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Eine Maschine Lufthansa fliegt über einem Haus im Berliner Stadtteil Reinickendorf zum Landeanflug auf den Flughafen Tegel.

© Robert Michael/ddp

Studie der Berliner Charité: Fluglärm schadet der Gesundheit, aber....

Forscher der Charité haben Erkenntnisse zum Zusammenhang von Fluglärm und Gesundheit zusammengetragen. Fazit: Lärm kann krank machen. Flieger lassen sich aber nicht für alles Übel verantwortlich machen.

Fluglärm ist ein besonderes Phänomen: Obwohl davon weniger Bürger betroffen sind als von anderen Formen des Verkehrslärms sind die Proteste dagegen lauter als gegen Bahntrassen und Autobahnen, von denen die 20-fache Zahl an Bürgern mit vergleichbaren Pegeln belegt wird. Zehn Jahre nach dem Inkrafttreten wird derzeit die aktuelle Fassung des Fluglärmschutzgesetzes von allen Beteiligten neu bewertet. Zum 20. internationalen „Tag gegen Lärm“ werden am Mittwoch die Ergebnisse der Evaluierung aktueller Forschungsergebnisse durch eine Expertengruppe an der Berliner Charité vorgestellt.

Der Flugverkehr nimmt weltweit zu

Der Luftverkehr erlebt gewaltige Zuwachsraten. Weltweit ist das jährliche Passagieraufkommen in den vergangenen zehn Jahren um 1,4 Milliarden Reisende gestiegen. Für 2016 hat die Zivilluftfahrtorganisation der Vereinten Nationen (ICAO) einen Rekordwert von 3,7 Milliarden Flugreisenden ermittelt. In Deutschland hat sich die Zahl der Passagiere binnen 20 Jahren auf 224 Millionen verdoppelt. Die Zahl der Flugbewegungen an den deutschen Verkehrsflughäfen hat sich im gleichen Zeitraum nur um knapp 25 Prozent auf 2,28 Millionen Starts und Landungen erhöht. In den vergangenen zehn Jahren stagnierte der Wert sogar. Das liegt am Einsatz größerer Flugzeuge und der höheren Auslastung der Maschinen.

Aufgrund des technologischen Fortschritts bei Triebwerken und Aerodynamik sowie neuer Anflugverfahren werden die Flugzeuge immer leiser. So liegt der Geräuschpegel der jüngsten Modelle Airbus A350 und Boeing 787 rund 25 Dezibel (dB) unter dem der ersten Düsenmaschinen des Ende der 1950-er Jahre einsetzenden Jet-Zeitalters. Das entspricht einer Reduzierung um 80 Prozent. Und die Hersteller der weltweit am häufigsten betriebenen Flugzeugfamilien Airbus A320 und Boeing 737 bringen gerade eine neue Generation auf den Markt, deren sogenannter Lärmteppich gegenüber den jüngsten Modellen noch einmal um bis zu 50 Prozent kleiner ist.

Zum Vergleich: Ein Airbus A319 in 300 Metern Höhe ist genauso laut (80 dB) wie ein ICE oder ein Bus aus jeweils 25 Metern Entfernung. In 1000 Metern Höhe entspricht der Lärmpegel (70 dB) einem Pkw in 25 Metern Entfernung und bei einer Flughöhe von 2000 Metern mit 60 dB nur noch einem normalen Gespräch in einem Meter Entfernung.

Sieben Fachleute der Charité haben Daten zusammengetragen

Ein Team aus sieben Experten der Fachgebiete Medizin, Psychologie, Epidemiologie, Statistik und Ökonomie hat jetzt im Auftrag des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) den aktuellen Forschungsstand zur Wirkung des Fluglärms auf den Menschen evaluiert. Koordiniert wurde das Projekt durch Professor Thomas Penzel vom Interdisziplinären Schlafmedizinischen Zentrum der Berliner Charité. Während einige bekannte Fakten bestätigt wurden, kamen die Fachleute zu keinen wesentlich neuen Erkenntnissen.

Laut der Studie, die dem Tagesspiegel vorliegt, kann Verkehrslärm eine Belastung für das Herz-Kreislauf-System darstellen und Fluglärm die Schlafqualität beeinträchtigen. Die Ausschüttung von Stresshormonen wurde insbesondere bei intensiver Belästigung beispielsweise durch militärischen Tieffluglärm nachgewiesen. Belastbare Untersuchungen zu gesundheitlichen Auswirkungen auf Kinder während der Schwangerschaft sowie kurz nach der Geburt liegen ebenso wenig vor wie zum Einfluss des Fluglärms auf Krebserkrankungen.

Mit Transparenten und Plakaten protestieren Demonstranten nahe dem Flughafen Berlin-Brandenburg (BER) gegen den Fluglärm (Archivbild von 2014). Eine der Forderungen war laut Bürgerinitiative Stahnsdorf ein Nachtflugverbot zwischen 22 und 6 Uhr.
Mit Transparenten und Plakaten protestieren Demonstranten nahe dem Flughafen Berlin-Brandenburg (BER) gegen den Fluglärm (Archivbild von 2014). Eine der Forderungen war laut Bürgerinitiative Stahnsdorf ein Nachtflugverbot zwischen 22 und 6 Uhr.

© Soeren Stache dpa/lbn

Gleichwohl bestätigten die Forscher Hinweise darauf, dass das Ausmaß von Hyperaktivität bei Kindern mit der Höhe der Fluglärmbelastung zunimmt. Auch einen messbaren, aber vergleichsweise geringen Einfluss auf die Leselernfähigkeit von Kindern hat das Charité-Team festgestellt. Andere Einflüsse wie die jeweiligen Deutschkenntnisse oder die Anzahl von Kinderbüchern im Haushalt hätten hier aber einen größeren Einfluss.

Mancher "hört" sogar lautlose Segelflieger

Interessanterweise gaben Befragte in jüngeren Studien bei unveränderten mittleren Fluglärmpegeln eine höhere Belästigungsempfindung an als früher. Darin sehen die Gutachter Hinweise auf eine zunehmende Bedeutung nicht-akustischer Faktoren. Dazu zählen dem Bericht zufolge das Vertrauen gegenüber den Aussagen von Autoritäten wie Politikern ebenso wie die generelle Einstellung zum Luftverkehr. Ein Phänomen, das man auch an Sportflugplätzen im Berliner Umland kennt, wo sich Anwohner immer wieder einmal über den vermeintlichen „Lärm“ eines (lautlos) über ihnen kreisenden Segelflugzeugs beschweren.

Mögliche Auswirkungen verschiedener Geräuschpegel auf die Gesundheit.
Mögliche Auswirkungen verschiedener Geräuschpegel auf die Gesundheit.

© dpa, Fabian Bartel

So wird über den Fluglärm in der Öffentlichkeit wesentlich intensiver diskutiert als über die Lärmbelästigung durch andere Verkehrsträger. Dabei sind die sehr schnell steigenden und sinkenden Flugzeuge nur im unmittelbaren Flughafenumfeld eine Lärmquelle, während Kraftfahrzeuge und Eisenbahnen jeweils auf der gesamten Fahrstrecke eine kontinuierliche Lärmbelästigung verursachen. Und ein in 25 Metern mit 100 Stundenkilometern vorbeisausender Güterzug ist genauso laut wie eine Boeing 747-400 in 300 Metern Flughöhe. So sind laut Umweltbundesamt in Deutschland „nur“ 791 000 Bürger vom Fluglärm, aber 6,18 Millionen Bürger vom Bahn- und 10,2 Millionen vom Straßenverkehrslärm betroffen.

Die aktuelle Version des Fluglärmschutzgesetzes sieht zwei Tagschutzzonen und eine Nachtschutzzone mit bestimmten Grenzwerten vor, bei deren Überschreitung die Anwohner Anspruch auf Schutzmaßnahmen wie den Einbau von Lärmschutzfenstern haben. Für die Erweiterung und den Neubau von Flughäfen gelten niedrigere Grenzwerte als für bestehende Airports.

Weil die Zuständigkeit gleichzeitig vom Bund an die Länder verlagert wurde und die letzte der drei detailgebenden Verordnungen erst 2013 verabschiedet wurde, ist die Umsetzung des Gesetzes bis heute nicht in allen Bundesländern abgeschlossen. Schon deshalb sollten Änderungen gründlich abgewogen werden, um die Umsetzung nicht weiter zu komplizieren, heißt es in einem gemeinsamen Papier des BDL und des Flughafenverbandes ADV.

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