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„Die Menschheit steht vor einer Existenzkrise“: Alarmierende Zahlen zu Artensterben und Umweltzerstörung
Bei der UN-Artenschutzkonferenz in Kolumbien drängen Delegierte darauf, das weltweite Artensterben bis 2030 zu stoppen und mehr Schutzflächen auszuweisen. Noch immer sind nur acht Prozent der Meeresgebiete geschützt.
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Die Menschheit steht laut UN-Generalsekretär António Guterres angesichts der Zerstörung der Natur vor einer „Existenzkrise“. „Jeden Tag verlieren wir mehr Arten. Jede Minute kippen wir einen Müllwagen voller Plastikmüll in unsere Ozeane, Flüsse und Seen“, sagte Guterres am Dienstag vor den Delegierten der UN-Artenschutzkonferenz (COP16) im kolumbianischen Cali. „So sieht eine existenzielle Krise aus.“
Die Menschheit müsse von der „Plünderung zur Bewahrung“ der Natur kommen, sagte Guterres. „Natur ist Leben. Und trotzdem führen wir Krieg gegen sie.“ Kein Land, egal ob reich oder arm, sei immun gegen die Auswirkungen des Klimawandels, den Verlust der biologischen Vielfalt oder die Umweltverschmutzung. „Diese Umweltkrisen sind miteinander verwoben“, betonte Guterres.
Artensterben bis 2030 eindämmen
Die noch bis Freitag dauernde Konferenz steht unter dem Motto „Peace with Nature“ („Frieden mit der Natur“). Ziel ist die Vereinbarung eines Plans zur Umsetzung der 23 UN-Ziele der COP15 zur Eindämmung von Umweltzerstörung und weltweitem Artensterben bis 2030. Im Zentrum steht unter anderem die Frage der Finanzierung von Maßnahmen.

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Die Delegierten haben keine Zeit zu verlieren. Es bleiben nur noch fünf Jahre, um die 23 UN-Ziele zu erreichen. Sie sehen unter anderem vor, 30 Prozent der globalen Land-, Wasser- und Meeresflächen bis 2030 unter Schutz zu stellen.
Kolumbiens Umweltministerin und COP16-Präsidentin Susana Muhamad erklärte, die Konferenz habe den Verlust der biologischen Vielfalt auf eine Stufe mit der Klimakrise gestellt. Gleichzeitig betonte sie, die Umsetzung der 23 UN-Ziele erfordere mehr finanzielle Mittel.
Verhandlungen stocken
UN-Generalsekretär António Guterres, sechs Staatsoberhäupter sowie rund hundert Minister: Bei den stockenden Verhandlungen der UN-Artenschutzkonferenz (COP16) im kolumbianischen Cali übernehmen nun die politischen Großkaliber. „Sie werden uns hoffentlich dabei helfen, bei einigen Themen voranzukommen“, sagte David Ainsworth, Sprecher der Biodiversitätskonvention der UNO (CDB).
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Neben Guterres wurden am Dienstag die Staatschefs von Kolumbien, Armenien, Bolivien, Guinea-Bissau, Haiti und Surinam sowie 115 Minister und 44 Abgeordnete in Cali erwartet. Für Deutschland nimmt Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) teil.
Wenn ein Thema „schwierig und hartnäckig ist“, würden die Unterhändler normalerweise in ihre Länder zurückkehren, sagte Ainsworth. Wenn nun aber die Entscheidungsträger vor Ort seien, „können Entscheidungen relativ schnell getroffen werden“.

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Einem am Montag veröffentlichten Bericht der Datenbank Protected Planet zufolge liegen aktuell nur 17,6 Prozent der Land- und Binnengewässerflächen sowie 8,4 Prozent der Meeres- und Küstengebiete in ausgewiesenen Naturschutzgebieten.
Dies bedeute, dass bis 2030 noch eine Landfläche von der Größe Brasiliens und Australiens zusammen sowie eine Meeresfläche, die größer als der Indische Ozean ist, ausgewiesen werden müssen, um das Ziel zu erreichen, hieß es in dem Bericht von Protected Planet.
Einer ebenfalls am Montag vorgelegten aktualisierten Roten Liste der Weltnaturschutzunion IUCN zufolge ist mehr als jede dritte Baumart vom Aussterben bedroht. Die Liste beleuchtet erstmals auch die Situation eines Großteils der Bäume.

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Demnach sind mehr als 16.000 der 47.000 untersuchten Arten gefährdet. Zu den bedrohten Arten gehören demnach die Rosskastanie, der Ginkgo, der großblättrige Mahagoni, sowie zahlreiche Eukalyptus- und Magnolienarten.
Mit einer Rekordzahl von 23.000 registrierten Teilnehmern und etwa 1200 Journalisten ist die UN-Artenschutzkonferenz in Cali die bisher größte. Kolumbiens Umweltministerin und COP16-Präsidentin Susana Muhamad erklärte, die Konferenz habe den Verlust der biologischen Vielfalt auf eine Stufe mit der Klimakrise gestellt. Gleichzeitig betonte sie, die Umsetzung der 23 UN-Ziele erfordere mehr finanzielle Mittel.

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Million Pflanzen- und Tierarten gefährdet
In der zweiten Woche der UN-Artenschutzkonferenz (COP16) im kolumbianischen Cali sollen die globalen Maßnahmen zum Schutz der Natur beschleunigt werden. Die vor zwei Jahren in Kanada verabschiedeten Beschlüsse müssten mit Leben gefüllt werden, betonte Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne). Experten zeichnen ein düsteres Bild der Lage des Planeten: Demnach ist die Lebensgrundlage sowohl von einer Million Pflanzen- und Tierarten als auch die des Menschen stark gefährdet.
Durch menschliche Aktivitäten wurden bereits drei Viertel der Erdoberfläche erheblich umgewandelt und zwei Drittel der Ozeane geschädigt, erklärte der Weltrat für Biologische Vielfalt (IPBES). Zwischen 1970 und 2015 verschwanden über ein Drittel der Feuchtgebiete auf den Kontinenten. „Die Bodenverschlechterung durch menschliche Aktivitäten untergräbt das Wohlergehen von mindestens 3,2 Milliarden Menschen“, heißt es im jüngsten Bericht des IPBES.
Gleichzeitig wird darin betont, dass der Nutzen einer Wiederherstellung der Böden zehnmal höher wäre als die entsprechenden Kosten. Durch das sogenannte Kunming-Montreal-Abkommen sollten bis 2030 unter anderem 30 Prozent der zerstörten Land-, Binnengewässer-, Meeres- und Küstenökosysteme „wirksam wiederhergestellt“ werden. Ob dieses Ziel noch rechtzeitig erreicht werden kann, erscheint angesichts fehlender Umweltschutzzonen mehr als fraglich.

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Laut IPBES sind etwa eine Million Arten gefährdet. Insekten und Vögel, die Pflanzen bestäuben, gelten dabei als besonders bedroht. Sie sichern die Vermehrung von Pflanzen und erhalten einen Großteil der für die Ernährung der Menschheit wichtigen Gewächse. Laut der „vorsichtigen“ Schätzung werden zehn Prozent der vom Aussterben bedrohten Insektenarten, also etwa 600.000, verschwinden.
Korallen, die Raum für viele Lebewesen bilden, sind ebenfalls stark betroffen. Denn die Ozeane werden immer saurer und wärmer. Eine globale Erderwärmung um zwei Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter könnte Korallen nahezu vollständig zum Verschwinden bringen.
Fünf Ursachen der Biodiversitätskrise
Die UNO nennt fünf Ursachen der Biodiversitätskrise. Die sogenannten Fünf Reiter der Apokalypse seien alle durch den Menschen ausgelöst: die Zerstörung von Lebensräumen, der übermäßige Ressourcenabbau und -verbrauch, der Klimawandel, die Umweltverschmutzung und die Verbreitung invasiver Arten. Bis 2050 wird der Klimawandel Experten zufolge wahrscheinlich der hauptsächliche Treiber der Zerstörung der Biodiversität sein.
Insgesamt 55 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts, rund 58 Billionen US-Dollar (53,6 Billionen Euro), hängen „in hohem oder moderatem Maße“ von der Natur und ihren Leistungen ab, berechnete das Wirtschaftsprüfungsunternehmen PWC. Gleichzeitig verursacht der Verlust der Artenvielfalt Kosten zwischen 1,35 und 3,1 Billionen Euro pro Jahr, schätzt der indische Ökonom Pavan Sukhdev.
Ein Bericht des Earth Track Monitors vom September besagt, dass Subventionen für umweltschädliche Industrien – darunter die Fossilindustrie, Landwirtschaft und Fischerei – mindestens 2,6 Billionen Dollar umfassen, was 2,5 Prozent des globalen Bruttosozialprodukts entspricht.
Dieser Betrag übersteigt damit bei weitem die Investitionssumme für den Naturschutz, die bei der vergangenen UN-Artenschutzkonferenz gefordert wurde. Bis 2030 sollten 200 Milliarden Dollar dafür bereitgestellt werden. Ein weiteres Ziel des Kunming-Montreal-Abkommens ist es, umweltschädliche Subventionen und Steuervorteile bis 2030 um „mindestens 500 Milliarden Dollar pro Jahr“ zu reduzieren. (AFP; lan/mhe /kbh/jes)
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