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Hübsch, aber gefräßig. Der aus Amerika stammende Herbstheerwurm - der kein Wurm, sondern ein Schmetterling ist - hat sich inzwischen in Afrika, Asien und Australien verbreitet und schadet dort vor allem Maispflanzen.

© Georg Goergen/IITA

Exklusiv

Bayer will erstmals Schädlingsinsekt gentechnisch verändern: „Eine Art Familienplanung“

Geburtenkontrolle für einen Schmetterling? Bayer investiert in die britische Biotech-Firma Oxitec, um einen Maisschädling mit Gentechnik zu bekämpfen.

Von dieser Pandemie hat bislang kaum jemand Notiz genommen. Zumindest nicht in dem Teil der Welt, in dem es immer genug zu essen gibt und wo man glaubt, sich über Nahrungsmittelsicherheit keine Gedanken machen zu müssen.

Die Katastrophe muss irgendwann 2016, vielleicht auch schon etwas früher, begonnen haben. Und der Verursacher kam wahrscheinlich aus Südamerika, vielleicht aber auch aus China: Ein kleiner, unscheinbarer Schmetterling, ein Eulenfalter namens Spodoptera frugiperda.

Heimisch ist er eigentlich in Süd- und Mittelamerika bis hinauf in den Süden der USA und hinab nach Argentinien. Doch inzwischen fressen sich seine Raupen fast auf der ganzen Welt durch die Maisfelder. Auch Reis, Weizen, Hirse, Zuckerrohr und Sonnenblumen befallen sie.

2016 schafften die Tiere den Sprung nach Afrika, 2018 wurden sie nach Asien verschleppt, sogar Australien hat der Herbstheerwurm (Fall Armyworm, FAW) inzwischen erreicht.

Ein „Superorganismus“ mit desaströsen Folgen

Ein „Superorganismus“, sagt Georg Goergen vom Internationalen Institut für Tropische Landwirtschaft in Benin. „Anfang 2016 haben wir die ersten Exemplare aus Nigeria und São Tomé identifiziert“, erinnert sich der deutsche Insektenexperte, der als derjenige gilt, der die Tiere als erster als invasive Art in Afrika nachwies und Alarm schlug.

„Innerhalb von höchstens 16 Monaten hatte sich der Eulenfalter über fast ganz Afrika verbreitet.“ Kein Maisfeld in Benin, auf dem er den Schädling nicht entdeckt habe.

Doch genützt hat allein das Wissen um die invasive Art bisher wenig. Keine Pflanzenschutzmethode scheint dem Insekt allein gewachsen, das sich bis zu vier Mal im Jahr fortpflanzt, mit bis zu 2000 Eiern pro Weibchen. Auch der gentechnisch veränderte Mais, der ein Bt-Protein zum Abtöten von Fraßinsekten produziert und der vor allem in den USA und Brasilien angebaut wird, ist nicht dauerhaft gefeit.

Je nach den jeweiligen Bedingungen in den betroffenen Ländern erreichen die Ernteausfälle bis zu 50 Prozent, in Kenia waren es 2016 und 2017 etwa 33 Prozent. Der Falter raubt Kleinbauern in Afrika und Asien die Existenzgrundlage.

Vielflieger. Bis zu hundert Kilometer kann der aus Amerika stammende Eulenfalter, das Adultstadium des Herbstheerwurms, in einer Nacht zurücklegen. Seine Raupen befallen daher inzwischen Mais- und andere Nutzpflanzen in Afrika, Asien und sogar Australien.
Vielflieger. Bis zu hundert Kilometer kann der aus Amerika stammende Eulenfalter, das Adultstadium des Herbstheerwurms, in einer Nacht zurücklegen. Seine Raupen befallen daher inzwischen Mais- und andere Nutzpflanzen in Afrika, Asien und sogar Australien.

© Amos Gumulira/AFP

Statt die Pflanze aufzurüsten oder ihr mit Pestiziden zur Seite zu springen, nimmt Bayer nun den Schädling selbst ins Visier. Der Leverkusener Konzern will mit dem britischen Biotech-Unternehmen Oxitec den Falter gentechnisch verändern.

Gentechnisches Verhüterli

Und zwar so, dass im Labor massenhaft männliche Falter gezüchtet werden, die ein „selbstlimitierendes Gen“ tragen – eine Mutation, die weiblichen Nachwuchs verhindert: Paaren sich diese Männchen in freier Wildbahn mit Weibchen, verhindert das Gen, dass aus den abgelegten abertausenden von Eiern weibliche Nachkommen schlüpfen. Das könnte die Vermehrung der Tiere drosseln und Schäden an den Ernten in Grenzen halten.

„Oxitec entwickelt schon seit einigen Jahren Strategien zur Bekämpfung bestimmter Insektenarten, vor allem solchen, die Krankheiten übertragen, wie etwa Mücken“, sagt Matthias Berninger Leiter für Nachhaltigkeit, Wissenschaft und Kommunikation bei Bayer. Aber inzwischen entwickelt die Firma, gegründet vom Zoologen Luke Alphey von der Universität Oxford, die Technik auch weiter, um Insektenarten einzudämmen, die Nutzpflanzen befallen. „Es ist das erste Mal, dass sich Bayer an einem Projekt zur gentechnischen Veränderung von Schädlingen beteiligt.“ Bayer investiert dabei einen zweistelligen Millionen-Euro-Betrag. Angestrebt ist, die Technik noch in diesem Jahr in Brasilien zu testen.

Ziel der Methode sei es ausdrücklich nicht, den Herbstheerwurm auszurotten, sagt Berninger. Es handele sich nicht um ein „Gene-Drive-System“ – eine Technik, von der vermutet wird, dass sie zur Ausrottung einer Art in der Lage ist, weil sich dabei bestimmte Gene, die die Tiere etwa steril machen, sehr schnell in einer Population verbreiten. Gezeigt wurde das außerhalb des Labors jedoch noch nicht und es wird von Experten auch bezweifelt, dass die Technik dazu fähig ist.

Bei der Kooperation mit Oxitec gehe es vielmehr um „Kontrolle der Populationsgröße“, sagt Berninger, „eine Art Familienplanung für den Herbstheerwurm“. Ziel sei es, die massive Vermehrung einzuschränken und den Nutzpflanzen, vor allem Mais, „einen Vorteil zu verschaffen“, und Ernten zu retten – ohne den Einsatz von Pestiziden.

„Umweltfreundlich“, weil Pestizide vermeidend

Das wäre eine „tolle, umweltfreundliche Methode, die sich auch mit anderen Gegenmaßnahmen kombinieren ließe“, sagt Goergen – „wenn sie denn funktioniert.“ Und da gebe es schon eine Reihe von Bedenken.

Zum einen biologische: Die Weibchen, die sich mit den gentechnisch veränderten Männchen aus der Oxitec-Zucht einlassen, sollten möglichst keine anderen Männchen mehr heranlassen.

Das sei bei den Faltern aber keineswegs klar, ob sie nicht doch mehrfach und mit unterschiedlichen Männchen kopulieren, so dass ein Teil der Eier doch wieder Weibchen hervorbringen könnte, wenn Wildtyp-Männchen unter den Partnern waren.

Und sind die Labor-Männchen überhaupt so „fit“ wie das Natur-Pendant? Außerdem haben die Raupen eine Eigenschaft, die bei der Laborzucht der Tiere in großen Mengen ein Problem verursachen könnte. Sie neigen dazu, sich gegenseitig aufzufressen, wenn es zu eng wird.

Goergen, der in Benin forscht, sieht aber auch andere, nicht-biologische Probleme. 2,70 US-Dollar hat ein Kleinbauer in Afrika im Durchschnitt pro Hektar für Schädlingsbekämpfung zur Verfügung. Eine sicher nicht billige gentechnische Pflanzenschutzmethode müsste daher vom Staat bezahlt werden. Insbesondere wenn die Labor-Falter immer wieder neu ausgesetzt werden müssen, weil die mobilen Tiere in kürzester Zeit aus anderen, unbehandelten Regionen in Scharen heranflattern dürften.

Noch Forschungsbedarf

Mit der Anwendung von Gentechnik, gerade zur Lösung eines für viele Kleinbauern so existenziellen Problems, hat Goergen „grundsätzlich kein Problem“, aber es könne schon sein, dass die Technik zumindest in Afrika nicht ohne Weiteres einsetzbar ist. Nur vier Länder des Kontinents erlauben bislang etwa gentechnisch veränderte Pflanzen.

Wie oft die veränderten Insekten ausgesetzt werden müssen, in welcher Menge und was das den Landwirt oder die landwirtschaftliche Region am Ende kosten wird, kann Berninger nicht sagen, „weil wir es noch nicht wissen“. Viele dieser Fragen, auch die von Goergen aufgeworfenen, müssten in den Tests der Technik erst geklärt werden.

„Dafür ist Brasilien der richtige Ort, weil man dort sehr schnell sehr verlässliche Ergebnisse produzieren kann.“ Dann könne man darüber nachdenken, sie auch dort anzuwenden, wo sie im Moment den größten Schaden anrichten, vor allem in Afrika südlich der Sahara, aber auch in Teilen Asien. Denn „dort stehen die Landwirte heute ohne wirksame Maßnahmen da, sie haben weder die Insektizide, noch modernes Saatgut.“

Dann, gibt Goergen zu bedenken, müsse man aber die lokalen, in den jeweiligen Regionen vorkommenden Stämme des Herbstheerwurms verändern. So gibt es etwa in Afrika nur jene Form des Schädlings, der vor allem Mais befällt, nicht aber den reinen „Reis-Stamm“, der vor allem Weidegräser, also etwa Reis oder Luzerne befällt.

Schon bei den Sexuallockstoffen, mit denen sich Männchen und Weibchen finden, bestünden Unterschiede zwischen den Stämmen. Auch das Verhalten bei der Paarung, etwas wann die Männchen gelockt werden, ist verschieden. Damit wären die Ergebnisse in Brasilien nur bedingt übertragbar auf die Bekämpfung der in Afrika verbreiteten Schädlinge.

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