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Auf Tauchgängen entdeckten Archäologen Bruchstücke zweier Marmor-Altare.

© Michele Stefanile

Arabischer Tempel in Italien entdeckt: Ein versunkener Außenposten im Römischen Reich

Vom antiken Volk der Nabatäer waren außerhalb des Reiches im Nahen Osten nie Spuren gefunden worden. Doch eine Entdeckung im Mittelmeer fügt der Geschichte ein neues Kapitel hinzu.

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Ein arabischer Tempel in Italien? Tatsächlich scheint das alte Wüstenreich der Nabatäer, berühmt für die 40 Meter hohe rote Sandsteinfassade des „Schatzhauses des Pharao“ (Khazne al-Firaun) in Petra, Jordanien, einen Handelsstützpunkt im Hafen von Puteoli westlich des Golfs von Neapel gehabt zu haben.

Die Nabatäer herrschten etwa von 200 vor bis 106 nach Beginn unserer Zeitrechnung über Gebiete im heutigen Jordanien und nördlichen Saudi-Arabien. Sie kontrollierten den Karawanenhandel mit Luxusgütern wie Seide, Gold und Gewürzen vom Fernen Osten bis zum Mittelmeer.

Doch was führte Beduinen aus dem Nahen Osten dazu, sich in Puteoli, dem damals bedeutendsten kommerziellen Hafen des Römischen Reiches niederzulassen?

Eine archäologische Sensation

Der Unterwasserarchäologe Michele Stefanile von der Scuola Superiore Meridionale der Universität von Kampanien entdeckte zusammen mit Michele Silani im Herbst 2023 den nabatäischen Tempel vor dem Hafen von Pozzuoli, wie der Ort heute heißt. Die Ruinen des Tempels und eines Teils der Hafenanlagen liegen drei Meter tief im Wasser.

Dass es sich um einen nabatäischen Tempel handelt, ist erwiesen. Zwar ist er aus lokalen Baumaterialien und in römischer Technik errichtet worden, doch die lateinischen Inschriften weisen immer wieder auf „Dusari Sacrum“, auf ein Heiligtum des nabatäischen Gottes Duschara hin. Wie bei nabatäischen Heiligtümern auf der Arabischen Halbinsel üblich, finden sich zur Verehrung von Duschara, des Herrn von Schara, heilige Steine (Baityloi), die in Vertiefungen des Marmorsockels am Heiligtum gesteckt wurden. Bei den Nabatäern gab es ursprünglich keine figürliche Darstellung.

Die Entdeckung des nabatäischen Tempels vor der italienischen Küste ist eine archäologische Sensation, denn noch nie wurden Spuren der Nabatäer außerhalb ihres Reiches im Nahen Osten gefunden und erst recht nicht in einer europäischen Hafenstadt am Mittelmeer. Die Nabatäer hatten zwar zwei Häfen, die lagen aber am Roten Meer. Der Hafen von Gaza war für ihren Handel das Tor zum Mittelmeerraum. Hier endeten die Karawanen von der Arabischen Halbinsel.

Nach dieser Entdeckung wird man also den Geschichtsbüchern ein neues Kapitel hinzufügen müssen.

Entdeckungen unter Wasser

Stefanile waren nabatäische Objekte im Archäologischen Nationalmuseum Neapel aufgefallen. Sie waren wohl schon im 18. Jahrhundert ins Museum gelangt. Wahrscheinlich lag der Tempel damals noch an Land. Aber kein Fachmann interessierte sich bisher dafür.

Taucher brachten in den 1960er und 1990er Jahren immer wieder Objekte ins Museum, doch auch jetzt wollte niemand dem nachgehen. „In den achtziger Jahren befand sich dort an der Küste ein großes Industriegebiet, das Wasser war sehr verschmutzt und trüb“, sagt Stefanile im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Damals habe es sich nicht empfohlen, dort zu tauchen. Durch die Stilllegung der Industrieanlagen wurde das Wasser in den letzten Jahrzehnten aber sauberer. Man kann die Ruinen des antiken Hafens nun mit bloßem Auge im klaren Wasser sehen.

Der versunkene Hafen von Puteoli mit den Lagerhäusern und dem Händlerviertel

© Michele Stefanile

Stefanile initiierte das Forschungsprojekt „Zwischen Land und Meer“ in Zusammenarbeit mit der Universität von Kampanien und dem italienischen Kulturministerium. Der zwei Kilometer lange Küstenstreifen der „Ripa Puteolana“ sollte systematisch untersucht werden – in der Hoffnung, auch den Tempel der Nabatäer zu finden.

Durch die benachbarten vulkanisch aktiven phlegräischen Felder verändern sich Meeresboden und Küstenlinie in dieser Region ständig. Der historische Hafen von Puteoli und auch der nabatäische Tempel sind irgendwann im 19. Jahrhundert im Meer versunken. Allein in den letzten zehn Jahren hat sich der Meeresboden aber um einen Meter gehoben, was die Arbeit der Archäologen erleichtert.

Pragmatische Römer

2022 haben die Archäologen begonnen, mit Drohnen ein elf Hektar großes Gebiet vor der Küste zu fotografieren. „Wir konnten die Mauern mit bloßem Auge sehen, und so war es sehr einfach, Karten vom Hafen zu zeichnen“, sagt Stefanile. Da das Getreide aus Alexandria immer von Flottenverbänden von 20 bis 30 Schiffen geliefert worden war, musste der Hafen große Lagerhäuser vorhalten, um die Schiffe innerhalb einer Woche zu entladen und das Getreide einzulagern.

Da die Römer pragmatisch waren, war anhand der Pläne schnell klar, wo angesichts der rund 30 Meter langen Lagerhäuser überhaupt noch Platz für einen Tempel war. „Wir haben den Tempel schnell gefunden und mit der Ausgrabung begonnen“, erzählt Stefanile.

Der Tempel sei das Zentrum der nabatäischen Händlergemeinschaft gewesen, hier konnten sie unter göttlichem Schutz Handel treiben. Es sei eine kleine Gemeinschaft innerhalb des multikulturellen Hafens gewesen, von der keine Gefahr ausgegangen sei. „Sie wollten nur Handel treiben, wollten nicht auffallen und haben sich sehr gut integriert“, sagt Stefanile. „Sie haben sogar, wie wir aus einer Inschrift wissen, hier ein Kamel geopfert.“

Schiffe der Nabatäer sind bisher nicht nachgewiesen. Stefanile vermutet, dass sie ihre Güter von Gaza nach Alexandria transportieren ließen, um sie dann als Beiladung kostengünstig und unter römischem Schutz mit den regelmäßig verkehrenden Getreideschiffen von Alexandria nach Puteoli bringen zu lassen.

Versiegeltes Heiligtum

Bisher haben die Archäologen von dem mit Sand bedeckten Tempel zwei Räume mit Altären photogrammetrisch untersucht. Die Anlage war aber wahrscheinlich größer. In Raum A fanden die Archäologen zwei Altäre aus weißem Luni-Marmor. Der größere Altarblock von 1,60 Meter Länge und einem Gewicht von etwa ein bis zwei Tonnen hat acht rechteckige Hohlräume, in die die heiligen Steine eingesetzt wurden. Der kleinere Block hat drei solche Aussparungen. In beiden Räumen fanden sich die Inschriften „Dusari Sacrum“.

Als die Römer im Jahr 106 das Reich der Nabatäer erobert und in die Provinz Arabia Petrea eingegliedert hatten, wurde der Handelsposten in Puteoli aufgegeben. Da die Römer abergläubisch waren, versiegelten sie das Heiligtum mit einer Decke aus „Opus Caementitium”, einer frühen Form von Beton, um den wertvollen Raum im Herzen der Stadt anders zu nutzen. „Für uns war das von Vorteil, denn in der Betonfüllung fanden wir Amphoren und andere Keramikscherben, die eine genaue Datierung des Ortes erlauben“, sagt Stefanile.

In einer nächsten Forschungskampagne müsse man bis auf den Boden graben, um zu ermitteln, wie der Tempel wirklich aussah. „Wir kennen keine frei stehenden nabatäischen Tempel, wir kennen auch nicht die typischen Umrisse und wir wissen nicht, ob er ein Dach hatte“, sagt Stefanile. Bleibt zu hoffen, dass das Projekt weiter finanziert werden kann, um diese offenen Fragen zu klären.

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