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Pisa-Studie für Erwachsene: Deutschlands ältere Jahrgänge sind gut gebildet
Jeder fünfte Erwachsene ist nicht klüger als es ein Zehnjähriger sein sollte, zeigt die Bildungsstudie PIAAC. Aufhorchen lassen im internationalen Vergleich vor allem die Alten.
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Wer in Deutschland kurz vor der Rente steht, bei dem ist die Schulzeit naturgemäß schon ein paar Jahre her. Verstecken müssen sich die Alten vor den Jungen aber nicht. Nicht nur, weil sie über mehr Lebenserfahrung verfügen als die Jungen, sondern auch, weil das Grundwissen bei ihnen immer noch sitzt. Das geht aus der heute veröffentlichten PIAAC-Studie hervor, in der die Fähigkeiten von Erwachsenen im Lesen, Rechnen und Problemlösen getestet wurden.
PIAAC ist gewissermaßen das Pendant zur PISA-Studie. Nur werden eben keine 15-jährigen Schüler, sondern Berufstätige im Alter von 16 bis 65 Jahren von der OECD auf ihr Können geprüft. Weltweit nahmen 160.000 Menschen in 31 Ländern teil, knapp 5000 davon in Deutschland.
Das Ergebnis: Deutsche Erwachsene sind in allen drei abgefragten Kompetenzbereichen etwas besser gebildet als der OECD-Durchschnitt. Im Mittel erreichen sie zwischen 261 und 273 Punkten. Zum Vergleich: Angeführt wird die Rangliste der Länder in allen Bereichen von Finnland, das etwa beim Lesen knapp 300 Punkte einheimst. Schlusslicht Chile kommt in dieser Hinsicht auf 218 Punkte.
Kluft zwischen den Generationen
Auffällig ist, dass die Kluft zwischen den Generationen in den teilnehmenden Ländern sehr unterschiedlich ausfällt. In Deutschland ist sie relativ gering. Am besten schneiden die 16- bis 34-Jährigen ab. Sie sind aber maximal 24 Punkte besser als die 55- bis 65-Jährigen.
In anderen Ländern klafft zwischen Alt und Jung eine viel größere Lücke. Am größten ist sie in Singapur und Chile – Ländern, die sich erst spät modernisierten. Aber auch in Frankreich ist sie fast doppelt so groß wie in Deutschland. In Schweden, Italien und Neuseeland dagegen nehmen sich Alt und Jung fast gar nichts.
Dass ältere Menschen in fast allen Ländern über ein schlechteres Grundwissen verfügen als jüngere, führt Beatrice Rammstedt auf das „biologische Altern“ zurück. Dieses sorge für einen natürlichen Kompetenzrückgang, so die Vizepräsidentin des Leibniz-Instituts für Sozialwissenschaften (GESIS) und Mitverantwortliche für den deutschen Studienpart.
Die vielleicht größte Überraschung dieser Studie ist, dass sich die Leistungen der Erwachsenen eher zum Schlechten entwickelt.
Andreas Schleicher, Bildungsdirektor der OECD
Dennoch scheinen die Deutschen auf den ersten Blick besser zu altern als die Franzosen und schlechter als die Italiener, was ihr Grundwissen anbelangt. Rammstedt erklärt das mit „Sozialisierungseffekten“. Die teilnehmenden Länder hätten zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedliche Reformen ihres Bildungssystems vorgenommen.
Während das deutsche Bildungssystem sich offenbar schon lange auf hohem Niveau befindet, scheint Frankreich erst später nachgezogen zu sein. Am italienischen Bildungssystem hat sich – das lässt Rammstedts Erklärung vermuten – dagegen kaum etwas geändert, es verharrt auf eher niedrigem Niveau. Konstanz kann auch Schweden vorweisen, allerdings auf Spitzenlevel.
Das Land der Bildungsungleichheit
Besorgniserregend ist außerdem, dass jeder fünfte deutsche Erwachsene allenfalls über elementare Kenntnisse in den drei abgefragten Kompetenzbereichen verfügt. Diese Gruppe kann, wenn überhaupt, prägnante Informationen aus kurzen Texten, Listen oder Tabellen herausfiltern, basale Matheaufgaben mit ganzen Zahlen bewältigen und einfache Probleme lösen. „Wer diese Fähigkeiten nicht schon im Kindesalter erwirbt, wird es sehr schwer haben im Leben. Das sind die Herausforderungen, vor die 10-Jährige in der Schule gestellt werden“, ordnet Andreas Schleicher ein, der Bildungsdirektor der OECD.
Der hohe Anteil der schlecht gebildeten Erwachsenen zeige sich auch international. „Die vielleicht größte Überraschung dieser Studie ist, dass sich die Leistungen der Erwachsenen eher zum Schlechten entwickelt“, sagt Schleicher in Bezug auf das globale Abschneiden beim Lesen. In Deutschland sind die Werte dagegen vergleichbar mit denen vor elf Jahren. „Dass sich in Deutschland wenig getan hat, ist im Grunde eine Erfolgsmeldung“, sagt Schleicher.
Dass sich in Deutschland wenig getan hat, ist im Grunde eine Erfolgsmeldung.
Andreas Schleicher, Bildungsdirektor der OECD
Überraschend ist der hohe Anteil von Berufstätigen, die nur über ein geringes Maß an Bildung verfügen, nicht. Bereits die erste PIAAC-Studie förderte vergleichbare Werte zutage. Damit schneiden die Erwachsenen sogar noch besser ab als Jugendliche in der letzten PISA-Studie. Die zeigte, dass jeder vierte 15-Jährige die Mindeststandards beim Lesen und Rechnen verfehlt. In Zukunft dürften also noch mehr Erwerbstätige daran scheitern, sich einfachste Informationen zunutze zu machen.
Ähnlich vorhersehbar war auch, dass die Leistungen von Deutschen auch im Erwachsenenalter noch stark vom Bildungsniveau ihrer Eltern abhängig sind. Menschen aus Akademikerfamilien lesen so gut wie der finnische Durchschnitt, Menschen aus Arbeiterfamilien sind dagegen nicht viel besser als der chilenische. In keinem anderen Teilnehmerland ist die Bildungsungleichheit so groß. Eine kleinere, aber dennoch gewichtige Rolle spielt mit Blick auf die Leseleistung, ob Erwachsene einen Migrationshintergrund haben, also zumindest ein Elternteil im Ausland geboren ist.
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