kichererbsen anbauen. Wir brauchen Züchtungen, die unserem Klima angepasst sind. Ich bin sicher, dass der Markt kontinuierlich wächst.

Veggie-Burger: Vom Trend zum veganen und vegetarischen Essen wollen sich die Landwirte eine Scheibe abschneiden.
Veggie-Burger: Vom Trend zum veganen und vegetarischen Essen wollen sich die Landwirte eine Scheibe abschneiden.

© dpa/Jens Kalaene

Kichererbsen wachsen in Deutschland?
Ja, es gibt Betriebe in Brandenburg, die Kichererbsen anbauen, und auch woanders in Deutschland, etwa in Baden-Württemberg.

Was ist mit Soja?
Soja wird in Deutschland angebaut, aber das geht bisher als gentechnikfrei erzeugtes Soja ins Tierfutter. Aber auch da sehe ich Chancen. Es gibt allerdings noch mehr, etwa die Linsen von der Schwäbischen Alp, das boomt. Oder Öllein, um Öle herzustellen. Solche Chancen werden unsere Landwirte nutzen. Die Jungen sind da vielleicht noch aufgeschlossener.

Eine Pflanze, die auch in Deutschland wächst und gern auch mal von Balkongärtnern angebaut wird, ist Cannabis. Das soll ja demnächst legalisiert werden. Wie spannend ist das für die deutschen Bauern?

Das ist eine hippe Kultur. Unsere Landwirte sind da durchaus offen und denken darüber nach einzusteigen. Einige lesen sich bereits ein, was beim Anbau zu beachten ist.

Würden Sie das auf Ihrem Hof anbauen?
Wir sind für alles offen, was legal ist.

Allerdings muss man die Felder gut bewachen, oder?
Ach, auch Mais, Kohl und Obst werden schon mal abgeerntet. Das ist gar nicht so selten.

Wie schnell könnten die Bauern Cannabis liefern?
Wir brauchen ja erst mal die gesetzliche Legitimation. Ich gehe davon aus, dass es hohe Auflagen geben wird. Aber wenn das geklärt ist, kann es schnell gehen. Wenn die Bauern den Samen haben, können sie loslegen. Wir Landwirte sind innovativ, wir bekommen das sofort umgesetzt.

Dünger ist teuer: Kommt jetzt weniger aufs Feld?
Dünger ist teuer: Kommt jetzt weniger aufs Feld?

© dpa/Philipp Schulze

Dünger ist sehr teuer geworden. Werden die Bauern jetzt zu Ökos, weil sie sich den Dünger nicht mehr leisten können?
Nach der Reform der Düngeverordnung sind wir auf einem guten Weg. In einigen Gebieten ist der Nitratgehalt im Grundwasser zwar noch zu hoch, das muss sich ändern, aber im Großen und Ganzen düngen wir nur so viel wie nötig. Wir laufen jetzt allerdings Gefahr, dass die Pflanzen zu wenig Nahrung bekommen. Das mindert Qualität und Ertrag. Die Preise für Dünger sind explodiert. Was im Spätherbst 2020 noch 175 Euro pro Tonne gekostet hat, kostet jetzt über 600 Euro – wenn Sie überhaupt Ware bekommen.

Es gibt viele junge Frauen, die Landwirtschaft betreiben. Nur Ihr Verband ist ein Männerverein.
Das wollen wir jetzt ändern. Wir haben bereits eine Satzungsänderung auf den Weg gebracht, die wir der nächsten Mitgliederversammlung im Juni 2022 vorlegen werden. Dann werden wir im Herbst eine Vizepräsidentin bekommen und bauen einen Fachausschuss, ein Netzwerk für Unternehmerinnen. Das liegt mir sehr am Herzen.

Wie lange sind Sie noch Präsident?
Ich bin bis 2024 gewählt.

Und danach kommt eine Frau?
Warum nicht? Der europäische Bauernverband hat ja schon eine weibliche Führung.

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