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"Die Blockchain-Technologie ist eine große Chance für Banken", sagt ING-Chef Ralph Hamers.

© Mike Wolff

ING-Chef Ralph Hamers: „Aus einem Filialbanker wird kein Datenprofi“

Das Bankgeschäft wird digitaler. Da braucht man weniger Filialen und Mitarbeiter. ING-Chef Ralph Hamers über die Folgen und seine Pläne für Berlin.

Von Carla Neuhaus

Herr Hamers, Sie planen derzeit ein Digital-Lab in Berlin. Warum?

Dahinter steht eine größere Strategie. Wir sind bei ING überzeugt, dass die Zukunft des Bankgeschäfts digital ist. Das heißt, dass wir unsere Kunden künftig noch viel stärker als heute auf Plattformen im Netz treffen werden: bei Amazon, Facebook oder Zalando – oder auf einer unserer eigenen Plattformen. Und genau die wollen wir schaffen. Die ING-Labs sollen uns dabei helfen. Neben Berlin bauen wir dafür Teams in Amsterdam, London, New York und Singapur auf.

Was haben Sie konkret in Berlin vor?

Wir bauen in Berlin aktuell ein ING Lab auf mit zwei Teams: eins zum Thema Shopping und eins rund ums Wohnen. Wir fangen mit einer Gruppe von fünf Leuten an, das wird im Laufe der Zeit dann erweitert auf 20 bis 30 Kollegen. Das können Banker, Branchenexperten oder Gründer sein.

Warum diese beiden Themen?

Als Bank stehen wir für den Verbraucher oft nicht an erster Stelle. Vordergründig will der Kunde im Internet einkaufen oder eine eigene Immobilie erwerben. Der Bezahlvorgang oder der Immobilienkredit kommt erst an zweiter Stelle. Dadurch kommt der Kunde erst spät auf uns zu, nämlich dann, wenn er zum Beispiel den Kredit beantragt. Das wollen wir ändern. So ist es für uns etwa sehr wertvoll früh zu sehen, für was für eine Art von Immobilie sich der Kunde interessiert. Denn dann können wir ihm schneller einen maßgeschneiderten Immobilienkredit anbieten. Deshalb kann es für uns zum Beispiel Sinn machen, in einen Immobilienvermittler zu investieren, wie wir es in den Niederlanden bereits getan haben.

Und beim Shopping? Wollen Sie jetzt Amazon Konkurrenz machen und zum Internethändler werden?

Nein. Wir denken zum Beispiel eher in Richtung von Loyalitätsprogrammen: In den Niederlanden können unsere Kunden schon jetzt mit jedem Einkauf Punkte sammeln. Wie viele Punkte sie dabei erhalten, hängt nicht nur davon ab, wie viel sie einkaufen sondern auch davon, wie viel Geld sie bei uns angelegt haben.

Warum machen Sie das Lab in Berlin auf?

Berlin hat dafür einfach das richtige Ökosystem, die Stadt zieht Gründer und Talente an. Gleichzeitig gibt es hier eine wachsende Szene für Finanz-Start-ups. Das wollen wir für uns nutzen. Dazu kommt, dass ING in Deutschland bereits stark präsent ist - wir haben hier neun Millionen Kunden. Damit sind wir Teil der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft.

Gleichzeitig bauen Sie in Amsterdam einen ganzen Campus auf. Warum?

Wir wollen uns weiter öffnen. Auf dem Campus sollen sich neben unserem Hauptsitz Universitäten, Unternehmen und Start-ups ansiedeln. Dadurch wollen wir unser eigenes Ökosystem schaffen, das Talente anzieht. Wer auf dem Campus studiert, könnte später bei uns arbeiten, bevor er sein eigenes Start-up gründet.

Siemens hat in Berlin Ähnliches vor. Woher kommt dieser Drang, gleich ein ganzes Stadtviertel entwickeln zu wollen?

Wie erfolgreich das sein kann, hat man im Silicon Valley gesehen. Dort konzentrieren sich die Innovationen. Wir wollen uns mit unserem Campus deshalb bewusst für Unternehmen aus anderen Branchen öffnen. Nur wenn wir uns gegenseitig austauschen, unser Wissen über Industrien hinweg teilen, können wir innovativer werden.

Reagieren Sie damit auch auf Amazon, Apple und Google, die ihrerseits Bankdienstleistungen anbieten?

Ja, Amazon und Co. werden zunehmend zu Konkurrenten, indem sie Bankdienstleistungen anbieten. Amazon hat schließlich bereits eine Banklizenz und vergibt Kredite an Kunden. Alibaba betreibt den größten Geldmarktfonds der Welt. Als Bank müssen wir darauf reagieren, indem wir selbst auf den Plattformen präsent sind oder unsere eigenen gründen.

Während Sie in Deutschland bereits mit der ING Diba eine reine Onlinebank betreiben, haben Sie in den Niederlanden noch viele Zweigstellen. Wozu?

Bankfilialen werden immer eine Berechtigung haben, auch im Zeitalter des Smartphones. Ich glaube, dass ein Großteil unserer Kunden sich weiterhin beraten lassen will, wenn sie zum Beispiel einen Immobilienkredit aufnehmen wollen. Das gleiche gilt für einen Mittelständler, der vor einer großen Investition steht. Was aber in der Bank immer seltener werden wird, sind klassische Transaktionen wie das Ein- oder Auszahlen von Bargeld.

Das heißt aber, dass wir sehr viel weniger Bankfilialen brauchen.

Das ist so. Schauen Sie sich unseren Konzern an. Bei ING haben wir 38 Millionen Kunden. Zwanzig Prozent von ihnen kommunizieren schon heute mit uns ausschließlich über das Smartphone oder das Tablet. Das sind acht Millionen Kunden, die noch nie in einer Filiale waren und auch noch nie im Callcenter angerufen haben.

Was bedeutet das für die Mitarbeiter?

Das ist natürlich ein großer Einschnitt. Wenn Sie die Zahl der Filialen reduzieren, heißt das, dass Mitarbeiter sich verändern müssen. Manche Angestellte kann man sicherlich umschulen, aber das wird längst nicht in allen Fällen funktionieren. Aus einem Filialmitarbeiter werden Sie so schnell keinen Datenexperten machen.

Wie viele Banker werden durch die Digitalisierung ihren Job verlieren?

Eine seriöse Vorhersage gibt es nicht. Allerdings hat sich die Zahl unserer Mitarbeiter bei unserer Filialbank in den Niederlanden in den letzten zehn Jahren bereits halbiert. In Belgien sehen wir eine ähnliche Entwicklung: Dort sind wir dabei das Geschäft zu reorganisieren und haben in 2016 schon angekündigt, dass sich in fünf Jahren rund 40 Prozent der Belegschaft beruflich verändern muss. Deutschland ist davon sehr viel weniger stark betroffen, weil unser Geschäft hier bereits digital ist.

Was bedeutet der digitale Wandel für die Kunden? Werden auch Einträge bei Twitter und Facebook künftig über unserer Kreditwürdigkeit entscheiden?

Das hängt von der Bereitschaft der Kunden ab, Daten mit uns zu teilen. Wir werden Twitter und Facebook nur dann nutzen, wenn die Kunden uns das erlauben. Da haben wir als Bank eine große Verantwortung. Wenn die Kunden zustimmen, können wir aber natürlich auch diese Daten nutzen, um ihre Kreditwürdigkeit besser einzuschätzen. In Italien und Spanien nutzen wir im Firmenkundenbereich zum Beispiel bereits Kontodaten auch anderer Banken, um Kredite zu vergeben.

Heißt das, man hat die Wahl, ob man die Bank den eigenen Twitter- oder Facebook-Kanal beobachten lässt, oder ob man schlechtere Konditionen bekommt?

Auch in der Vergangenheit hat die Bank keinem Kunden blind einen Kredit gewährt. Wir sind dabei auf Daten der Kunden angewiesen. Die entscheidende Frage ist, ob es Daten über die Kunden im Netz gibt, so dass Sie ihnen schneller und günstiger einen Kredit anbieten kann. Ob es tatsächlich Sinn macht, für die Kreditwürdigkeit Twitter oder Facebook zu scannen, werden wir erst sehen, wenn wir damit ausreichend in einer Testphase Erfahrungen damit gesammelt haben.

Wie wird Künstliche Intelligenz das Bankgeschäft verändern?

Da ist viel möglich. Das fängt schon bei der Kommunikation mit dem Kunden an. Chatbots, die Anfragen automatisch beantworten, werden durchs Maschinenlernen immer besser. Auch kann Künstliche Intelligenz uns helfen, Kunden direkt an den Mitarbeiter im Callcenter zu vermitteln, der ihm am besten weiterhelfen kann. Im Backoffice hoffen wir, dass Künstliche Intelligenz uns in Zukunft helfen wird, Betrug zu verhindern.

Ihr Konzern war zuletzt in einen Geldwäsche-Skandal verwickelt. Wie konnte es dazu kommen?

Die Ermittlungen haben gezeigt, dass wir nicht genug getan haben, um Finanzkriminalität zu verhindern. Zum Beispiel haben wir auf Warnsignale, die auf auffällige Transaktionen hinweisen, nicht ausreichend reagiert. Wir haben Fehler gemacht und die Strafe dafür bezahlt.

Was tun Sie, um das künftig zu vermeiden?

Wir haben bereits vor 18 Monaten ein Programm aufgelegt, um unsere Kunden besser zu überprüfen. Wir haben unsere Datenbank in Ordnung gebracht und gleichzeitig die Prozesse verbessert, wie wir Transaktionen besser überwachen können. Außerdem schulen wir unsere Mitarbeiter und versuchen die Denkweise zu verändern. In der Vergangenheit haben wir Banker uns stark auf Kreditrisiken und Marktrisiken konzentriert. Dabei sind die nicht-finanziellen Risiken wie Betrug oder Cyberkriminalität heute mindestens ebenso wichtig. Das muss stärker Teil der DNA der Banker sein.

Kann neue Technologie wie Blockchain dabei helfen, Geldwäsche zu verhindern?

Ich glaube, dass diese neue Technologie eine große Chance für Banken ist. Sie kann uns helfen, Transaktionen schneller, günstiger und sicherer zu machen. Daten, die einmal in der Blockchain eingetragen sind, können nachträglich nicht verändert werden. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob wir Betrug dadurch komplett verhindern können, es wird für Betrüger aber sicherlich sehr viel schwieriger.

Was ist mit Bitcoins? Wollen Sie in den Handel mit Digitalwährungen einsteigen?

Nein, das planen wir nicht. Ich kann auch nicht verstehen, warum das überhaupt eine Währung sein soll. Währungen dienen schließlich dazu, Transaktionen zu tätigen. Damit das funktioniert, müssen wir der Währung vertrauen. Deshalb werden Währungen reguliert und es ist klar, wie sich ihr Wert bestimmt. Beides ist bei Bitcoins nicht der Fall. Deshalb lassen wir die Finger davon.

Ein anderes Risiko für Banken ist der Brexit. Worauf stellen Sie sich ein?

Der Brexit ist ein sehr politischer Prozess, deshalb wissen wir nicht, was am Ende dabei herauskommen wird. Wir haben uns vorsorglich bereits auf einen No-Deal-Brexit vorbereitet. Zum Beispiel haben wir bereits bei der Bank of England eine Banklizenz beantragt, um auch nach dem Brexit in jedem Fall weiterhin in London tätig sein zu können.

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